Ein Medienrechtler fordert "echte informationelle Selbstbestimmung" für Facebook. Außerdem in der Presseschau: Klage gegen "Racial-Profiling", Auftakt im Wiedeking-Prozess und eine Odyssee für eine Gerichtsvorladung.
Thema des Tages
Kopplungsverbot für Facebook: Wer Facebook- und Whatsapp nutzen möchte, muss in die Verarbeitung personenbezogener Daten einwilligen. In einem Gastbeitrag für die FAZ moniert Rolf Schwartmann, Medienrechtler, die Nutzer hätten hier mangels echter Alternativen zu den Diensten auch keine Wahl, als zuzustimmen. "Die Frage, wie der Verbraucher Wahlfreiheit erlangen kann, um selbst über seine Daten zu bestimmen, ist virulent." Schwartmann schlägt vor, ein Verbot von Kopplungsgeschäften einzuführen – also die Verbindung zweier Vertragsleistungen zum Schutze einer Vertragspartei oder der Allgemeinheit gesetzlich zu verbieten. So könne der Staat "echte informationelle Selbstbestimmung" gewährleisten. Für Facebook-Nutzer könnte es dann eine kostenpflichtige Variante geben, bei der personenbezogene Daten nicht genutzt werden, und eine kostenlose mit Datenverarbeitung.
Rechtspolitik
Ehegattensplitting: lto.de (Tanja Podolski) stellt den Entwurf der SPD zur Reform des Ehegattensplittings vor – dieses solle einem Familiensplitting weichen. Die Neuregelung solle Eltern unabhängig davon, ob sie verheiratet, unverheiratet oder alleinerziehend sind, entlasten. Paare, die das Splitting bereits nutzen, sollen Bestandsschutz erhalten.
Justiz
VG Berlin zu Lobbyisten-Liste: Der Bundestag wehrt sich dagegen, die Organisationen der Lobbyisten zu veröffentlichen, die Hausausweise für das Parlament besitzen und legte Berufung gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin ein. Als Begründung führte er an, es handele sich um eine parlamentarische Angelegenheit, wenn der Bundestag Hausausweise ausstelle. abgeordnetenwatch.de hatte vor dem VG auf Herausgabe der Listen geklagt. zeit.de und die taz informieren jetzt auch.
OLG München – NSU: Am kommenden Dienstag plant das Oberlandesgericht München, den BKA-Kommissar, Frank L., zu seinen Ermittlungen im Fall Meral Keskin zu befragen. spiegel.de (Wiebke Ramm) fasst die Enthüllungen um die nicht existente Nebenklägerin und den bisher bekannten Stand der Nachforschungen zusammen.
In der Zwickauer Wohnung, in der Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gelebt hatten, fanden die Ermittler Pläne verschiedener Städte, deren Markierungen und Notizen darauf hindeuten, dass dort etwaige Anschlagsziele eingezeichnet wurden. Ein ehemaliger BKA-Beamter sagte als Zeuge im NSU-Prozess aus, der NSU solle auch mögliche Tatorte in Kiel ausgespäht haben. Dies schreiben die SZ (Annette Ramelsberger) und spiegel.de (Björn Hengst).
LG Stuttgart – Wiedeking: Am Landgericht Stuttgart begann der Prozess gegen den ehemaligen Porsche-Chef Wiedeking und seinen Finanzvorstand Härter wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Sie sollen den Kurs der Volkswagen-Aktie manipuliert haben, indem sie die Börsenanleger während des Übernahmekampfes um VW gezielt falsch informierten und so täuschten. Die Angeklagten betonten am ersten Verhandlungstag, dass sie unschuldig seien, schreiben die SZ (Max Hägler) und das Handelsblatt (Martin Buchenau – Onlinezusammenfassung). Die FAZ (Susanne Preuß/Joachim Jahn) schildert zudem im Ressort Unternehmen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft.
Joachim Jahn (FAZ) meint, nach diesem Prozessauftakt könnten sich die Angeklagten "halbwegs zurücklehnen". Die Punkte der zweiten Anklage (wegen unvollständiger Informationen in einer Pressemitteilung) seien die verfänglichsten, das Kapitalmarktrecht "vom Europäischen Gerichtshof geprägt und dementsprechend streng". Es sei allerdings "nicht gerade wahrscheinlich", dass das Gericht Wiedeking und Härtner verurteile, denn es wollte die Anklage erst gar nicht zulassen.
