Mitglieder der Linksfraktion durften von Arbeitsgruppen des Vermittlungsausschusses ausgeschlossen werden. Außerdem in der Presseschau: SG Berlin zur künstlichen Befruchtung, Fischer zur "Wahrheit" im Strafprozess und Durchwürfeln zum Richter.
Thema des Tages
BVerfG zu Vermittlungsausschuss: Der Linken musste keine Teilnahme an Arbeitsgruppen des Vermittlungsausschusses im Verfahren zur Änderung der Hartz IV-Gesetze gewährt werden, entschied das Bundesverfassungsgericht. Nur der Ausschuss selbst müsse (zur Hälfte) nach dem Proporz des Bundestages besetzt sein und in dieser Besetzung auch abstimmen. Der Vermittlungsausschuss diene der Kompromissbildung – und nicht der Deliberation und öffentlichen Meinungsbildung – und könne dieses Ziel in informellen Arbeitsgruppen verfolgen. Lediglich die dort ausgegebenen Informationen seien auch den ausgeschlossene Parteien zugänglich zu machen. Gesprächsrunden, die nicht einmal vom Ausschussvorsitzenden einberufen sind, seien hingegen nicht Teil des Ausschusses, der Ausschluss hiervon berühre nicht die Organrechte der Linksfraktion, die Klage war insofern unzulässig. Es berichten verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis), SZ (Wolfgang Janisch), BadZ (Christian Rath) und Rechtsprofessor Joachim Wieland auf lto.de.
Rechtspolitik
TTIP – "Privilegierungseinwand": Rechtswissenschaftler Henner Gött setzt sich auf verfassungsblog.de mit der Kritik auseinander, dass nur Investoren nach dem TTIP Rechtsschutz einfordern können, nicht aber andere Wirtschaftsteilnehmer. Er spricht sich dafür aus, das Ungleichgewicht nicht negativ auszugleichen, durch Ablehnung des Investitionsschutzes insgesamt. Gerade mit den Erfahrungen der EU im Austarieren der Interessen verschiedener Marktteilnehmer könne – in Fortführung der bisher konstruktiven Debatte um das Freihandelsabkommen – ein positiver Ausgleich gefunden werden.
Gerichtsgutachter: Die FAZ (Joachim Jahn) fasst die Regelungen des Gesetzentwurfs zum Gutachterrecht zusammen. Dass Gutachten schnell erstellt werden, soll eine Ordnungsgeld-bewehrte Fristsetzung ermöglichen. Prozessparteien sollen vorab befragt werden, ob sie Einwände gegen den Gutachter haben und dieser soll Gründe, die gegen seine Unparteilichkeit sprechen, mitteilen müssen.
Westafrika-Abkommen: Die Frage, ob das Abkommen der EU mit Westafrika "die politischen Beziehungen des Bundes regelt" und demnach der Zustimmung des Bundestages bedürfte, hat Bundesjustizminister Maas nun in einem Schreiben, das der SZ (Michael Bauchmüller) vorliegt, verneint.
Urhebervertragsrecht: Auch die FAZ (Joachim Jahn) berichtet nun über den immer noch nicht offiziell veröffentlichten Gesetzentwurf zum Urhebervertragsrecht.
Justiz
SG Berlin zu Regelbedarf/künstliche Befruchtung: Das Sozialgericht Berlin hat entschieden, dass das Jobcenter Beziehern von SGB II (Hartz IV) kein Darlehen für die von der Krankenkasse nicht übernommenen Kosten einer künstlichen Befruchtung gewähren muss. Eine künstliche Befruchtung gehöre nicht zum Regelbedarf und sei auch nicht medizinisch notwendig. Das melden lto.de und SZ.
