Der EGMR wünscht erschöpfte Rechtswege auch in türkischer Beschwer. Außerdem in der Presseschau: Justizminister arbeiten an Hasspostings und möchten die Anerkennung von Kinderehen auf Ausnahmen beschränken.
Thema des Tages
Kein Fast-Track zum EGMR: Die Straßburger Richter haben die Beschwerde einer türkischen Richterin abgewiesen, die sich gegen ihre Entlassung und anschließende Inhaftierung gewandt hat. Wie u.a. die taz (Christian Rath) berichtet, war die Juristin im Juli am Tag nach dem Putschversuch ihres Amtes enthoben und einen Tag später unter dem Vorwurf, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, in Untersuchungshaft genommen worden. Nachdem das türkische Gericht die Haftbeschwerde im August abgelehnt hatte, erhob sie Beschwerde wegen Verletzung ihrer Menschenrechte.
Der EGMR entschied nun jedoch, dass die Richterin zunächst das türkische Verfassungsgericht hätte anrufen müssen. Den Ausführungen der Beschwerdeführerin, dass dort ein faires Verfahren nicht mehr hätte erreicht werden können, zwei Richter und mehrere dort tätige Anwälte sind ebenfalls inhaftiert worden, folgten die Straßburger Richter nicht. Die Bedenken der Antragstellerin mit Blick auf die Unparteilichkeit des türkischen Verfassungsgerichts hätten sie jedenfalls nicht von der Pflicht entbunden, zunächst dieses Gericht anzurufen.
Die taz weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass seit Juli bereits rund 3.000 türkische Beschwerden beim EGMR im Zusammenhang mit den Maßnahmen nach dem Putschversuch eingegangen sind. Auch wenn diese Klagen nun zunächst für unzulässig erklärt werden, ist es, wie Klaus Hempel (tagesschau.de) meint, nur eine Frage der Zeit, bis sich die Straßburger Richter auch inhaltlich mit den Inhaftierungen beschäftigen.
Rechtspolitik
"Hassrede" in sozialen Netzwerken: Wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet, haben sich die Justizminister der Länder während ihrer diesjährigen Herbsttagung auf Maßnahmen gegen sogenannte Hasspostings in sozialen Netzwerken wie Facebook geeinigt. Dabei soll es, so heißt es im Bericht, nicht nur um strafbare Äußerungen gehen, die z.B. von Facebook innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden sollten. Eine abschließende juristische Bewertung sei in dieser Zeit nicht möglich, wird Bundesjustizminister Heiko Maas zitiert.
Kinderehen: Die Landesjustizminister haben im Rahmen der Justizministerkonferenz auch über den Umgang mit sogenannten Kinderehen diskutiert. Bundesjustizminister Mass will laut taz (Christian Rath) bald einen Gesetzentwurf mit zwei Elementen vorlegen: Danach sollen Ehen, die von Partnern unter 16 Jahren geschlossen wurden, in Deutschland generell nicht anerkannt werden. Wenn aber einer der beiden Ehepartner bei Eheschließung zwischen 16 und 18 Jahren alt war, soll es Härtefallregelungen geben. Wie die FAZ (Eckart Lohse) wollen die Justizminister Ausnahmen auch deswegen ermöglichen, weil die Aufhebung einer im Ausland geschlossenen Ehe vor allem die jungen Frauen beziehungsweise Mädchen vor Unterhaltsprobleme stellen kann. Die taz (Sascha Lübbe) beschreibt ergänzend am Beispiel eines syrischen Paares die Komplexität des Themas.
Justizministerkonferenz – Weiteres: Daneben haben sich die Justizminister laut bild.de auch mit Maßnahmen gegen illegalen Waffenhandel im Internet und neuen Klagemöglichkeiten für Verbraucher befasst. Bundesjustizminister Heiko Maas hat angekündigt, den Entwurf für ein Gesetz zur Regelung von Musterklageverfahren noch in diesem Jahr vorzulegen. Außerdem soll nach dem Willen der Landesjustizminister geprüft werden, inwiefern bei der Unterbringung islamistischer Gefangener Änderungsbedarf besteht. Damit reagiert die Justizministerkonferenz auf die Selbsttötung des Terrorverdächtigen Jaber Al-Bakr im Oktober in einer Gefängniszelle in Leipzig.
