Die juristische Presseschau vom 12. November 2015: de Mai­zières Allein­gänge / Fami­li­en­ar­beits­zeit / Kenn­zeich­nungspf­licht für Israel

12.11.2015

Der Innenminister hat die Kanzlerin vor Wiederanwendung von Dublin nicht unterrichtet. Außerdem in der Presseschau: flexible Arbeitszeiten für Familien, BGH zu Markenwerkstatt und Siedlungsprodukte müssen künftig gekennzeichnet werden.

Thema des Tages

de Maizières Alleingänge: Wie zeit.de berichtet, wussten Bundeskanzlerin Merkel und Flüchtlingskoordinator Altmaier nichts von der Entscheidung des Innenministers de Maizière, das Dublin-Verfahren bei syrischen Flüchtlingen wieder anzuwenden. Christian Rath (taz) sieht darin schon den zweiten Alleingang de Maizières innerhalb weniger Tage. Er verzichte nicht nur darauf, sich mit der Regierung abzustimmen, sondern halte sein Vorgehen tage- und wochenlang geheim, was unter normalen Umständen ein Entlassungsgrund sei. Die Opposition sei darüber empört und werfe dem Koalitionspartner mangelnde Absprache vor, schreibt die taz (Daniel Bax). Durch die von de Maizière verfügte und von der Union beklatschte Rückkehr zum Dublin-Verfahren und Aussetzung des Familiennachzugs für Syrer konterkariere die Union die Willkommenspolitik ihrer Kanzlerin, analysiert Till Hoppe (HB).

Nach Einschätzung der FAZ (Eckart Lohse/Julian Staib) setzt der Innenminister bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise nun auf Symbolpolitik, die den Zustrom vor allem syrischer Flüchtlinge, der nach der öffentlichkeitswirksamen Aufhebung des Dublin-Verfahrens im August angestiegen war, verringern soll. Wie die BadZ (Christian Rath) anmerkt, ist Dublin dabei momentan ohnehin nur noch eine Idee, weil die Außengrenzen durchlässig seien und die EU-Randstaaten Flüchtlinge unregistriert passieren ließen.

Die pauschale Begrenzung des Familiennachzugs kritisiert Nürnbergs Oberbürgermeister Maly im Interview mit welt.de (Karsten Kammholz) als Integrationshindernis. Lob kommt dagegen aus Österreich, wo die Wiederaufnahme des Dublin-Verfahrens von Innenministerin Mikl-Leitner als eine "Rückkehr zur Vernunft" bezeichnet wurde, weiß die FAZ (Stephan Löwenstein) zu berichten.

Rechtspolitik

Zukunftsfähige Flüchtlingspolitik: Für eine Aktivierung der Massenzustromrichtlinie, die von der EU 2001 noch unter dem Eindruck der Jugoslawienkriege beschlossen worden war, sprechen sich die Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration Christine Langenfeld und der Vorsitzende des Expertenrates für Integration beim österreichischen Außenministerium Heinz Faßmann in der FAZ aus. Die Richtlinie ermögliche eine kollektive und für die Zeit des Konfliktes andauernde Schutzgewährung, entlaste durch den Wegfall des individualisierten Prüfverfahrens das Asylsystem und hebe die Notwendigkeit einer europäischen Lasten-und Verantwortungsteilung hervor.

Verfassung für Europa: Auf verfassungsblog.de spricht sich der Professor für Europarecht Matej Avbelj in englischer Sprache für eine Wiederaufnahme des europäischen Verfassungsdialogs aus. Die Wirtschaftskrise habe zu einer politischen Krise geführt, die sich bestens für einen Verfassungsgebungsprozess eigne. Dieser müsse begonnen werden, bevor es zu spät dafür sei. Denn die Lehren der Geschichte hätten gezeigt, dass Probleme, die mehr als einen Staat beträfen, nur gemeinsam zu lösen seien.

Insolvenzordnung für Staaten: Im HB bezeichnet der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Clemens Fuest eine Insolvenzordnung für Staaten in der Euro-Zone als unabdingbar und macht konkrete Vorschläge dafür, wie das Verfahren ausgestaltet sein könnte. Nur so sei eine Disziplinierung der Schuldenpolitik zu erreichen.

Vorratsdatenspeicherung: Die SZ (Jan Stremmel) widmet sich den "Cybercops", Deutschlands modernster Spezialeinheit für Cybercrime, der Zentralstelle für Internetkriminalität (ZIT). Von dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung erhoffen sich die Ermittler verbindliche Regeln und einheitliche Speicherfristen.

Netzneutralität: Garantierte Verbindungsqualitäten und Netzneutralität schließen sich nicht aus, konstatiert der Präsident von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften Henning Kagermann in der FAZ. Anstelle des "Best-Effort"-Prinzips könne eine Mindestgeschwindigkeit für den diskriminierungsfreien Zugriff auf alle Internetinhalte als Ziel des Netzausbaus verankert werden und gleichzeitig höhere garantierte Übertragungsraten für sicherheitsrelevante Dienste ermöglicht werden, die diese wirklich brauchen.

Suizidhilfe: Nach Wahrnehmung des Chefarztes Thomas Pollmächer in der SZ bringt das Gesetz zur Suizidhilfe langerwartete Klarstellung. Die neue Rechtslage unterstütze Ärzte zusammen mit dem Berufsrecht dabei, nicht in die Versuchung zu geraten, einzelne Gewissensentscheidungen zu umgehen, indem die Suizidassistenz zum wiederkehrenden Bestandteil ihrer Tätigkeit gemacht werde.

Familienarbeitszeit: Über das von Familienministerin Schwesig beworbene Modell einer flexiblen wöchentlichen Arbeitszeit von 28 bis 32 Stunden für beide Elternteile, bei staatlichem Lohnausgleich, berichtet die SZ (Constanze von Bullion). Das Modell wurde vom Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung entwickelte und geht auf die Berliner Soziologin Jutta Allmendinger zurück, die angesichts steigender Lebenserwartung fordert, die Lebensarbeitszeit zu strecken.

Arbeitskampfrecht: Angesichts des arbeitsgerichtlichen Hin und Her um den Streik des Kabinenpersonals der Lufthansa fordert der Direktor des Instituts für Arbeitsrecht Gregor Thüsing im HB von der Regierung, ausufernde Streiks nicht allein der Justiz zu überlassen. Es sei Zeit für ein Arbeitskampfrecht, wie es zurzeit im Bundesrat vom Land Bayern gefordert werde.

Lex VW:Der VW-Skandal müsse Anlass für eine Gesetzesinitiative sein, meint der Privatdozent Paul J. J. Welfens in der Zeit. Vorbild könne das amerikanische Sarbanes-Oxley-Gesetz sein, das 2002 schärfere Vorschriften für das Finanzcontrolling und härtere Regeln zur Verantwortlichkeit der Unternehmensführer gebracht habe. Ein analoges Emissionsdaten-Gesetz für die EU sei wünschenswert.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 12. November 2015: de Maizières Alleingänge / Familienarbeitszeit / Kennzeichnungspflicht für Israel . In: Legal Tribune Online, 12.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17521/ (abgerufen am: 03.07.2024 )

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