BGH – Vaterschaft bei künstlicher Befruchtung: Der Ehemann einer durch künstliche Befruchtung Mutter gewordenen Frau wird rechtlich Vater des Kindes, wenn die Befruchtung mit seiner Zustimmung erfolgte. In einem aktuellen Fall, von dem die Welt (Hannelore Crolly) berichtet, wird der Bundesgerichtshof über die bisher unklare Rechtslage bei nicht verheirateten Paaren zu entscheiden haben. Für lesbische Paare werde sich aus der Entscheidung jedoch wohl nichts ableiten lassen.
BGH zu vergleichender Werbung: Der Bundesgerichtshof hat mit nun veröffentlichtem Urteil vom April entschieden, dass Werbung mit der Ähnlichkeit zu Markenprodukt nicht wettbewerbswidrig ist. Das meldet internet-law.de (Thomas Stadler).
VGH Hessen – beihilfefähige Prävention: Sind präventive Operationen bei genetisch veranlagtem Brustkrebsrisiko beihilfefähig? Das Verwaltungsgericht Darmstadt hatte die Frage bejaht, weil die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht die Kostenerstattung gebiete. Nun hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof über die Berufung zu entscheiden, berichtet die taz (Heike Haarhoff).
OVG Lüneburg zu WG polnischer Arbeitnehmer: Polnische Arbeitnehmer hatten in einem Einfamilienhaus eine Wohngemeinschaft gegründet. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat nun entschieden, dass es dagegen keine juristische Handhabe gebe und die dagegen gerichtete Klage von Anwohnern abgewiesen. Das meldet lawblog.de (Udo Vetter).
OLG München – NSU-Prozess: Im Prozess vor dem Oberlandesgericht München deuten weitere Beweise darauf hin, dass der Angeklagte André E. dem NSU-Trio sehr nahe stand. Er soll von einem Mitglied im Krankenhaus besucht worden sein. Außerdem spricht unter anderem die Handschrift auf einer Postkarte dafür, dass Uwe Böhnhardt den Dortmunder Tatort zuvor ausspähte. Das berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm).
OLG Stuttgart – Scala-Verträge: Das Oberlandesgericht Stuttgart verhandelt am heutigen Mittwoch zu den sogenannten Scala-Verträgen. Svenja Bergt (taz) meint, ein Einlenken der Sparkasse sei längst überfällig und vergleicht ihr Verhalten mit dem eines Wettverlierers, der im Nachhinein die Wette aufkündigen will.
LG München I – Deutsche-Bank-Prozess: Ein Zeuge, auf dessen Aussage die Anklagebehörde große Hoffnungen gesetzt hatte, litt bei seiner gestrigen Vernehmung unter erheblichen Erinnerungslücken und war ihr daher kaum behilflich. Er sollte vor dem Landgericht München die Vorwürfe des versuchten Prozessbetrugs gegen Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen und ehemalige Manager bestätigen. Es berichtet die SZ (Stephan Radomsky).
LG Hamburg – verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen: Zwei Journalisten des Hamburger Abendblatts, die aus der Gerichtsakte im Fall Yagmur eine WhatsApp-Konversation wörtlich zitiert hatten, sind vor dem Landgericht Hamburg angeklagt wegen verbotener Mitteilung über Gerichtsverhandlungen. Am Donnerstag soll das Urteil gefällt werden. Die Angeklagten berufen sich auf unvermeidbaren Verbotsirrtum. Der Justiziar der Zeitung habe den Artikel abgesegnet, worauf sich Journalisten verlassen können müssten. Es berichtet die SZ (Thomas Hahn).
LG Hannover – Fall Jenisa: Im Fall des 2007 getöteten Mädchens Jenisa begann nun der Prozess vor dem Landgericht Hannover. Seinerzeit war bereits gegen den heutigen Angeklagten ermittelt, das Verfahren aber eingestellt worden. Nach seiner Verurteilung wegen Mordes an einem Jungen soll der Angeklagte zwei Mitgefangenen die Tat gestanden haben. Seine Anwältin beantragte die Einstellung, weil bereits einmal erfolglos ermittelt worden sei. Den Mitgefangenen soll außerdem eine Belohnung für das Aushorchen versprochen worden sein, weshalb die Anwältin die Unverwertbarkeit der Aussagen rügt, berichten spiegel.de und FAZ (Mona Jäger).