EU-Steuerrechtspläne: Die EU-Kommission will Unternehmen verpflichten, offenzulegen, wie viele Steuern in einem Mitgliedstaat gezahlt wurden. Die Brüsseler Vorstellungen erläutert das Hbl (Ruth Berschens/Jan Hildebrand u.a.). Die Wirtschaftsverbände laufen Sturm gegen die Pläne und wissen dabei Bundesfinanzminister Schäuble an ihrer Seite. Anders der Justizminister, dem an Transparenz liege.
Digitales BGB: Rechtsprofessor Daniel Zimmer untersucht in der FAZ den Sinn der Forderung von EU-Kommissar Oettinger nach einem "digitalen BGB". Er warnt vor der Einführung neuer Rechte an Informationen und meint, dass viele Fragen auch mit den vorhandenen Regelungen gelöst werden können.
Datenverwertung: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt spricht sich für eine bessere Möglichkeit der Datenauswertung für Unternehmen aus. Die FAZ (Britta Beeger/Hendrik Wieduwilt) zitiert aus einem Strategiepapier des Ministeriums, in dem es heißt, "man müsse weg vom Grundsatz der Datensparsamkeit hin zu einem kreativen und sicheren Datenreichtum".
Justiz
EuGH – Klage wegen HOAI: Wie SZ und taz melden, hat die EU-Kommission Deutschland wegen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Nach Auffassung der Brüsseler Behörde verstoßen die Vorgaben zu Mindest- und Höchsthonoraren gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie.
EuGH zur Digitalisierung vergessener Bücher: Auch die SZ (Wolfgang Janisch) weist jetzt auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes hin, mit der die französische Widerspruchslösung für die Digitalisierung für rechtswidrig erklärt wurde. Danach galt die Zustimmung eines Autors als erteilt, wenn der Urheber nicht binnen sechs Monaten nach der Aufnahme seiner Bücher in die eine eigens eingerichtete Datenbank widersprach. Das war dem EuGH jedoch zu vage, es bestünde die Gefahr, dass der Rechteinhaber gar keine Kenntnis habe.
BAW – Anklage wegen Folter: Ein 41 Jahre alter Mann, der in Syrien gefoltert und geplündert haben soll, muss sich voraussichtlich vor Gericht verantworten. Die Bundesanwaltschaft hat am Oberlandesgericht Düsseldorf Anklage gegen ihn erhoben, meldet die SZ.
Anwaltliche Direkt-Akquise: Eine Jenaer Rechtsanwaltskanzlei hat sich laut einem Bericht der taz (Anne Fromm) direkt an mehrere Ärzte gewandt und diesen eine unverbindliche und kostenfreie Beratung angeboten. Die Namen der Ärzte waren in einer Datenbank enthalten, die Zahlungsempfänger von Pharmaunternehmen auflistet. In dem Schreiben weist die Kanzlei darauf hin, dass sie in solchen Fällen eine Entschädigung in Höhe von 10.000 bis 15.000 Euro für angemessen halten. Die Rechtsanwaltskammer Thüringen prüft das Vorgehen auf eine eventuelle Berufsrechtswidrigkeit.
Auseinandersetzung zwischen Bremer Senat und Rechtsanwälten: Die taz (Jean-Philipp Beack) widmet sich einer Auseinandersetzung zwischen dem Bremer Justizstaatsrat Matthias Stauch auf der einen und Rechtsanwaltskammer Bremen und Bremischem Anwaltsverein auf der anderen Seite. In einem Zitat habe Stauch den Eindruck erweckt, dass Strafverteidiger durch sogenannte Konfliktverteidigung für eine Überlastung der Gerichte verantwortlich seien, werfen die Anwaltsorganisationen dem Politiker vor.
VG München zum Asylanspruch eines US-Deserteurs: Das Verwaltungsgericht München hat die Klage eines ehemaligen US-Soldaten abgewiesen, mit der sich dieser gegen die Ablehnung seines Asylantrages gewandt hatte. Der aus Ohio stammende André Shepherd floh im April 2007 kurz vor der Verlegung seiner Einheit in den Irak vom US-Stützpunkt in Kattenbach und beantragte Asyl mit der Begründung, er habe Angst gehabt, sich im Irak an Kriegsverbrechen beteiligen zu müssen. Auf die Vorlage des Verwaltungsgerichtes München hin hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Februar 2015 festgestellt, dass einem Deserteur nur dann Flüchtlingsschutz nach der Richtlinie zustehe, wenn er keine andere Möglichkeit gehabt habe, der Beteiligung an Kriegsverbrechen zu entgehen. Das Verwaltungsgericht hat daraufhin jetzt entschieden, dass Shepherd noch Alternativen offen gestanden hätten. So habe er keine Versuche unternommen, in eine andere Einheit versetzt oder sonst entlassen zu werden. Außerdem habe er nicht "plausibel glaubhaft machen" können, dass er bei seinem Einsatz im Irak tatsächlich mit "hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit" in Kriegsverbrechen verwickelt worden wäre. FAZ (Alexander Haneke) und taz (Patrick Guyton) stellen Fall und Entscheidung dar.
