Der EuGH wird entscheiden müssen, ob die Verweigerung von Hartz IV auch bei Zuwanderern legitim ist, die zur Arbeitssuche kamen. Außerdem in der heutigen Presseschau: Das Anti-Terror-Strafrecht wird verschärft, Thomas Fischer über ausreichendes Sexualstrafrecht, keine Anklage gegen Özdemir wegen BtMG-Verstoß, aber Anklage im Fall Tuğçe, kein Völkermord an Serben und Kroaten und mit welchen Anliegen man Polizisten wohl lieber nicht behelligen sollte.
Thema des Tages
EuGH - Hartz IV: Im November 2014 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Deutschland an arbeitslose EU-Zuwanderer keine Hartz-IV-Leistungen zahlen muss, wenn die Betroffenen lediglich wegen der Sozialleistungen eingewandert seien. Seit dem gestrigen Dienstag wird nun vor dem EuGH der Fall Alimanovic verhandelt – hier wird zu entscheiden sein, ob die Verweigerung von Hartz-IV- Leistungen auch berechtigt ist, wenn der Zuwanderer zur Arbeitssuche nach Deutschland gekommen ist. Es wird zu klären sein, ob ausländische Arbeitssuchende bei Leistungen, welche mit dem Arbeitsmarkt zusammenhängen, gegenüber Inländern benachteiligt werden dürfen. Daher stelle sich die Frage, ob Hartz IV der bloßen Existenzsicherung diene oder vielmehr eine Hilfe zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt darstelle. Die SZ (Wolfgang Janisch) schildert den Fall und mögliche Antworten auf besagte Frage.
Rechtspolitik
Anti-Terror-Strafrecht: Am heutigen Mittwoch soll das Anti-Terror-Strafrecht verschärft werden. So sollen künftig Reisen in ein Krisengebiet und auch deren Versuch bestraft werden, wenn das Ziel "eine schwere staatsgefährdende Gewalttat" oder eine entsprechende Ausbildung sei. Des Weiteren solle ein eigener Straftatbestand für die Terrorismusfinanzierung eingeführt werden, welcher mit dem Wegfall der bisher bestehenden "Erheblichkeitsschwelle" einher gehe. Dies berichten die taz (Christian Rath), die FAZ (Eckart Lohse), die SZ ( Robert Rossmann) und die BerlZ (Christian Bommarius).
Christian Bommarius (BerlZ) moniert in einem separaten Kommentar, es handele sich lediglich um ein Symbol der "Ratlosigkeit im Kampf gegen den Terror". Die Bundesregierung verkaufe eine Maßnahme im Anti-Terror-Kampf, welche weder theoretisch noch praktisch als sinnvoll erachtet werden kann. Auch Heribert Prantl (SZ) kritisiert die geplante Regelung, er sieht im neuen Anti-Terror-Strafrecht eine "repressive Prävention – und diese auf die irrwitzige Spitze getrieben". Er kritisiert, der neue Straftatbestand, welcher die Ausreise von mutmaßlichen Terroristen in ein "verdächtiges Land" kriminalisieren soll, knüpfe entgegen strafrechtlichen Prinzipien bereits an eine harmlose angebliche Vorbereitungshandlung an.
Reform des Sexualstrafrechts: Braucht das deutsche Strafrecht eine Ergänzung zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung? Der Bundesrichter Thomas Fischer berichtet auf zeit.de von seinen Erfahrungen als Sachverständiger im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz im Deutschen Bundestag, welcher sich mit dieser Frage im Zusammenhang mit der Umsetzung einer entsprechenden Konvention des Europarates befasste. Fischer legt ausführlich dar, weshalb eine etwaige Schutzlücke seiner Ansicht nach nicht bestehe und moniert, dass eine Verschärfung des Strafrechts auch die Beschränkung von Freiheitsrechten bedinge.
Die Krux der Syndikusanwälte: Anlässlich des geplanten Gesetzentwurfes zur Rentenversicherung von Unternehmensjuristen berichtet die FAZ (Corinna Budras) über deren Nachteile gegenüber den "Kollegen in den Kanzleien" und über Reaktionen auf die entsprechenden Urteile des Bundessozialgerichts. So meint der Zivilrechtsprofessor Hanno Merkt, "das Bild, das sich die Richter von Hausjuristen machten", sei "völlig veraltet". Die geplante Regelung soll Unternehmensjuristen von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreien und die Nutzung des berufsständischen Versorgungswerks ermöglichen.
Kirchenasyl: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge will künftig Flüchtlinge im Kirchenasyl als "untergetaucht" behandeln – mit der Folge, dass eine Abschiebung in die EU-Ersteinreiseländer bis zu 18 Monate lang möglich ist. Die SZ (Heribert Prantl) schildert ausführlich die derzeitige "Kirchenasyl-Bewegung", denn immer mehr Kirchengemeinden wollen Flüchtlingen durch Kirchenasyl als "ultima ratio" "Schutz und Hilfe" zukommen lassen. Sie sähen hierin keinen "Bruch des Rechts", sondern eine "lebendige Petition im Sinn des Artikels 17 Grundgesetz".
