Das BVerfG will Fragen nach der Abstammung nicht immer beantworten. Außerdem in der Presseschau: strafbares Grapschen, Kirchensteuer für Muslime und warme Jacken für Polizeianwärter.
Thema des Tages
BVerfG zu Abstammungsklärung: Das Grundgesetz gewährt keinen Anspruch auf isolierte (rechtsfolgenlose) Klärung der Abstammung gegenüber einem mutmaßlichen leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater, entschied das Bundesverfassungsgericht. Klärungsbegehren "ins Blaue hinein" würden die Grundrechte des betroffenen Mannes (und seiner Familie) erheblich beeinträchtigen, so das Gericht. Daher ginge hier die verfassungsrechtliche Abwägung zulasten des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus. Der Gesetzgeber habe allerdings die Möglichkeit, die isolierte Abstammungsprüfung nach § 1598a des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch auf mutmaßliche nicht rechtliche Väter auszuweiten – dies sei verfassungsrechtlich zulässig, aber nicht verpflichtend. Im vorliegenden Fall ist Inge Lohmann mit ihrer Verfassungsklage gescheitert, mit deren Hilfe sie klären wollte, ob der Mann, den sie für ihren Vater hält, auch ihr Vater ist, schreiben Tsp (Jost Müller-Neuhof), SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath) und FAZ (Helene Bubrowski). Ausführlich dazu auch lto.de (Pia Lorenz).
Wolfgang Janisch (SZ) moniert, die Karlsruher Richter legten einen "Mantel des Schweigens" über ungeklärte Herkunftsverhältnisse – es sei ein schlechter Grund, den Familienfrieden des potentiellen Vaters der "für die Identität so prägenden Kenntnis des biologischen Vaters" vorzuziehen. Ein guter Grund sei allerdings, dass das Gericht nicht in die Reformvorhaben bezüglich des Abstammungsrechts eingreifen wollte. Jost Müller-Neuhof (Tsp) hält es ebenso für richtig, dass das BVerfG dem Gesetzgeber die Entscheidung überlässt, den nötigen Ausgleich zwischen den Rechten der Kinder und mutmaßlichen Väter zu schaffen. Er mahnt allerdings, die Politik solle behutsam vorgehen, um den familiären Frieden nicht zu gefährden.
Rechtspolitik
Strafbares Grapschen: Die große Koalition will tätliche sexuelle Belästigung – sogenanntes Grapschen – künftig mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe ahnden. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) stehe dem Vorhaben offen gegenüber, weiß zeit.de. Es bestehe noch die Möglichkeit, diese Reform mit in das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Verschärfung des Sexualstrafrechts aufzunehmen.
Sexistische Werbung: "Nicht der Sex, [...] nicht die Freiheit des Gedankens und der Assoziation sind verachtenswert, pervers oder strafwürdig, sondern die sozialen Strukturen, die solche Träume in einen Bereich der Warenwelt ausgrenzen." Bundesrichter Thomas Fischer zerpflückt auf zeit.de das geplante Verbot sexistischer Werbung und mokiert sich auch über den Unsinn anderer Verbote.
Moscheensteuer: CSU-Politiker Alexander Radwan setzt sich für eine "Moscheensteuer" ein – eine Steuer vergleichbar mit der Kirchensteuer, über die sich islamische Glaubensgemeinschaften finanzieren könnten. Der SZ (Robert Rossmann) sagte er, dass dieses Vorhaben Hand in Hand mit dem Verbot ausländischer Finanzierung deutscher Moscheen gehen solle.
EU-Datenschutzgrundverordnung: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) konstatiert, es sei noch ein weiter Weg, bis die EU-Datenschutzgrundverordnung zu Rechtssicherheit führe. Zum einen, weil viele Rechtsbegriffe noch der Auslegung bedürfen, zum anderen, weil sich die EU-Datenschützer in Einzelfragen abstimmen müssen, um zu gewährleisten, dass das Recht einheitlich bleibt.