VG Stuttgart – "Racial Profiling": Vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart fand die erste mündliche Verhandlung der Klage eines Deutschen mit afghanischen Wurzeln gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen "Racial Profilings" statt. Der Kläger erklärte, wegen seines Aussehens kontrolliere die Polizei regelmäßig seine Personalien, was das Gleichheitsgebot aus Artikel 3 des Grundgesetzes verletze. Wie focus.de schreibt, könnte er mit seiner Klage Erfolg haben; allerdings deswegen, weil § 23 des Bundespolizeigesetzes, die Rechtsgrundlage für entsprechende Kontrollen, gegen den Schengen-Grenzkodex verstoße.
StA Osnabrück – Verstoß gegen Aufenthaltsgesetz: Die Staatsanwaltschaft Osnabrück hat von Amts wegen Ermittlungen gegen mehrere Flüchtlinge wegen Verstoßes gegen § 95 des Aufenthaltsgesetzes eingeleitet. Es bestehe der Verdacht, dass die Beschuldigten ohne gültigen Aufenthaltstitel nach Deutschland eingereist seien. Die überwiegende Zahl der Fälle werde allerdings wieder eingestellt – niemand solle angeklagt werden, der eigentlich willkommen sei, so focus.de.
StA Frankfurt a.M. - DFB: Unter dem Titel "'OK' - 'Organisierte Kriminalität'" konstatiert Hans Leyendecker (SZ), dass die von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach beschriebenen Umstände der Zahlung von 6,7 Millionen Euro des DFB an die Fifa mit Rechtschaffenheit nichts zu tun hätten. Es stelle "sich nicht die Frage, ob eine Straftat begangen wurde, sondern nur welche".
StA Neuruppin – Korruption um Flughafen BER: Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hat Anklage gegen einen Baubereichsleiter des Flughafens BER und drei ehemalige Manager des Unternehmens Imtech wegen des Verdachts der Korruption erhoben. Der BER-Mitarbeiter soll Schmiergeldzahlungen an Imtech veranlasst haben, um den Bau des Flughafens zu beschleunigen. Darüber informieren zeit.de (Christian Fuchs) und die SZ (Jens Schneider).
Recht in der Welt
USA – Hasskommentare: spiegel.de (Marc Pitzke) erläutert, dass Hasskommentare in den USA unter den ersten Verfassungszusatz, also unter die Redefreiheit, fallen und daher rechtlich geschützt sind. "Rede ist Rede und frei, egal wie hetzerisch."
Sonstiges
BND-Abhöraffäre: Wie focus.de (Josef Hufelschulte) exklusiv von einem hohen Regierungsbeamten erfuhr, solle der Bundesnachrichtendienst das Kanzleramt bereits im Jahr 2008 und nicht erst 2013 darüber informiert haben, dass die Behörde ausländische Institutionen illegalerweise abhört.
Persönlichkeitsrecht von Hetzern: Der Medienrechtler Niklas Haberkamm erklärt für lto.de ausführlich, dass die Bildzeitung rechtmäßigerweise die Kommentare, Fotos und Namen der Verfasser von Facebook-Hassbotschaften veröffentlicht hat. Dieses Vorgehen verstoße insbesondere nicht gegen das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen.
Umgehen von Adblocker-Sperren erlaubt: Es ist urheberrechtlich zulässig, zu erläutern, wie sich die Sperre von Adblock-Nutzern auf einer Webseite umgehen lässt, konstatiert internet-law.de (Thomas Stadler). Springer hatte den Ersteller eines entsprechend anleitenden YouTube-Videos mit der Begründung abgemahnt, es ziele darauf ab, eine wirksame technische Maßnahme zum Schutz urheberrechtlicher Werke im Sinne von § 95a des Urheberrechtsgesetzes zu umgehen.
Das Letzte zum Schluss
Eine Odyssee für eine Gerichtsvorladung: Ein Mönch in Kalkutta hat von dem ihn vorladenden Gericht im 2.200 km entfernten Ahmedabad eine Frist von acht Monaten erbeten. Diese Zeit benötigt der Anhänger des Jainismus nicht etwa, um sich rechtlich vorzubereiten, sondern für den Weg zum Gericht. Aus Glaubensgründen ist es ihm versagt, Autos zu verwenden – also geht der 60-Jährige eben zu Fuß. Das dauert nun mal. Auf den Termin will das Gericht deswegen allerdings nicht verzichten, meldet die Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. Oktober 2015: Kopplungsverbot für Facebook? – Klage gegen "Racial Profiling" – Start im Wiedeking-Prozess . In: Legal Tribune Online, 23.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17311/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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