StA Cottbus – BER: Die Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelt wegen "fahrlässiger Baugefährdung", weil neu eingebaute Belüftungselemente im Flughafen BER das geplante Gewicht derart überstiegen, dass fraglich ist, ob die Dachkonstruktion sie tragen kann. Das meldet die taz.
EGMR – Personalien: Ab 1. November wird der Italiener Guido Raimondi neuer Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Mit Işıl Karakaş aus der Türkei und András Sajó aus Ungarn beginnen außerdem zwei neue Vizepräsidenten zeitgleich ihre Amtszeit. Das meldet lto.de.
Recht in der Welt
Syrien – Fassbomben: Die Syrische Regierung wirft über Zivilisten in den besetzten Gebieten Fassbomben ab und begeht damit Kriegsverbrechen, schreibt der Direktor von Human Rights Watch Kenneth Roth in der SZ. Er spricht sich für die Annahme einer Resolution aus, die dem UN-Sicherheitsrat derzeit unterbreitet wird. Sie soll die Sanktionierung des Einsatzes der verheerenden Fassbomben ermöglichen, der eine wesentliche Ursache der Massenflucht aus Syrien bildet.
Sonstiges
Freie Beweiswürdigung: In seiner Kolumne setzt sich Bundesrichter Thomas Fischer auf zeit.de mit finden der "Wahrheit" im Strafprozess auseinander. Er zeigt auf, auf welcher Grundlage sie ermittelt wird und warum freie Beweiswürdigung keine willkürliche Festlegung ist, dass es aber dennoch immer nur um die Annäherung an die "wirkliche" Wahrheit gehen kann.
Netzpolitik-Affäre: Am Mittwoch sollen Verfassungsschutz-Präsident Maaßen und Innenminister De Maizière vor dem Untersuchungsausschuss zu Netzpolitik-Affäre aussagen. Ob der Ausschuss die offenen Fragen zur Affäre wird beantworten können bleibt fraglich. lto.de (Christian Rath) trägt neun Fragen zusammen und bildet auf Grundlage bisher recherchierbarer Informationen Antworthypothesen.
BRAK: Die FAZ (Joachim Jahn) stellt die Positionen des neuen Präsidiums der Bundesrechtsanwaltskammer vor: Die Datenschutzgrundverordnung der EU dürfe nicht die durch Verschwiegenheit garantierte Vertrauensstellung des Rechtsanwalts gefährden, die Vorratsdatenspeicherung sei ein Fremdkörper in der freiheitlichen Grundordnung, das besondere elektronische Anwaltspostfach wird befürwortet und Syndikusanwälten die gerichtliche Vertretung ihrer Arbeitgeber zu erlauben gefährde das Bild des unabhängigen Rechtsanwalts.
Das Letzte zum Schluss
Durchwürfeln: Auch Anwälte haben immer größere Schwierigkeiten über Anrufe bei der Telefonzentrale zu Richtern durchzudringen, sie werden abgewimmelt, Durchwahlen werden nicht herausgegeben und wenn sie zur Geschäftsstelle durchgestellt werden, ist dort oft niemand erreichbar. Das ist jedenfalls die Erfahrung von Udo Vetter (lawblog.de). Er hat sich deshalb für den direkten Umweg entschieden: er würfelt eine Durchwahl und landet in der Regel bei einer freundlichen Person, die den Kontakt vom Anwalt zum Richter dann doch herstellt.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. September 2015: Kompromiss ohne Minderheiten – Befruchtung ist kein Regelbedarf – Würfeln hilft . In: Legal Tribune Online, 23.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16974/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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