Mindestlohn und Europarecht: Der Professor i. R. für europäisches Arbeitsrecht Wolfgang Däubler erklärt auf lto.de ausführlich, weshalb der Mindestlohn für Transitfahrer durch Deutschland seines Erachtens nach anwendbar und europarechtskonform ist.
Justiz
EuGH - Brennelementesteuer: Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Maciej Szpunar vertritt in seinem am gestrigen Dienstag vorgestellten Schlussantrag die Ansicht, die deutsche Brennelementsteuer verstoße nicht gegen Europarecht. Der EuGH befasse sich mit dieser Frage aufgrund einer Vorlage des Finanzgerichts Hamburg, vor dem die Atomkraftwerkbetreiber Eon und RWE geklagt hatten. Zudem werde das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit besagter Brennelementsteuer entscheiden müssen. Das Urteil des EuGH sei in einigen Monaten zu erwarten, so die FAZ (Werner Sturbeck/Joachim Jahn) und die taz (Christian Rath).
StA Berlin zu Cem Özdemir: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat das Verfahren gegen Cem Özdemir wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingestellt. Die Ermittlungen waren wegen einer Hanfpflanze auf seinem Balkon eingeleitet worden. Dies meldet die FAZ.
LG Leipzig zu Kita-Anspruch: Die Stadt Leipzig hat den Anspruch auf einen Betreuungsplatz bei drei Elternpaaren nicht erfüllt und wurde nun vom Landgericht Leipzig zur Zahlung von Schadensersatz wegen einer entsprechenden Amtspflichtverletzung verurteilt. Laut dem Juristen Reinhard Wiesner, welcher das Klageverhalten von Eltern erforscht hat, sei allerdings nicht mit einer Vielzahl von Klagen zu rechnen. Im Interview mit der SZ (Ulrike Heidenreich) erläutert er die Ergebnisse seiner Forschung, so sei ein Grund für die geringe Verfahrenszahl, dass Eltern wohl die Mühe scheuten, vor Gericht die Kausalität von fehlendem Betreuungsplatz und Arbeitsausfall zu belegen.
OLG München - NSU: Am gestrigen Verhandlungstag sagte – auf Antrag der Verteidigung Ralf Wohllebens hin – der Zeuge Enrico R. im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München aus. Er sollte darlegen, dass das "NSU-Trio nicht auf Unterstütztungsleistungen Wohllebens angewiesen" gewesen sei, bekundete jedoch, diesbezüglich keine Kenntnisse zu haben. Der ebenfalls am gestrigen Dienstag vernommene Zeuge Robby H. gab an, das Trio nicht gekannt zu haben, hielt jedoch fest, dass damals "alle ausländerfeindlich" gewesen seien. Über den Verhandlungstag informiert spiegel.de (Gisela Friedrichsen).
OLG Hamburg - Foto-Filter für Google?: In der Google-Suchmaschine werden immer wieder rechtswidrige Sexbilder des ehemaligen Präsidenten des Welt-Automobilverbands FIA Max Mosley angezeigt. Das Landgericht Hamburg hatte im Januar 2014 entschieden, dass Google für sechs bestimmte Fotos entsprechende Filter einrichten müsse, um die Verbreitung des rechtswidrigen Bildmaterials zu unterbinden. Gegen diese Entscheidung ging das Unternehmen in Berufung, es halte die Installation eines Filters für unverhältnismäßig und unzumutbar. Die Verhandlung begann am gestrigen Dienstag, die wohl zugunsten Mosleys ausfallende Entscheidung sei am 5. Mai zu erwarten, so die taz (Christian Rath).
StA Offenbach - Anklage im Fall Tuğçe: Die Staatsanwaltschaft Offenbach hat am gestrigen Dienstag im Fall Tuğçe Albayarak gegen den mutmaßlichen Täter Sanel M. wegen Körperverletzung mit Todesfolge Anklage erhoben. Ihm wird vorgeworfen, die Studentin geschlagen zu haben, welche daraufhin stürzte und später aufgrund der erlittenen schweren Kopfverletzungen verstarb. Das Verfahren soll vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts Darmstadt geführt werden, ein Haftprüfungstermin wurde verschoben. Darüber informieren die Welt (Hannelore Crolly), die SZ (Susanne Höll) und die FAZ (Ewald Hetrodt).