Mietrechtsreform: Der Fachanwalt für Mietrecht Dominik Schüller erläutert auf lto.de den Entwurf des zweiten Mietrechtsnovellierungsgesetzes – dieses sei ein "wirksameres Paket" insbesondere gegen extreme Mietsteigerungen. Etwa solle eine Mitspiegelverordnung Rechtsunsicherheiten bei Mieterhöhungen entgegen wirken.
Pflegebetrug: Wie kann Betrug in Alten- und Krankenpflege eingedämmt werden? Die Bundesregierung hat die gesetzliche Krankenversicherung dazu aufgefordert entsprechende Vorschläge zu machen. Die FAZ (Andreas Mihm) informiert über die Ermittlungen in Sachen organisierter Pflegebetrug und über die Maßnahmen des Gesetzgebers.
Autoabgase: Andere Autohersteller als VW nutzten angeblich, schreibt Thomas Fromm (SZ), mit einer trickreichen Methode ein "Schlupfloch für Stickoxide", um so unter bestimmten Bedingungen die Abgasreinigung rechtmäßigerweise herabsetzen zu können. Fromm fordert (gerade nach dem VW-Abgasskandal), dass der Gesetzgeber diese Gesetzeslücken schließt.
Justiz
BVerfG – Bundeskriminalamt: Am heutigen Mittwoch entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde in Sachen Überwachungsbefugnisse des 2009 novellierten BKA-Gesetzes. deutschlandfunk.de (Ina Rottscheidt) beschreibt anhand des Beispiels eines Investigativjournalisten, welche Folgen die Überwachung der Presse haben kann und gibt einen ausführlichen Überblick über die derzeitigen Befugnisse. Der Beitrag stellt zudem verschiedene Pro- und Kontra-Stimmen zum Gesetz dar.
LG Düsseldorf zu Theo Zwanziger: Der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger darf Katar als "Krebsgeschwür des Weltfußballs" bezeichnen. Dies entschied das Landgericht Düsseldorf. Die Aussage sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt, da Zwanziger sie berechtigterweise in der öffentlichen Debatte um die WM-Vergabe tätigte, meldet lawblog.de (Udo Vetter). Die taz (Marcus Bark) berichtet zudem, dass das Zivilverfahren um die Unterlassungsklage von Günter Netzer gegen Zwanziger am 27. April anstehe sowie ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung.
LG München I – Deutsche Bank-Prozess: Den gestrigen Verhandlungstag im Deutsche Bank-Verfahren füllten die Plädoyers der Verteidiger. Es sei eine Farce, dass das Urteil noch nicht gefallen sei, denn Peter Noll habe bereits darauf hingewiesen, dass es auf einen Freispruch für alle Angeklagten hinaus laufen werde, schreibt die SZ (Harald Freiberger). Das Urteil werde kommenden Montag erwartet. Auch die Welt (Philipp Vetter) und das Hbl (Michael Brächer/Kerstin Leitel) berichten.
LG Lüneburg – Vorteilsannahme: Der wegen Vorteilsannahme vor dem Landgericht Lüneburg angeklagte ehemalige Oberstaatsanwalt gab an, vermindert schuldfähig gewesen zu sein, als er 6.000 Euro von einem Ex-Dolmetscher der Staatsanwaltschaft annahm. Die SZ (Thomas Hahn) schreibt über die Verwirrungen des Falls.
AG Dresden – Lutz Bachmann: Am ersten Verhandlungstag im Volksverhetzungs-Verfahren vor dem Landgericht Dresden schwieg der Angeklagte Lutz Bachmann. Seine Anwältin wies die Vorwürfe zurück. Ihr Mandant habe die fraglichen Posts (welche zudem von der Meinungsfreiheit gedeckt seien) nicht selbst verfasst. Sie hat beantragt, das Verfahren einzustellen. FAZ (Stefan Locke), taz (Michael Bartsch) und SZ (Cornelius Pollmer) informieren über den Stand des Verfahrens.