Haftung von Krawallfans: Rechtsprofessor Marc-Philippe Weller fasst in einem Interview mit der FAZ (Frank Heike) die Rechtsprechung zur Haftung von Krawallmachern in Fußballstadien zusammen. Anlass ist ein aktuelles Urteil des BGH, in dem festgestellt wurde, dass solche Störer für Geldstrafen haften, die Fußballvereine wegen ihres Fehlverhaltens an den DFB zahlen müssen.
AG Wunsiedel zur Volksverhetzung: Wolfgang Janisch (SZ) kritisiert die Begründung einer Entscheidung des Amtsgerichtes Wunsiedel, in der ein Metzger wegen Volksverhetzung verurteilt wurde. Er hatte in seinem Schaufenster ein Schild mit der Aufschrift "Asylanten müssen draußen bleiben" und dem Abbild eines Hundes angebracht. Der Richter meinte – und nach Janisch kann das fast als Aufforderung verstanden werden – dass der Angeklagte ohne Probleme hätte schreiben können: "Asylanten haben hier nichts zu suchen" – ohne den Hund.
BVerwG – Spiegel-Affäre: Der "Spiegel" hat die Bundesregierung auf Auskunft darüber verklagt, wer in den 1950er- und 1960er-Jahren Interna aus der Redaktion an den Bundesnachrichtendienst gegeben hat. Im Donnerstag haben die Leipziger Richter über die beiden Klagen verhandelt, die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet über die Hintergründe.
Recht in der Welt
Frankreich – Parteiausschluss Jean-Marie Le Pen: spiegel.de und die FAZ (Michaela Wiegel) melden, dass jetzt gerichtlich bestätigt wurde, dass der Ausschluss von Jean-Marie Le Pen aus dem Front National rechtens ist. Die Partei hatte ihren Gründer 2015 ausgeschlossen, Anlass waren antisemitische und die NS-Zeit verharmlosende Äußerungen Jean-Marie Le Pens. Seine Tochter, die jetzige Parteivorsitzende Marine Le Pen, bemüht sich seit Jahren, dem Front National mit einer gemäßigteren Wortwahl ein bürgerliches Image zu verschaffen.
IStGH – Austritt der Philippinen: Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte hat laut spiegel.de angekündigt, den IStGH verlassen zu wollen. Grund dafür könnte die Absicht des Strafgerichtshofes sein, die Ermordung von mehr als 2.000 Menschen auf den Philippinen untersuchen zu wollen.
IStGH – Fatou Bensouda: Dem IStGH laufen die Mitglieder davon, die FAZ (Thomas Scheen) fragt deshalb, ob die Chefanklägerin Fatou Bensouda möglicherweise eine Mitschuld trägt. Afrikanische Regierungen werfen ihr vor, eine Kampagnenjustiz gegen ihre Führer zu betreiben.
Sonstiges
Völkerstrafrecht auf der Bühne: Über einen Theaterabend, bei dem die Entstehung des Völkerstrafrechts im Mittelpunkt stand, hat sich die BadZ (Christian Rath) mit Carolin Hillemanns vom Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht unterhalten. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit zwischen dem Institut und dem Theater Freiburg umgesetzt, Autor ist der britische Völkerrechtler und Rechtsprofessor Philippe Sands.
Das Letzte zum Schluss
Flasche leer: Mit einem manipulierten Pfandflaschenautomat hat sich ein 37-jähriger Kölner mehr als 40.000 Euro ergaunert und wurde dafür vom Amtsgericht Köln wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Udo Vetter hat die rechtliche Beurteilung der Automatenmanipulation keine Ruhe gelassen und deshalb prüft er auf lawblog.de ausführlich die in Frage kommenden Tatbestände durch. Selbst seinen Lebensmittelhändler um die Ecke hat er als Sachverständigen zu Rate gezogen und kommt zu dem Ergebnis, dass das Ergebnis nicht so klar ist, wie vom Amtsgericht dargestellt.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 18. November 2016: EGMR zur Subsidiarität / Hasspostings im Internet / Minderjährigenehe . In: Legal Tribune Online, 18.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21197/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag