Das BVerfG wird das BKA-Gesetz wohl beanstanden. Außerdem in der Presseschau: Thomas Fischer rügt "Richter im Jedermann", Plädoyers im Auschwitzprozess und erster Verhandlungstag mit Zschäpes neuem Pflichtverteidiger.
Thema des Tages
BVerfG – BKA-Gesetz: Die Äußerungen der Bundesverfassungsrichter bei der Verhandlung über das novellierte BKA-Gesetz lassen vermuten, dass sie das Gesetz für korrekturbedürftig erachten werden, schreiben SZ (Wolfgang Janisch), Badische Zeitung (Christian Rath), Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof) und FAZ (Helene Bubrowski). Die Richter kritisierten unter anderem, dass bei einigen Maßnahmen der Gefahrenabwehr der Gefahrenbegriff zu vage formuliert sei. Der Erste Senat hatte 2005 entschieden, dass entsprechende Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger eine konkrete Gefahr voraussetzen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte bei der Verhandlung betont, die umstrittenen Befugnisse seien nach wie vor notwendig und würden "maßvoll" eingesetzt. Das Urteil des Karlsruher Richter wird im Herbst erwartet.
In einem separaten Kommentar hebt Wolfgang Janisch (SZ) hervor, dass die "Sicherheitsgesetze" zur Bekämpfung von Terrorismus "einen Prozess der permanenten Entgrenzung" durchliefen. Das "Vorfeld" der Straftaten reiche inzwischen "bis zum Horizont". "Rechtsstaatliche Korrekturen" könnten die Behörden daher auch vor dem Hintergrund des Terrorrisikos "gut verkraften".
Rechtspolitik
Syndikusanwälte: Der Gesetzentwurf zur Stellung der Syndikusanwälte sieht nicht nur vor, dass diese sich künftig von der Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenkasse befreien lassen können, sondern auch, dass Unternehmen bei fehlerhafter Beratung ihre Anwälte in Regress nehmen können. Dies schreibt die FAZ (Joachim Jahn). Unter anderem die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände fordert, die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung müssten auch weiterhin für Syndizi gelten.
TTIP: Die Mehrheit des EU-Parlaments wird wohl am heutigen Mittwoch in einer Resolution den Zielvorgaben für TTIP zustimmen – allerdings unter Auflagen. Insbesondere solle statt privater Schiedsgerichte ein Gerichtshof mit öffentlich benannten, unabhängigen Richtern und Berufungsinstanz eingeführt werden. Die Resolution des EU-Parlaments bindet die EU-Kommission zwar nicht – die Stellungnahme ist allerdings relevant, da das Parlament dem Abkommen am Ende der Verhandlungen zustimmen muss. Die SZ (Thomas Kirchner) fasst den bisherigen TTIP-Diskurs im EU-Parlament zusammen.
Erbschaftsteuer: Am heutigen Mittwoch soll das Kabinett den Gesetzentwurf zur Erbschaftsteuer beschließen. Donata Riedel (Handelsblatt) erklärt, warum die geplante Regelung Firmenerben nicht "in Schrecken versetzen muss". Unter dem Titel "mutloses Reförmchen" kritisiert Ulrich Schulte (taz) die geplante Erbschaftsteuerreform – die Koalition ignoriere "eine geradezu groteske Ungerechtigkeit im deutschen Steuerrecht". Formal könne sie den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zwar genügen, allerdings wirke sie nicht der Verfestigung sozialer Ungleichheit entgegen.
Justiz
OLG München - NSU: Das Oberlandesgericht München hat Zschäpes neuem Pflichtverteidiger Mathias Grasel auf dessen Antrag hin Zeit gewährt, um sich einen Überblick über den Verfahrensstoff zu verschaffen, und strich die Verhandlungstermine dieser Woche sowie zwei weitere im Juli. Seine Bestellung dient, laut Bundesanwalt Herbert Diemer, der "Sicherung des Verfahrens". Gegenüber ihrem neuen Verteidiger zeigte sich Zschäpe "gelöst". taz (Konrad Litschko) und FAZ (Karin Truscheit) informieren über Grasel selbst und seine Rolle im Verfahren – ein Strategiewechsel sei bisher nicht geplant.
Am gestrigen Verhandlungstag hätte ein Thüringer Kriminalpolizist Informationen zu Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mit dem Gericht teilen sollen. Auch Tom T. hätte als Zeuge aussagen sollen – er soll zusammen mit Ralf Wohlleben Mitglied der rechtsradikalen "Kameradschaft Jena" gewesen sein. Die taz (ko) gibt einen kurzen Zwischenbericht zu den Befragungen von "Umfeldzeugen" und einen Ausblick auf das weitere gerichtliche Vorgehen.
lawblog.de meint, vier Pflichtverteidiger für Beate Zschäpe seien nicht "dramatisch viel" und erklärt, warum mehrere Verteidiger in Großverfahren grundsätzlich angemessen sind. Der Beitrag resümiert kurz Fakten über Anzahl und Kosten von Pflichtverteidigern.
