Peter Steudtner kommt vorläufig frei. Außerdem in der Presseschau: Das EU-Parlament stimmt über ePrivacy-Verordnung ab und der Präsident des Deutschen Anwaltvereins kritisiert die Türkei.
Thema des Tages
Türkei – Peter Steudtner vorläufig freigelassen: Das zuständige türkische Gericht hat gestern nach Meldungen u.a. von zeit.de auf Antrag der Staatsanwaltschaft den deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner ohne Auflagen vorläufig freigelassen. Die türkischen Menschenrechtler, die ebenfalls in U-Haft waren, wurden bis zu einem Urteil ebenfalls auf freien Fuß gesetzt, teilweise aber unter Auflagen. Den Angeklagten war die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen worden. Der Prozess hatte am Mittwoch begonnen, nachdem Steudtner bereits 100 Tage in Untersuchungshaft verbracht hatte. Unter anderem die taz (Gülten Sari), SZ (Christiane Schlötzer) und die FAZ (Michael Martens) berichten über den ersten Verhandlungstag, der bei Redaktionsschluss der Zeitungen noch nicht beendet war.
Rechtspolitik
Asylrecht – Entscheidungs- und Rückführungszentren: CDU und CSU haben sich auf die Forderung nach sogenannten Entscheidungs- und Rückführungszentren für Asylbewerber geeinigt und wollen sich dabei an den Aufnahmezentren in Heidelberg, Bamberg und Manching orientieren. Die taz (Christian Rath) erläutert am Beispiel Heidelbergs, warum dieser Vergleich falsch sei.
EU – ePrivacy: Die taz (Svenja Bergt) gibt einen Ausblick auf die für heute im Europäischen Parlament angesetzte Abstimmung über die ePrivacy-Verordnung. Der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres hatte sich vor einigen Tagen für die Annahme einer nutzerfreundlichen Fassung ausgesprochen, die beispielsweise den Einsatz von Cookies auf Internetseiten einschränkt.
E-Akte in der Justiz: Auf lto.de stellen Christopher Brosch und Peggy Fiebig das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vor, das im Wesentlichen am 1. Januar 2018 in Kraft tritt und die flächendeckende elektronische Aktenführung bei den Gerichten ab 2026 vorsieht.
EU – Entry-Exit-System: Das EU-Parlament hat nach Meldung der FAZ (Michael Stabenow) die Einführung eines EU-Einreiseregisters ab 2020 gebilligt. Danach sollen künftig bei der Ein- und Ausreise von Nicht-EU-Bürgern deren Fingerabdrücke und ein biometrisches Gesichtsbild gespeichert werden. Die Regelungen bedürfen noch der Zustimmung der EU-Regierungen. Die taz (Christian Rath) beleuchtet kritisch das neue sogenannte Entry-Exit-System. Die EU führe damit eine Vorratsdatenspeicherung für Touristen und Geschäftsreisende ein.
Justiz
EuGH zu Bearbeitungsfristen in Asylverfahren: Bearbeitungsfristen in Asylverfahren sind keine bloßen Richtwerte für Verwaltungen, sie können vielmehr Ansprüche von Betroffenen begründen. Dies stellte nach Berichten der SZ (Wolfgang Janisch) und von lto.de der Europäische Gerichtshof in einem nun veröffentlichten Urteil fest. Im entschiedenen Fall sei damit für den Schutzantrag eines Iraners wieder Österreich zuständig, nachdem dort die nach der Dublin-Verordnung zulässige Rückführung des Mannes nach Bulgarien zwar in Angriff, aber nicht innerhalb der vorgesehenen Sechs-Monats-Frist durchgeführt wurde. Bereits im Juli hatte das Gericht zur Drei-Monats-Frist bei der Rücküberstellung in das Land der ersten Einreise ähnlich entschieden.
OLG München – NSU: Das NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München verzögert sich weiter durch erneute Befangenheitsträge, wie spiegel.de meldet. Die Plädoyers der Nebenklage können damit frühestens im November beginnen.
Gisela Friedrichsen kritisiert in der Welt die Verschleppung des Verfahrens durch die Anwälte.
