Ceta-Kritiker wollen die "größte Bürgerklage" aller Zeiten beim BVerfG einreichen. Außerdem in der Presseschau: Netzneutralität gesichert, Videoübertragung aus Gerichten soll kommen und Prozesskostenhilfe für Kläger wegen Kik-Fabrikbrand.
Thema des Tages
Verfassungsbeschwerde gegen Ceta: Am heutigen Mittwoch will ein Bündnis aus Bürgerrechtsorganisationen und 125.000 Privatpersonen eine Verfassungsbeschwerde gegen das Handelsabkommen Ceta einreichen. Ziel sei es, dass die Karlsruher Richter der Bundesregierung untersagen, dem Abkommen am 18. Oktober im EU-Ministerrat zuzustimmen. Der Fokus der Kritiker liegt auf dem Investitionsgericht, welches darauf ausgerichtet sei, "Investoren bevorzugt zu behandeln". Sie befürchten unter anderem, dass der Gesetzgeber wegen drohender Schadensersatzklagen vor investorenfeindlichen Regelungen zurückschrecken werde. Dies sei nicht mit dem Demokratieprinzip vereinbar. Die SZ (Wolfgang Janisch) bezweifelt, dass diese Argumentation auch verfassungsrechtlich durchschlägt. Möglich sei allerdings, so der Beitrag, dass das BVerfG die Zustimmung zu Ceta wegen des vorgesehenen Gemischten Ausschusses, welcher dazu befugt werden soll das Abkommen weiterzuentwickeln, verbietet. Die EU könnte hier außerhalb ihrer Zuständigkeiten handeln, da sie plane, erhebliche Befugnisse an ein Gremium zu delegieren, das keine Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten beinhalten solle.
Der Europäische Gerichtshof wird Ende des Jahres hinsichtlich des Freihandelsabkommens EU-Singapur entscheiden, ob es sich um ein gemischtes Abkommen handelt. Als Präzedenzfall für Ceta wird sich diese Entscheidung auch darauf auswirken, ob das Abkommen EU-Kanada der Zustimmung der nationalen Parlamente bedarf, erklärt die SZ (Wolfgang Janisch) in einem separaten Beitrag.
"Alle Menschen sind gleich, Investoren sind gleicher." Heribert Prantl (SZ) moniert, dass das im Handelsabkommen Ceta geplante Investitionsgericht nicht neutral, sondern investitionsfreundlich sei.
Rechtspolitik
Netzneutralität: Unter dem Titel "Sieg für Netzneutralität" resümiert netzpolitik.org (Markus Beckedahl) die vom EU-Gremium Berec vorgestellten Leitlinien zur Netzneutralität. So sollen Telekommunikationsunternehmen etwa keine Möglichkeit erhalten, mittels Spezialdiensten sogenannte "kostenpflichtige Überholspuren" im Internet anzubieten. Eine neue Klausel binde zudem an Verbraucher- und Datenschutz, die Meinungs- und Informationsfreiheit sowie das Nichtdiskriminierungsgebot. zeit.de (Torsten Kleinz) berichtet ausführlich und weist auf etwaige Hintertüren hin. Die taz (Christian Rath) zeichnet nach, wie sich die Netzneutralität seit November 2015 entwickelt hat. spiegel.de (Teresa Sickert) erklärt die Hintergründe der Entscheidung und relevante Begrifflichkeiten wie Netzneutralität und Zero Rating.
Videoübertragung aus Gerichten: Am heutigen Mittwoch will das Kabinett einen Gesetzentwurf beschließen, der Videoübertragungen von Verkündungen an Bundesgerichten erlauben soll. Laut Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) spreche ein verändertes Kommunikationsverhalten für das Vorhaben, meldet die FAZ (Hendrik Wieduwilt).
Widerstand gegen TTIP: Die französische Regierung fordert, dass EU und USA ihre TTIP-Verhandlungen beenden und will dies Ende September bei einem Treffen der EU-Handelsminister beantragen. Es sei unwahrscheinlich, dass eine Einigung vor dem Amtszeitende Obamas erreicht werde und dementsprechend falsch, Gespräche weiter zu führen, die ohnehin scheitern würden, so das Argument. Es schreiben SZ (Wolfgang Janisch/Stefan Ulrich), FAZ (Christian Schubert/Werner Mussler u.a.) und Hbl (Heike Anger, Till Hoppe u.a.). Handelskommissarin Cecila Malmström erklärte, die Verhandlungen seien schwierig, aber nicht gescheitert.
