Nach dem Suizid des mutmaßlichen Terroristen Jaber Albakr wird die sächsische Justiz heftig kritisiert. Außerdem in der Presseschau: Ceta vor dem Bundesverfassungsgericht und Fragen zum Anwaltspostfach.
Thema des Tages
Suizid Jaber Albakr: Mit dem Suizid des mutmaßlichen Terroristen Jaber Albakr in der JVA Leipzig und der Frage, wie es dazu kommen konnte, befassen sich unter anderem spiegel.de (Christoph Sydow) und SZ (Georg Mascolo , Benedikt Peters , Cornelius Pollmer). Tsp (Frank Jansen) beschreibt, wie der Anwalt Alexander Hübner seinen Mandanten Jaber Albakr seit der Verhaftung erlebte. Zeit.de und FAZ (Stefan Locke und Eckart Lohse) berichten von der Pressekonferenz des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow (CDU), des Direktors der JVA Leipzig Rolf Jacob und Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann. Auf spiegel.de findet sich ein Minutenprotokoll der Pressekonferenz.
Katharina Bennefeld-Kersten, die frühere Leiterin der JVA Celle-Salinenmoor, gibt der SZ (Bernd Kastner) und taz.de (Barbara Dribbusch) jeweils ein Interview zur Suizidprophylaxe in Strafanstalten. Und auf community.beck.de schreibt Professor Henning Ernst Müller über die Möglichkeiten der Überwachung suizidgefährdeter Strafgefangener im Allgemeinen. Die FAZ (Alexander Haneke) porträtiert den in die Kritik geratenen sächsischen Justizminister.
Heribert Prantl (SZ) weist darauf hin, dass es in Sachsen nicht, wie immer wieder behauptet wird, an entsprechenden Rechtsgrundlagen oder Befugnissen gefehlt habe. Es habe vielmehr an der Fähigkeit und Fertigkeit der Sicherheitsbehörden, an der nötigen Sorgfalt, an Verantwortungsbewusstsein, an Akkuratesse und an praktischer Tüchtigkeit gefehlt. Florian Gathmann (spiegel.de) beklagt eine Kultur des "Schönredens" in Sachsen und auch Christian Tretbar (Tagesspiegel) sieht ein fatales Staatsversagen in Sachsen. Die Masse der Verfehlungen sei in diesem Fall nicht mehr tragbar gewesen. Frank Specht (Hbl) befürchtet, dass die Bürger das Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren und das Gefühl haben, dass den Sicherheitsbehörden die Kontrolle zunehmend entgleitet. Sabine am Orde (taz) ist der Auffassung, dass die Pannen zeigen, dass Polizei und Justiz in Sachsen reformiert werden müssten und der erste Schritt der Rücktritt des Justizministers sein sollte. Anders sieht es Jasper von Altenbockum (FAZ). Er meint, dass Albakr so behandelt wurde, wie er hätte behandelt werden müssen. Wer so entschlossen sei zum Selbstmord, könne nur unter Bedingungen davon abgehalten werden, die für Jaber Albakr nicht zulässig gewesen wären.
Rechtspolitik
Erbschaftsteuer: Der Bundesrat wird am heutigen Freitag abschließend über die Neuregelung der Erbschaftsteuer beraten. Wie die taz (Ulrich Schulte) weiß, wollen auch die meisten von Grünen mitregierten Bundesländer den Kompromiss mittragen. In einem Hintergrund befassen sich Theo Geers, Michael Braun und Gudula Geuther auf Deutschlandfunk.de mit der Problematik und der jetzt vorgesehenen Neuregelung und lassen dabei u.a. den Verfassungsrechtler Christian Waldhoff zu Wort kommen. Kein gutes Haar lässt Ulrich Schulte (taz) an dem Kompromiss. Er meint, dass Gesetze wie diese den sozialen Zusammenhalt in Deutschland gefährden. Die Reform der Erbschaftsteuer schreibe auf groteske Weise Privilegien äußerst reicher Familiendynastien fest.
