Die Mitgliedstaaten sollen jetzt doch über CETA abstimmen. Außerdem in der Presseschau: Die Strafbarkeit der Teilnahme an Autorennen soll ausgeweitet werden und der Zwangsabstieg vom SV Wilhelmshaven war wohl rechtswidrig.
Thema des Tages
CETA: Die EU-Kommission will das Freihandelsabkommen CETA nun doch als gemischtes Abkommen behandeln und die Mitgliedstaaten über den Vertrag abstimmen lassen, berichtet spiegel.de (Markus Becker). Erst letzte Woche hatte Kommissionschef Jean-Claude Juncker das Gegenteil angekündigt und war damit auf starken Protest aus den Mitgliedstaaten gestoßen. Laut SZ (Thomas Kirchner) hofft die Kommission, dass die Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten noch juristisch gestoppt wird. Für Ende des Jahres werde mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Freihandelsabkommen mit Singapur gerechnet.
Alexander Mühlauer (SZ) sieht durch die Entscheidung die Machtfrage zwischen Mitgliedstaaten und Kommission geklärt. Die nationalen Regierungen müssten jetzt jedoch ihren Bürgern erklären, warum ein Großteil des Inhalts von CETA schon vor den nationalen Abstimmungen vorab in Kraft gesetzt wird. Reinhard Müller (FAZ) begrüßt die Entscheidung, meint jedoch, dass nach Junckers erster Ankündigung "weiteres Porzellan schon zerschlagen" sei.
Rechtsprofessor Joachim Wieland erläutert auf lto.de die juristische Streitfrage um die sogenannten "gemischten Abkommen". Für ihn ist der Zank überflüssig und die Lage eindeutig: Schon wegen der Einführung von Schiedsgerichten müssten die Mitgliedstaaten zustimmen. In einem Gastbeitrag für die FAZ gehen die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland zwar nicht auf die Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten ein, bewerben CETA jedoch als "das fortschrittlichste und progressivste Abkommen seiner Art, das es je gab".
Rechtspolitik
Sexualstrafrecht: Die taz (Christian Rath) erläutert die geplanten Verschärfungen des Sexualstrafrechts. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) weist darauf hin, dass die Koalitionsfraktionen den Entwurf im Rechtsausschuss teilweise wieder entschärfen wollen.
Die taz (Christian Rath) spricht mit Tatjana Hörnle über die Gesetzesänderung. Die Strafrechtsprofessorin verteidigt die Reform gegen Kritik, die unter anderem von Bundesrichter Thomas Fischer geäußert wurde. Es gehe bei den Änderungen nicht um mehr Verurteilungen, sondern darum, dass das "sexuelle Selbstbestimmungsrecht erstmals konsequent im Strafgesetzbuch umgesetzt wird". Heide Ostereich (taz) bezeichnet die geäußerte Kritik als "blanken Sexismus". Frauen würden als natürliche Masochistinnen und lügnerische Wesen dargestellt.
Nach Informationen von spiegel.de (Annett Meiritz) und Tsp (Jost Müller-Neuhof) soll die Reform nicht nur das Strafrecht, sondern auch das Ausweisungsrecht betreffen. Durch eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes soll die Ausweisung von Sexualstraftätern erleichtert werden.
Sichere Herkunftsstaaten: In wenigen Tagen soll im Bundesrat über die Einstufung von Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten abgestimmt werden. Dabei droht der Bundesregierung eine Niederlage, schreibt die SZ (Stefan Braun/Susanne Höll). Vertreter der Grünen wollen über die von ihnen mitregierten Länder das Gesetz blockieren und fordern stattdessen eine Verfahrensbeschleunigung durch die Entlastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Katharina Schuler (zeit.de) hält den Vorschlag der Grünen für sinnvoll, weil er keine rechtlichen Einschränkungen des Asylverfahrens nach sich ziehe. Dass die Koalition auf ihn eingehe, sei jedoch unwahrscheinlich.
EU-Flüchtlingspolitik: Der "Bundesfachausschuss Europapolitik" der CDU fordert in einem Beschluss, der der SZ (Robert Rossmann) vorliegt, einen härteren Schutz der EU-Außengrenzen. In dem Papier wird auch ein einheitliches System der Sozialleistungen für Flüchtlinge in Europa vorgeschlagen.