Mathias Grasel: Im Profil der SZ (Annette Ramelsberger) steht der vierte Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe, Mathias Grasel. Dieser genieße ihr Vertrauen – seine Bestellung solle die Angeklagte wohl verhandlungsfähig halten. Der "Durchstarter" – Grasel erhielt bereits im Alter von 26 Jahren die Anwaltszulassung – will Zschäpe in dem anspruchsvollen Verfahren "eine Verteidigung nach ihrem Wunsche" zukommen lassen. Es bleibe abzuwarten, ob diese sich dem neuen Verteidiger auch öffne.
LG Lüneburg – Auschwitzprozess: Im Auschwitzprozess vor dem Landgericht Lüneburg hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren für Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen gefordert. Die Anklage hält ihm unter anderem sein hohes Alter und sein Geständnis zugute. spiegel.de (Wiebke Ramm) kennt zudem das Plädoyer des Nebenklägeranwalts Thomas Walther – dieser forderte allerdings kein bestimmtes Strafmaß. Auch die SZ (Hans Holzhaider) und die Berliner Zeitung (Christian Bommarius) informieren.
LG München I – Deutsche Bank: Christiane Serini, die Anklägerin im Deutsche-Bank-Verfahren vor dem Landgericht München I, war im selbigen Prozess als Zeugin geladen. Im Ermittlungsverfahren hatte sie den ehemaligen Bankvorstand Michael Cohrs verhört und sagte nun darüber aus. Kirch habe ihm ein Beratungsmandat angeboten, welches er allerdings abgelehnt hatte, meldet die FAZ.
Peter Noll: Der Richter am Landgericht München I Peter Noll ist ein "Menschenfreund". Zu dieser Feststellung kommt die SZ (SRY) in der Rubrik "Personalien", nachdem Noll am gestrigen Verhandlungstag Anklage wie Verteidigung angesichts der hohen Temperaturen erlaubte, sich ihrer Roben zu entledigen.
Berufsrichter und "Richter im Jedermann": Nachdem der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer auf zeit.de die "Richter im Jedermann" (Laien, aber auch Juristen, die sich zu Richtern im Alltag aufschwingen) rügt, schildert er ausführlich die Karriere von Berufsrichtern – vom Studium bis zur Wahl der Richter an Obersten Bundesgerichten. Dabei weist Fischer auch auf die kritischen Punkte in den jeweiligen Karrierestadien hin und erlaubt Einblicke darin, wie die Justiz funktioniert.
Recht in der Welt
USA – Boston-Attentat: Der wegen des Bostonattentats zum Tode verurteilte Dschochar Zarnajew plant die Entscheidung anzufechten. Einen entsprechenden Antrag haben seine Verteidiger gestellt, meldet spiegel.de.
Sonstiges
Mitführen von Leichen auf Versammlung: Das Zentrum für Politische Schönheit hat bei der Anmeldung ihrer Versammlung vergangenen Juni angekündigt, dass es Tote überführen werde. Nachdem die Versammlungsbehörde nicht feststellen konnte, ob die Veranstalter dies tatsächlich beabsichtigen, verbot sie vorsorglich das "Mitführen von Leichen" – nur so könne das postmortale Persönlichkeitsrecht geschützt werden. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Jacob Roggon erläutert auf juwiss.de ausführlich, weshalb hier das Mitführen von Leichen verfassungsrechtlich schützenswert wäre.
NSU-U-Ausschuss: Der baden-württembergische NSU-Untersuchungsausschuss hat ein "strukturelles Versagen der Behörden beim Bekämpfen rechtsextremer Tendenzen" aufgedeckt, teilt die taz mit. So seien Ermittlungs- und Disziplinarverfahren gegen zwei Polizeibeamte aus Schwäbisch Hall, welche sich einer Ku-Klux-Klan-Gruppe angeschlossen hatten, verzögert worden. Letztlich konnten die beiden Beamten daher lediglich gerügt werden – sie befinden sich nach wie vor im Polizeidienst.
Das Letzte zum Schluss
Gefälschte Kondome: Solche Sachen beschlagnahmt die italienische Polizei bestimmt nicht alle Tage: Die Beamten konfiszierten am römischen Flughafen Leonardo da Vinci 600.000 Kondome. Die gefälschten Pariser seien in perfekt imitierten Packungen gängiger Marken transportiert worden – im Gegensatz zu den echten seien sie allerdings gesundheitsgefährdend. Dies meldet spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. Juli 2015: BKA-Gesetz in der Kritik – Plädoyers im Auschwitzprozess – "Richter im Jedermann" . In: Legal Tribune Online, 08.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16127/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
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