Ein "Grundrecht auf Sicherheit"? Nicht im Rechtsstaat. Außerdem in der Presseschau: Reform zur Bekämpfung der Zwangsprostitution, mögliche Tatwaffe im Fall O.J. Simpson aufgetaucht und neue V-Leute in Thüringen?
Thema des Tages
EuGH zu "Grundrecht auf Sicherheit": In einer Entscheidung vom 15. Februar diesen Jahres hat der Europäische Gerichtshof einen Eingriff in das Freiheitsrecht eines Asylsuchenden mit einem "Grundrecht auf Sicherheit" begründet. Die wissenschaftliche Assistentin Gabriele Buchholtz erläutert auf juwiss.de, warum ein solches Grundrecht im Balanceakt zwischen Freiheit und Sicherheit "mit unserem Rechtsstaatsverständnis und den wesentlichen Grundrechtsfunktionen unvereinbar" sei. Das Urteil sei daher restriktiv zu lesen, so die Autorin, der EuGH dürfte hier eine "staatliche Schutzpflicht […] im Rahmen des Untermaßverbots" gemeint haben.
Rechtspolitik
Zwangsprostitution: Die große Koalition hat sich grundsätzlich auf ein Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsprostitution geeinigt. Nach dem Entwurf sollen künftig Freier bestraft werden, die "willentlich und wissentlich die Zwangslage der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution ausnutzen". Straffreiheit sei vorgesehen, wenn der Freier Anzeige erstattet, meldet die SZ.
Ulrike Heidenreich (SZ) weist darauf hin, dass die geplante Strafreform als Ergänzung zum Prostitutionsschutzgesetz diene. Dies sei wegen der nach wie vor bestehenden Kritik an den geplanten Regelungen auch nötig. "Der große Wurf […] fehlt."
Erbschaftsteuer: "Wirtschaft beharrt auf Steuernachlass" – Wirtschaftsvertreter fordern weiterhin Nachbesserungen bei der Reform der Erbschaftsteuer. Der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates meint zudem, das Bundesverfassungsgericht werde nach dem 30. Juni nicht erneut eingreifen, wenn das Gesetzgebungsverfahren auf dem Weg sei und wehrt sich daher gegen Zeitdruck in den Verhandlungen, meldet die FAZ (Manfred Schäfers).
Niedersächsisches Sicherheitsgesetz: Nachdem eine 15-jährige mutmaßliche Islamisten eine Bundespolizistin in Niedersachsen mit einem Messer angegriffen hat, plant die Landesregierung, "auf die Erhöhung der Mindestaltersgrenze zu verzichten" und dem Verfassungsschutz die Befugnis zu lassen, Daten von Jugendlichen unter 16 Jahren zu speichern. Sie hatte 2014 vorgeschlagen, die Rechte des Amtes zu beschränken, meldet spiegel.de.
Von Teil- auf Vollzeit: Die IG Metall fordert ein gesetzlich verankertes Recht für Arbeitnehmer von Teil- auf Vollzeit zurückzukehren, meldet die Welt.
Justiz
BGH zu Rechtsbeugung: Die Revision des wegen Rechtsbeugung verurteilten Amtsrichters hat der Bundesgerichtshof in einer nun bekannt gewordenen Entscheidung vom 25. Februar als unbegründet verworfen. Das Landgericht Erfurt hatte ihn wegen Rechtsbeugung in sieben Fällen zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, nachdem er mehrfach mutmaßliche Verkehrssünder freigesprochen hatte, weil er die Akten der Straßenverkehrsbehörde bemängelte, meldet lto.de. "Ein äußerst seltener Fall", betont kanzlei-hoenig.de (Carsten R. Hoenig), denn die wenigen Gerichtsverfahren endeten in der Regel wegen fehlenden Rechtsbeugungsvorsatzes.
LG Rostock zu Brandanschlag: Das Landgericht Rostock hat zwei junge Männer zu einer Haftstrafe von jeweils fünf Jahren wegen versuchten Mordes und versuchter schwerer Brandstiftung verurteilt; sie hatten Molotowcocktails auf eine Flüchtlingsunterkunft geworfen. In dem Haus schliefen 38 Flüchtlinge – sie blieben unverletzt, da beide Feuer von selbst erloschen, schreibt die SZ (Annette Ramelsberger).