Autorennen: Die Teilnahme an Autorennen im öffentlichen Straßenraum soll härter bestraft werden. Wie die FAZ (Reiner Burger) berichtet, will der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) einen entsprechenden Gesetzentwurf am Freitag in den Bundesrat einbringen. Bisher sind Autorennen nur strafbar, wenn es zu einem Unfall oder beinahe zu einem Unfall kommt. Ansonsten handelt es sich lediglich um eine Ordnungswidrigkeit. Mit der Ausweitung der Strafbarkeit soll auch die Beschlagnahme von Fahrzeugen erleichtert werden.
Nachfolge von Herbert Landau: verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) meldet die voraussichtliche Wahl der Staatsrechtlerin Christine Langenfeld zur Richterin am Bundesverfassungsgericht und weist darauf hin, dass damit die Frauenquote im zweiten Senat auf 50 Prozent steigen würde.
BND-Reform: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Annelie Siemsen analysiert auf juwiss.de den Gesetzentwurf zur Reform des Bundesnachrichtendienstes.
Justiz
BGH – Zwangsabstieg: Der Bundesgerichtshof wird den Zwangsabstieg des Fußballvereins SV Wilhelmshaven im Jahr 2014 wahrscheinlich für rechtswidrig erklären. Der Zwangsabstieg erfolgte, nachdem der damalige Viertligist sich weigerte, Entschädigung an zwei argentinische Vereine zu zahlen, bei denen der nach Wilhelmshaven gewechselte Spieler Sergio Sagarzazu ausgebildet wurde. Wilhelmshaven berief sich dabei darauf, dass Sergio Sagarzazu auch die italienische Staatsangehörigkeit besitze und daher die Ausbildungsentschädigung nicht mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu vereinbaren sei. Der BGH hat jetzt laut taz (Christian Rath) angedeutet, den Zwangsabstieg aus einem anderen Grund für rechtswidrig zu erklären: Der SV Wilhelmshaven habe sich nicht wirksam der Disziplinargewalt der Fifa unterworfen. lto.de sprach mit dem Sportrechtsexperten Markus Schneider über den Fall.
BSG zu Home Office: Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass der Weg vom Home Office in die eigene Küche nicht zum Betriebsweg gehört. In dem zugrundeliegenden Fall geht es um eine Frau, die von ihrem Büro im Dachgeschoss in die Küche gegangen war um sich ein Wasserglas zu holen und dabei gestürzt ist. Die Richter vom Bundessozialgericht begründeten ihre Entscheidung damit, dass der Arbeitgeber in Privatwohnungen kaum Vorsorgemaßnahmen treffen könne, so die SZ (Susanne Höll).
OLG München – Ex-Geheimdienstler: Die SZ (Ronen Steinke) berichtet vom Prozess gegen zwei ehemalige jugoslawische Geheimdienstler, die am Oberlandesgericht München angeklagt sind. Ihnen wird vorgeworfen, 1983 einen kroatischen Exilanten erschießen zu lassen. Kurz vor Abschluss des Verfahrens haben die Angeklagten überraschend angekündigt, auszusagen.
OLG München – NSU-Prozess: Im NSU-Prozess hat der Zeuge Sönke P., der mit dem ehemaligen V-Mann und Neonazi Tino Brandt zusammen inhaftiert war, ausgesagt. Tino Brandt habe gegenüber Sönke P. den NSU-Prozess als "Faschingsveranstaltung" bezeichnet und zugegeben, den Prozess durch vorgetäuschte Krankheit zu verzögern, so spiegel.de (Gisela Friedrichsen). zeit.de (Tom Sundermann) berichtet, dass die Anwälte des Mitangeklagten Ralf Wohlleben sich in einem längeren Vortrag überraschend früh auf eine Verteidigungsstrategie festgelegt haben.
LG Berlin zum Artemis: Das Landgericht Berlin hat die letzte inhaftierte "Hausdame" des Berliner Großbordells "Artemis" aus der Untersuchungshaft entlassen, berichtet die Welt (Michael Behrendt). Der Vorwurf des Menschenhandels in Zusammenarbeit mit den Hells Angels, der zur Großrazzia im April geführt hatte, habe sich im Nichts aufgelöst.