Generalbundesanwalt - Oktoberfestattentat: Ein ehemaliger Sprengstoffexperte des Bundeskriminalamts, welcher die Explosion des Oktoberfestattentats nachgestellt hatte, unterstützt die These, dass Gundolf Köhler das Attentat nicht alleine begangen habe. In der Nähe des Tatorts war eine Hand gefunden worden, welche wohl nicht Köhler, sondern einem anderen Mann gehören müsse – denn Köhlers Hand hätte "atomisiert" sein müssen. Eine weitere Zeugin, eine Krankenschwester, berichtet, sie habe damals einen Mann behandelt, dessen Unterarm abgerissen war – der Patient habe allerdings zur Herkunft seiner Verletzung geschwiegen. Dies schildert die SZ (Annette Ramelsberger) und stützt sich dabei auf Recherchen von Ulrich Chaussy, Reporter des Bayerischen Rundfunks.
Recht in der Welt
IGH zu Völkermord: Der Internationale Gerichtshof in Den Haag wies am gestrigen Dienstag Klagen gegen Serbien und Kroatien wegen Völkermordes zurück. Diese hatten sich gegenseitig des Genozids in den Jahren von 1991 bis 1995 an den jeweiligen Völkern beschuldigt und deswegen Schadensersatz gefordert. Die Richter urteilten, dass beide Parteien zwar "schwerste Verbrechen" verübt hätten, diese verstießen jedoch nicht gegen die Völkermord-Konvention der Vereinten Nationen, da es dabei nicht um die Vernichtung einer Volksgruppe gegangen sei. Von der Entscheidung und den Hintergründen der kriegerischen Auseinandersetzungen berichten die SZ (Stefan Ulrich), die taz (Erich Rathfelder) und die FAZ (Michael Martens).
Stefan Ulrich (SZ) begrüßt die Entscheidung in einem gesonderten Kommentar. Ein "Hindernis für eine Aussöhnung" sei so beseitigt worden, beide Parteien dürften erleichtert sein über die Beilegung des 16 Jahre andauernden Rechtsstreits. Ulrich mahnt jedoch, dass weiterhin eine strafrechtliche und gesellschaftliche Aufarbeitung der Taten notwendig sei, um eine "echte Versöhnung" zu ermöglichen.
Frankreich - Anklage gegen "Dieudonné": Am heutigen Mittwoch muss der französische Komiker "Dieudonné" sich wegen der "Verherrlichung des Terrorismus" vor Gericht verantworten. Die FAZ (Jürg Altwegg) nimmt dieses Strafverfahren zum Anlass, die entsprechende Rechtsgrundlage und das "Loi Gayssot", kritisch zu beleuchten. Das 1990 eingeführte Gesetz sollte dazu dienen, "rassistische, antisemitische oder fremdenfeindliche Akte" strenger zu ahnden.
Argentinien - Cristina Kirchner: Zwei Richter haben die Anklage gegen die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner nicht zugelassen. Ihr wird vorgeworfen, sie habe die Beteiligung mutmaßlicher iranischer Täter bei einem Anschlag auf ein jüdisches Kulturzentrum vertuscht, um die wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran nicht zu gefährden. Es stehe allerdings noch die Entscheidung eines Bundesgerichts über die Eröffnung eines entsprechenden Verfahrens gegen Kirchner aus. Von dem Fall und mutmaßlich gefälschten Beweisen berichten das Handelsblatt (Alexander Busch) und spiegel.de.
Sonstiges
"Der blinde Fleck": Am heutigen Mittwoch strahlt die ARD den Film "Der blinde Fleck" aus – einen Polit-Thriller zum Oktoberfestattentat "mit dokumentarischem Anspruch, der so unbefriedigend enden muss wie die Nachforschungen von Werner Dietrich und Ulrich Chaussy". Der Film zeigt die Hintergründe der Ermittlungen und der journalistischen Recherchen um das Oktoberfestattentat und wirft wohl die Frage auf, ob es sich hier nicht um "ähnliche Strukturen des Versagens und Ignorierens" "wie später bei den Verbrechen des "Nationalsozialistischen Untergrunds"" handele. Eine Filmvorschau bringt die FAZ (Matthias Hannemann).
Das Letzte zum Schluss
Pizzaservice unter 110?: Eine Frau wollte am vergangenen Samstag Abend eine Pizza bestellen. Da sie die Nummer des Lieferservices nicht zur Hand hatte, dachte sie sich wohl, sie wendet sich an die Polizei, des Menschen "Freund und Helfer", und wählte den Notruf 110. Die Polizisten sahen sich allerdings nicht zuständig für die Vermittlung von Pizzalieferdiensten, sondern in dem Verhalten der Frau vielmehr eine Straftat wegen des Missbrauchs von Notrufen. Von der wohl ziemlich teuren Pizzabestellung berichtet Detleff Burhoff in seinem Blog.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. Februar 2015: EuGH und Hartz IV – Mehr Anti-Terror-Strafrecht – Thomas Fischer zu Sexualstrafrecht . In: Legal Tribune Online, 04.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14572/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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