DJT über Personengesellschaftsrecht: Empfiehlt sich eine grundlegende Reform des Personengesellschaftsrechts? Mit dieser Frage wird sich die wirtschaftsrechtliche Fachabteilung des in zwei Wochen stattfindenden 71. Deutschen Juristentags befassen. Das Handelsblatt-Rechtsboard (Ulrich Noack) erläutert, warum hier ein "immenser Reformstau" bestehe und stellt einige Änderungsvorschläge der DJT-Referenten vor.
Kuckuckskinder/Unterhaltsrecht: Christian Rath (taz.de) begrüßt die Grundausrichtung der geplanten Reform des Unterhaltsrechts. Die Auskunftspflicht für Mütter über vergangene Sexualpartner kritisiert er allerdings als hanebüchen und nutzlos. Sie sei mit Blick auf die persönliche Intimsphäre der Mütter völlig unverhältnismäßig. Die Pflicht ließe sich zudem durch vermeintliche Erinnerungslücken leicht umgehen. Anwendungsfälle hielten sich in Grenzen.
Recht auf Datenübertragbarkeit: Die Medienrechtler Max von Schönfeld und Charlotte Röttgen erklären in der FAZ das Recht auf Datenübertragbarkeit und praktische Probleme im Zuge dessen Umsetzung. Anbieter der Digitalwirtschaft seien angehalten, technische Formate auszuarbeiten, mit denen personenbezogene Daten an andere Verantwortliche übermittelt werden können. Der Gesetzgeber müsse sich mit den Pflichten der Datenannahme auseinandersetzen. Das Recht wird 2018 mit der Datenschutzgrundverordnung in Kraft treten.
Erbschaftsteuer: Die FAZ (Manfred Schäfers) erinnert daran, dass der Vermittlungsausschuss am heutigen Mittwoch mit den ersten Vorberatungen bezüglich der Erbschaftsteuerreform beginnt. Die Erwartungen eines zügigen Kompromisses seien gering, obwohl das Bundesverfassungsgericht angekündigt hat, sich Ende September sonst selbst mit einer Neuregelung zu befassen.
Justiz
LG Dortmund - Brand in Pakistan: Das Landgericht Dortmund hat den Opfern und Angehörigen des Unglücks in einer von Kik genutzten Textilfabrik Prozesskostenhilfe für ihre Schadensersatzklage gewährt. Die SZ (Caspar Dohmen – Zusammenfassung) schreibt, die Kläger beträten juristisches Neuland, da das Gericht nun nach pakistanischem Recht klären müsse, ob Kik seine Sorgfaltspflichten verletzt habe. Es werde ein eigenes Rechtsgutachten einholen. Das Urteil könnte wegweisend für Klagen gegen Konzerne aufgrund von Menschenrechtsverletzungen sein, so die SZ. Kik sehe sich nicht verantwortlich für das Unglück. Die taz (Hanna Gersmann) betont, entsprechende Katastrophen würden erstmals vor einem deutschen Gericht verhandelt.
Christian Rath (taz) meint, das Unglück könne "ziemlich viel" mit Kik zu tun gehabt haben, nachdem das Unternehmen 75 Prozent der Produktion aus der Fabrik abnahm. Er sieht im Dortmunder Prozess einen Meilenstein: Dieser könne nicht nur klären, in welchen Konstellationen europäische Firmen für blockierte Fluchtwege ihrer Zulieferer in Pakistan verantwortlich sind, sondern auch, wie viel Aufwand das Unternehmen betreiben muss, um diese Mängel zu verhindern.
VG Berlin zu Böhmermann-Gutachten: Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden, dass das interne juristische Kurzgutachten der Bundesregierung im Fall Böhmermann nicht veröffentlicht werden dürfe. Es verstoße gegen die Unschuldsvermutung, wenn staatliche Stellen einem Angeklagten öffentlich dessen Schuld unterstellen. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof), dessen Eilantrag das Gericht mit dieser Entscheidung teilweise abwies, berichtet auch über die Hintergründe des Gutachtens.
BGH – Herztod: Auf ihrer Seite drei schildert die SZ (Christina Berndt) ausführlich den Fall von Ulrike Corzillius und zeigt anhand dessen, welche (verfahrens-)rechtlichen Probleme sich bei mutmaßlich mangelhafter Aufklärung von Patienten ergeben. Die Klägerin sieht den Grund für den Herztod ihres Mannes in einem Behandlungsfehler und strengt nun mit einer Nichtzulassungsbeschwerde eine Revision vor dem Bundesgerichtshof an, nachdem sie in den ersten beiden Instanzen unterlag.