Interview mit Strafverteidiger Hanns Feigen: Das Hbl (Thomas Tuma) spricht mit Hanns Feigen über den Umgang der Justiz mit Managern, seine Tätigkeit als Anwalt und das Verhältnis zu seinen Mandanten, zu denen mehrere Top-Manager zählen. Der prominente Strafverteidiger kritisiert, dass Manager unter Generalverdacht gestellt würden und bei Wirtschaftsstrafverfahren ein eisiges Klima herrsche.
Recht in der Welt
Großbritannien – Brexit: Rechtsprofessor Giuseppe Martinico weist in einem englischsprachigen Beitrag auf verfassungsblog.de darauf hin, dass Großbritannien bis zum förmlichen Austritt gleichberechtigter Mitgliedstaat der Union ist, und kritisiert, dass das Recht im Zuge des Brexits als lästiges Hindernis statt als Schutz vor Machtmissbrauch und Diskriminierung gesehen wird.
Sonstiges
Rechtsvergleichung: Die FAZ (Alexandra Kemmerer) befasst sich anhand von drei Neuerscheinungen mit der wachsenden Bedeutung der Rechtsvergleichung: Der Rechts- und Politikwissenschaftler Ran Hirschl beschreibt in seinem Buch "Comparative Matters" die Schwierigkeiten, denen rechtsvergleichende Forscher Ende der neunziger Jahre noch ausgesetzt waren. Christian Schönberger befasst sich in einem Essay rechtsvergleichend mit der deutschen Staatsrechtslehre und Michaela Hailbronner geht den Gründen für den Erfolg des Bundesverfassungsgerichts nach.
Religionsverfassungsrecht: Florian Meinel (FAZ) rezensiert das Buch "Deutschland als multireligiöser Staat" von Hans Markus Heimann. Heimann suche die Lösung von Konflikten der multireligiösen Gesellschaft allein in der grundrechtlichen Güterabwägung. Das laufe auf ein "bürokratisches Religionsregiment" hinaus, so Meinel.
Aktivistische Aktionäre: Der Rechtsanwalt Martin Schockenhoff befasst sich für die FAZ mit Aktionären, die sich minderheitlich an börsennotierten Unternehmen beteiligen, um dann Druck auf das Management auszuüben. Die aktivistischen Aktionäre würden zwar eigennützig handeln, sich aber nicht zwangsläufig nachteilig für die anderen Aktionäre auswirken.
Geschäftsgeheimnisse: Die Rechtsanwältin Andrea Schmoll erläutert in der FAZ die Änderungen durch die Richtlinie über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen, die jüngst in Kraft getreten ist und innerhalb von zwei Jahren umgesetzt werden muss.
Limited und PLC: Rechtsprofessor Tim Drygala befasst sich auf lto.de mit den Konsequenzen des Brexits auf Unternehmen, die in Deutschland in der Rechtsform der Limited oder Public Limited Company (PLC) organisiert sind. Er sieht keinen akuten Handlungsbedarf, rät betroffenen Unternehmen aber dazu, die Verhandlungen zum Brexit im Auge zu behalten.
Fischer im Recht: Bundesrichter Thomas Fischer setzt sich in seiner Kolumne auf zeit.de mit den zahlreichen ablehnenden Reaktionen auf seine letzte Kolumne auseinander. Der Feminismus sei als Religion schwer erträglich, so Fischer abschließend.
Das Letzte zum Schluss
Kein Geld für Porto: Ist ein Wiedereinsetzungsantrag erfolgversprechend, wenn der Angeklagte eine Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil er nicht über genug Geld für das Porto verfügt? Wohl eher nicht, hat der Bundesgerichtshof in einem Beschluss entschieden, auf den burhoff.de (Detlef Burhoff) hinweist. Geklagt hatte ein Angeklagter, der nach Verlegung in eine Maßregeleinrichtung auf "sein Geld" wartete. Der BGH wies den Antrag auf Wiedereinsetzung als unzulässig ab, weil er nicht ausreichend begründet war. Außerdem liege ein unverschuldete Fristversäumung fern, da der Angeklagte einen Anspruch auf kostenlose Beförderung der Rechtsmittelschrift hatte.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. Juli 2016: Doch Abstimmungen über CETA / Autorennen sollen strafbar werden / BGH zu Zwangsabstieg . In: Legal Tribune Online, 06.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19896/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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