BAW – Gruppe Freital: Die SZ (Hans Leyendecker) setzt sich mit dem Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen die Gruppe Freital auseinander – die Polizei hat nun fünf Verdächtige festgenommen. Dabei geht der Beitrag auch auf weitere Verfahren gegen rechte Terroristen ein und erklärt, wann die BAW zuständig ist und wie die Staatsanwaltschaften der Länder mit ihr zusammenarbeiten. Auch die taz (Christian Rath) informiert über die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts (insbesondere bei politisch motivierten Straftaten) und skizziert, wie Peter Frank seinen diesbezüglichen Entscheidungsspielraum einsetzt.
"Rechter Terror gehört nicht vors Amtsgericht", meint Karsten Polke-Majewski (zeit.de). Er betont, wie wichtig es ist, dass die Bundesanwaltschaft im Falle der Freitaler Bürgerwehr wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt – ein Zeichen an die Justiz. Im Gegensatz zur BAW sah die Dresdner Staatsanwaltschaft die vorgeworfenen Taten als zusammenhangslos an. Auch Heribert Prantl (SZ) begrüßt, dass die BAW den rechten Terror nicht bagatellisiert. "Ein starker Staat ist ein Staat, der diesen Terror nicht verharmlost."
Recht in der Welt
Russland – Verfassungsgericht ignoriert EGMR: Erstmals seit Inkrafttreten eines Gesetzes, welches russischen Gerichten erlaubt internationale Rechtsprechung zu übergehen sollte nationales Recht entgegen stehen, hat das russische Verfassungsgericht sich über die Rechtsprechung des EGMR hinweggesetzt. Die Richter verweigerten Inhaftierten ihr aktives Wahlrecht, meldet die FAZ (Friedrich Schmidt).
USA – Google Books: Der Oberste Gerichtshof der USA hat entschieden, dass Google für seine Anwendung Google Books sämtliche Bücher auf dem amerikanischen Markt digitalisieren darf, ohne dass die Urheber zustimmen. Die amerikanische Autorenvereinigung (Authors Guild) sieht es als "kolossale Niederlage" an, dass das Gericht ihre Revision verworfen hat. Die Entscheidung betrifft auch die Übersetzungen deutscher Autoren. zeit.de (Friedhelm Greis), FAZ (Patrick Bahners) und SZ (Johannes Boie) schildern den Rechtsstreit.
Österreich – Mordermittlungen im Fall Priklopil: Der Bruder des Leiters der Sonderkommission Kampusch hat bei der Wiener Oberstaatsanwaltschaft eine Strafanzeige gegen unbekannt wegen Mordes eingereicht – er bezweifelt, dass Klaus Priklopil (der Entführer von Natascha Kampusch) sich selbst umgebracht hat. spiegel.de (Julia Jüttner) liegt ein rechtsmedizinisches Gutachten vor, demzufolge auch ein Fremdverschulden in Frage komme.
Brasilien – Dilma Roussef: Boris Herrmann (SZ) betont, das Amtsenthebungsverfahren gegen die brasilianische Präsidentin Dilma Roussef zeige "putschartige Züge". Da ihr kein schweres Verbrechen vorgeworfen werden könne, erlaube die brasilianische Verfassung ihre Absetzung nicht. Herrmann meint, eine korrupte Clique versuche ohne Wählerauftrag die Macht zu erlangen und greife dabei Verfassung und Volkssouveränität schamlos an.
Sonstiges
Briefkastenfirmen: Die Juristen Marc-Philippe Weller und Leonhard Hübner legen in einem FAZ-Gastbeitrag ausführlich dar, wann der Europäische Gerichtshof Briefkastenfirmen in EU- oder EWR-Ländern für zulässig erachtet und erläutern, dass dies nicht für entsprechende Firmen in anderen Staaten gelte.
Das Letzte zum Schluss
Bibbernde Polizisten: Die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam - deshalb dürfen sich 50 Polizeianwärter, die im Herbst ihre Ausbildung in Thüringen begonnen haben, pünktlich zum Frühlingsbeginn endlich über ihre Winterjacken freuen. Grund für die Verzögerung sei, laut Landespolizeidirektion, dass die Entscheidung über die Einführung neuer Parkas noch ausgestanden habe, meldet die Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20. April 2016: BVerfG begrenzt Abstammungsklärung / Haft für Grapscher / Kirchensteuer für Muslime . In: Legal Tribune Online, 20.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19137/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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