LG Braunschweig – VW: Die Welt (Nikolaus Doll/Philipp Vetter) setzt sich ausführlich mit der Klageerwiderung von VW auseinander, welche der Zeitung vorliegt. Die Klägerseite fühle sich in ihren Ansprüchen bestätigt, die Argumentation von VW sei "in mehreren Punkten sehr schwach". Sie hat nun drei Wochen Zeit, um auf den Schriftsatz zu reagieren.
LG Meiningen – Juwi: Das Landgericht Meiningen hat das Verfahren gegen den Gründer des Windparkbauers Juwi, Matthias Willenbacher, vertagt, nachdem die Verteidigung auf Einsicht in weitere Akten bestand, meldet das Hbl (Franz Hubik/Andreas Dörnfelder).
Recht in der Welt
USA – O.J. Simpson: Die Polizei von Los Angeles untersucht derzeit ein Messer, das die Tatwaffe im Mord an O.J. Simpsons Ex-Frau und ihrem Liebhaber gewesen sein könnte. Die SZ (Jürgen Schmieder) erinnert an das Verfahren gegen O.J. Simpson und hebt hervor, dass er wegen des "Double Jeopardy"-Grundsatzes nicht verurteilt werden könne, selbst wenn die Untersuchung ergäbe, dass er die Tat begangen hat.
China – MH370: Familien chinesischer Passagiere des verschwundenen Flugzeugs der Malaysia-Airline MH370 haben Entschädigungsklagen gegen die Fluggesellschaft, Flugzeug- und Triebwerkhersteller und die Allianz-Versicherung eingereicht. Sie fordern umgerechnet zwischen 1,4 und 9,8 Millionen Euro Entschädigung pro Passagier, unter anderem wegen der "schlechten Suche in der Anfangsphase" und der emotionalen Folgen. Die Kläger verlangen zudem, dass das Unglück aufgeklärt werde, meldet die SZ.
Belgien – geplante Klage wegen Bataclan: Die Angehörigen eines Opfers des Bataclan-Anschlags planen eine Klage gegen Belgien vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die belgischen Behörden hätten "ihre Verpflichtungen in Sicherheitsfragen verletzt", da die Islamisten trotz Überwachung nach Frankreich reisen und die Anschläge verüben konnten, meldet die FAZ.
Sonstiges
Neue V-Leute in Thüringen? Der neue Chef des thüringischen Verfassungsschutzes Stephan Kramer will wieder V-Leute in der rechten Szene einsetzen. Die Behörde sei auf die Informationen angewiesen; da andere Quellen fehlten, müsse das Land auf diese ultima ratio zurückgreifen. Die FAZ (Claus Peter Müller) gibt kritische Stimmen aus der Linken und der SPD wieder, welche beanstandeten, Kramer überschreite seine Kompetenzen. Rückendeckung gebe es aus der CDU. Auch SZ und zeit.de bringen Meldungen.
VW-Abgasskandal: "Hat das damalige Management alles unternommen, um das Desaster zu verhindern?" Mit dieser Frage befasst sich die Kanzlei Gleiss Lutz auf Auftrag des VW-Aufsichtsrats hin. Das Hbl (Martin Murphy/Volker Votsmeier) befasst sich mit den VW-internen juristischen Prüfungen um den Abgasskandal und betont dabei die besondere Rolle des derzeitigen Aufsichtsratschefs und ehemaligen Vorstands Hans Dieter Pötsch.
In einem separaten Artikel skizziert das Hbl (Dieter Fockenbrock/Axel Höpner) vergleichbare Schadensersatzverfahren von Unternehmen gegen (ehemalige) Vorstände, etwa von Thyssen-Krupp und der Deutschen Bank.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. März 2016: "Grundrecht auf Sicherheit"? / Freier in der Verantwortung / neues Verfahren gegen O.J. Simpson? . In: Legal Tribune Online, 08.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18681/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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