BFH zu Buchungsgewinnen: Ein Erlass des Bundesfinanzministeriums, durch den Steuervergünstigungen für Sanierungsfälle, sogenannte Buchungsgewinne, zumindest für Altfälle ermöglicht werden sollten, darf nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht angewendet werden. Die Frage hätte auf dem Gesetzeswege geregelt werden müssen, schreibt die FAZ (Hendrik Wieduwilt) zur Entscheidung. Bereits im Februar hatte das Gericht entschieden, dass die fraglichen Steuerprivilegien rechtswidrig sind, der jetzt beanstandete Erlass erfolgte daraufhin.
BFH zu Poker-Spiel: Für die bei einem Poker-Spiel erzielten Gewinne fällt nach einem nun veröffentlichten Urteil des Bundesfinanzhofs keine Umsatzsteuer an. Der Fiskus greife aber weiterhin auf professionelle Zocker zu, stellt die SZ (Stephan Radomsky) klar: Vor zwei Jahren hatte der Bundesfinanzhof entschieden, dass von Spielern, die ihren Lebensunterhalt aus Turnieren bestreiten, Einkommensteuer zu leisten ist.
VG Sigmaringen zur Rückholung eines Flüchtlings durch das BAMF: Wie zeit.de berichtet, muss ein nach Bulgarien abgeschobener Flüchtling nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen unverzüglich nach Deutschland zurückgebracht werden. Der afghanische Asylbewerber war im September abgeschoben worden, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge berief sich dabei auf die Dublin-II-Verordnung. Allerdings hatte er zuvor einen Eilrechtsantrag beim Verwaltungsgericht eingelegt und dieses Rechtsmittel hat eigentlich aufschiebende Wirkung. Das Verwaltungsgericht hat jetzt das Bundesamt aufgefordert, den Afghanen nach Deutschland zurückzuholen.
LG München I zu Otto Schily und Cem Özdemir: Cem Özdemir (Grüne) darf nach einer Entscheidung des Landgerichts München I vorerst nicht mehr behaupten, Otto Schily (SPD) habe bereits einen Tag nach dem Nagelbombenattentat des NSU in der Keupstraße in Köln einen terroristischen Hintergrund ausgeschlossen. Der damalige Bundesinnenminister habe nach Ansicht des Gerichts vorsichtige Formulierungen gewählt, die eher auf mangelnde Festlegung schließen lassen, berichten lto.de (Pia Lorenz) und SZ.
LG München I – Vergewaltigung durch Anwalt: Am Dienstag hat vor dem Landgericht München I der Prozess gegen einen ehemaligen Partner der Rechtsanwaltskanzlei Baker McKenzie begonnen, berichtet lto.de (Pia Lorenz). Dem 40-jährigen Anwalt werde besonders schwere Vergewaltigung an zwei Studentinnen und der Besitz von kinderpornographischen Schriften vorgeworfen. Er habe die Vorwürfe umfassend eingeräumt, was sich positiv auf das Strafmaß auswirken dürfte.
GBA – Ulrich Enzensberger: Die nach einem Zeitschriften-Artikel vor vier Jahren aufgenommenen Ermittlungen der Bundesanwaltschaft wegen eines 1970 in München verübten Brandanschlags auf einen damaligen Amtsgerichtsrat wurden nun eingestellt. Unter anderem wegen des Verdachts des versuchten Mordes sei auch gegen den damaligen Kommunarden und jetzigen Schriftsteller Ulrich Enzensberger ermittelt worden, berichtet die SZ (Hans Leyendecker), für die der Anschlag ein Beispiel für die "Irrwege der radikalen Linken in Deutschland" ist. Die jetzigen Ermittlungen hätten auch keine Querverbindungen zu dem Brandanschlag auf das Altenheim der Israelitischen Kultusgemeinde München ergeben, bei dem 1970 sieben Menschen starben.
Recht in der Welt
Türkei – Kritik am Rechtssystem: In einem Gastbeitrag für die taz kritisiert Ulrich Schellenberg, Präsident des Deutschen Anwaltvereins, den Umgang der türkischen Regierung mit den Rechtsanwälten des Landes. Präsident Erdoğan zersetze nicht nur die Justiz, was bei Richtern und Staatsanwälten begonnen habe, habe längst die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erreicht. Schellenberg beklagt, dass wer einen vermeintlichen Terroristen verteidige oder berate, selbst zum Terroristen erklärt werde. Damit bereite die Regierung Erdoğan einen Nährboden der Angst, auf dem es unmöglich sei, für die Rechte der Menschen in der Türkei zu kämpfen.