VerfGH NRW zu kommunalem Finanzausgleich: Die Solidaritätsumlage, die als finanzstark angesehene Kommunen in Nordrhein-Westfalen seit 2011 an ärmere Gemeinden zahlen müssen, ist zulässig und verhältnismäßig, entschied der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen. Circa 80 Gemeinden hatten gegen das Stärkungspaketgesetz Stadtfinanzen geklagt; ihre kommunale Finanzhoheit sei beeinträchtigt. Diesen Eingriff sah das Gericht allerdings als gerechtfertigt an, melden zeit.de, FAZ (Helmut Bünder) und taz (Claudia Hennen).
Recht in der Welt
EU – Apple: Die EU-Kommission hat die Steuerabsprachen zwischen Apple und Irland als illegal eingestuft. Die irische Regierung habe die Steuergesetze nicht legitimerweise interpretiert, sondern sei davon abgewichen und habe Apple mit einem Körperschaftsteuersatz von 0,005 Prozent gegenüber anderen Unternehmen begünstigt. Apple muss nun 13 Milliarden Euro Steuern nachzahlen und hat angekündigt, gegen die Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen, schreiben unter anderem SZ (Bastian Brinkmann/Alexander Mühlauer), FAZ (Werner Mussler/Winand von Petersdorff) und Hbl (Ruth Berschens/Kerstin Leitel u.a.).
Ruth Berschens (Hbl) weiß beruhigende Worte hinsichtlich der Klagedrohung: So sei die juristische Lage klar – das EU-Wettbewerbsrecht verbiete Mitgliedsstaaten, einzelne Unternehmen zu begünstigen. Apple habe allerdings hundertmal weniger Körperschaftsteuer als andere Unternehmen in Irland bezahlt. Alexander Mühlauer (SZ) sieht in der Entscheidung der EU-Kommission "eine Kampfansage an all jene Länder, die ein staatlich organisiertes System der Steuervermeidung geschaffen haben". Es sei allerdings offen, ob der Europäische Gerichtshof die Meinung Irlands teilen werde. Er fordert zudem, dass die EU-Staaten gemeinsam den unfairen Steuerwettbewerb verhindern.
Neuseeland/USA – Kim Dotcom: Der für die Auslieferungsanhörung des deutschen Internetunternehmers Kim Dotcom zuständige Richter hat dessen Antrag auf eine Videoübertragung der Verhandlung nun doch stattgeben, meldet spiegel.de. Dotcom wehrt sich dagegen, dass Neuseeland ihn wegen etwaiger Urheberrechtsverletzungen an die USA ausliefert.
Ungarn – Urteile gegen Attentäter: Ein Budapester Gericht hat den ungarischen Rechtsextremisten György Budahazy wegen verschiedener terroristischer Taten zu einer Haftstrafe von 13 Jahren verurteilt. 14 Mitangeklagte erhielten Freiheitsstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren, zwei weitere Bewährungsstrafen. Sie sollen zwischen 2007 und 2009 mehrere Bombenanschläge auf Häuser damaliger Regierungspolitiker verübt haben, was sie allerdings bestreiten, meldet spiegel.de.
Sonstiges
Thomas Fischer zu Hierarchien in der Justiz: Anknüpfend an seine letzte Kolumne zur Richterbesoldung moniert Bundesrichter Thomas Fischer in seiner zeit.de-Kolumne, die Besoldungshierarchie simuliere eine "in der Sache nicht existente Qualitätshierarchie", um eben diese vorzutäuschen. Darüber hinaus solle sie den Eindruck erwecken, diese vermeintliche Verknüpfung sei rechtssichernd und notwendig. Fischer betont zudem, es gebe kein "Oben und Unten" zwischen Vorsitzenden und Beisitzenden Richtern. Ebenso wenig stünde die Instanzenzugehörigkeit für eine qualitative Hierarchie, auch wenn dies häufig so wahrgenommen und in den Medien kommuniziert werde.
Bürgerrechte: Indem er die Geschichte des Bürgerrechts im Römischen Reich nachzeichnet, erläutert der Professor für alte Geschichte Michael Sommer in der FAZ, wie die deutsche Politik in Integrationsfragen vorgehen könne. Da das Römische Reich nur bestimmten Personen die römische Bürgerschaft und entsprechende Rechtssicherheit gewährt habe, "garantierte die Aussicht darauf das Wohlverhalten von Bevölkerungen mit völlig verschiedenen kulturellen Prägungen".
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 31. August 2016: Verfassungsbeschwerde gegen Ceta / Sieg für Netzneutralität / PKH für Kik-Kläger . In: Legal Tribune Online, 31.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20428/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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