EGMR/Türkei – Fall Deniz Yücel: Wie die taz meldet, hat die Türkei beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Verlängerung der Stellungnahmefrist im Fall Yücel beantragt. Yücel klagt gegen seine Inhaftierung und macht dabei eine Verletzung seiner Rechte auf Freiheit und Sicherheit sowie auf Meinungsfreiheit geltend, heißt es im Artikel. Die Stellungnahmefrist war in der Nacht auf Mittwoch abgelaufen.
Spanien – Katalonien: Der katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont verzichtet auf einen Auftritt vor dem spanischen Senat, der voraussichtlich am morgigen Freitag über die Anwendung des Verfassungsartikels 155 abstimmen wird. Gegenüber der FAZ (Hans-Christian Rößler, Zusammenfassung auf faz.net) wurde die Absage damit begründet, dass das Verfahren nach Artikel 155 und damit die Übernahme der Regierungsgewalt in Katalonien durch die Zentralregierung ohnehin bereits feststehe. In einem Gastbeitrag für die "Staat und Recht"-Seite der FAZ legt Rechtsprofessor Bardo Fassbender dar, dass die EU in der Katalonien-Krise ihrem Anspruch, eine "Bürgerunion" zu sein, nicht gerecht werde. "Seit seinen Anfängen" habe sich das EU-Recht durch seine „unmittelbare Geltung“ ausgezeichnet und so auch EU-Bürgern einklagbare Rechte vermittelt. Demgegenüber verteidige die EU im jetzigen Konflikt "wie eine Organisation alten Stils" allein die Position des spanischen Zentralstaates und lasse dabei auch den grundsätzlichen Vorrang von EU-Recht "vor dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten (unter Einschluss des Verfassungsrechts)" außer Acht. Rechtsprofessor José Luis Martí aus Barcelona erläutert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) ebenfalls die neuesten Entwicklungen im Katalonien-Konflikt. Er bezeichnet sowohl die Bemühungen um ein Unabhängigkeitsreferendum als auch die polizeilichen Eingriffe als demokratisch illegitim und befürchtet weitere Zuspitzung des Konflikts, sollte die Zentralregierung weiterhin an dem Vorhaben festhalten, Kataloniens Autonomierechte zu beschneiden.
Vereinte Nationen – Menschenrechte/Unternehmen: Vertreter von 80 Ländern und einigen hundert Nichtregierungsorganisationen beraten gegenwärtig beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen über ein Abkommen, durch das Unternehmen verbindlich dazu verpflichtet werden sollen, Menschenrechte auch bei ausländischen Engagements zu beachten. Diskutierte Modelle beinhalten die Schaffung eines Internationalen Gerichtshofs für Menschenrechtsverletzungen in der Wirtschaft, berichtet die SZ (Stephan Radomsky). Bei den Verhandlungen werde Deutschland durch die EU vertreten, die USA nähmen nicht teil.
Sonstiges
Zahl der Bundeskanzlerstellvertreter: Anlässlich von Forderungen der Grünen nach einem weiteren Stellvertreter des Bundeskanzlers befasst sich der wissenschaftliche Mitarbeiter Timo Schwander auf juwiss.de mit den rechtlichen Vorgaben für die Stellvertreterbestellung und zieht dabei auch den Vergleich mit der Situation in den USA.
Das Letzte zum Schluss
Lucian ante portas: Eine Entscheidung darüber, ob der Name "Lucifer" zulässigerweise einem Neugeborenen verliehen werden kann, ist dem Amtsgericht Kassel abgenommen worden. Wie die SZ meldet, hatte sich der Standesbeamte zunächst geweigert, den Namen "Lucifer" einzutragen, er befürchtete, die Namensgebung könnte zu einer Kindeswohlgefährdung führen. Vor dem Amtsgericht einigten sich das Standesamt sowie die anwesenden Eltern dann auf die Eintragung des Namens "Lucian".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi,ms,pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. Oktober 2017: Peter Steudtner kommt frei / Abstimmung über ePrivacy / DAV-Präsident kritisiert Erdoğan . In: Legal Tribune Online, 26.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25229/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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