Lohngleichheitsgesetz: Rechtsanwältin Anja Lingscheid fasst auf blog.handelsblatt.com noch einmal die geplanten Regelungen des Lohngleichheitsgesetzes zusammen.
Dateneigentum: In einem Gastbeitrag für die FAZ plädiert EU-Kommissar Günther Öttinger für ein Bürgerliches Gesetzbuch für Daten. So wie das BGB etwa Eigentum, Besitz und Mietrecht an beweglichen und unbeweglichen Dingen klar regelt, soll es ein BGB für das digitale Zeitalter geben, in dem die Fragestellungen zu Rechten an Daten umfassend geklärt werden.
Justiz
BVerfG zum Ceta-Abkommen: Das Bundesverfassungsgericht hat die Eilanträge gegen das Freihandelsabkommen Ceta abgelehnt. Damit kann die Bundesrepublik der Vereinbarung vorläufig zustimmen. Die Entscheidungsverkündung fassen u.a. spiegel.de (Markus Becker, Dietmar Hipp), Tsp (Jost Müller-Neuhof), FR (Ursula Knapp), SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Helene Bubrowski), SWR (Gigi Deppe) und taz (Christian Rath) zusammen. Die taz (Eric Bonse) weist darauf hin, dass damit der Weg aber noch nicht frei sei, auch in Belgien, Österreich und den Niederlanden regt sich Widerstand gegen Ceta.
Professor Markus Krajewski analysiert auf verfassungsblog.de die Auflagen, die das Gericht der Bundesregierung aufgegeben hat.
In seinem separaten Kommentar meint Wolfgang Janisch (SZ), dass die Ceta-Gegner trotz der Ablehnung der Anträge einen bedeutenden Erfolg errungen hätten, und zwar allein dadurch, dass das Gericht den Klagen einen prominenten Platz auf seiner Agenda eingeräumt habe. Dass die Zivilgesellschaft einen solchen Prozess der "höchstrichterlichen Reinigung" angestoßen habe, sei ein Beleg für ihr Funktionieren. Für Reinhard Müller (FAZ) muss gerade in Zeiten der Globalisierung die Öffnung der Grenzen mit einer starken demokratischen Rückbindung und rechtsstaatlicher Kontrolle einhergehen. Heike Anger (Hbl) sieht das Bundesverfassungsgericht vor dem Dilemma, durch Entscheidungen wie die in Sachen Ceta im Zweifel auch Fakten für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu schaffen und befürchtet dadurch "halbgare Entscheidungen". Christian Rath (BadZ) bezeichnet die Entscheidung als "typisches Karlsruhe-Urteil", das am Ende allen nutze: Die Bundesregierung erhalte mehr Akzeptanz für die Freihandelspolitik der EU und die Skeptiker seien angehört und ernst genommen worden.
Neue Verfassungsrichterin: Die taz (Christian Rath) stellt Yvonne Ott, die neue Bundesverfassungsrichterin vor, die am heutigen Freitag vom Bundesrat gewählt wird. Sie folgt Reinhard Gaier im Ersten Senat nach.
OLG München - NSU-Prozess: Im NSU-Verfahren haben laut spiegel.de (Wiebke Ramm) die Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben beantragt, den ehemaligen Krankenpfleger von Rudolf Hess als Zeugen zu laden. Er soll bestätigen, dass sich der ehemalige Stellvertreter von Adolf Hitler nicht in der Haft erhängt habe, sondern ermordet worden sei. Diese These vertreten viele Neonazis, Vertreter der Nebenklage kritisieren den Antrag daher als rechte Propaganda im Gerichtssaal.
BGH zur Beweislastumkehr im Gewährleistungsrecht: Professor Roland Schimmel beleuchtet auf lto.de die jüngste Entscheidung des BGH zum Gewährleistungsrecht, die eine Beweislastumkehr zugunsten des Käufers im Rahmen des § 476 BGB vorsieht. Der Käufer muss künftig weder den Grund für die Vertragswidrigkeit noch den Umstand beweisen, dass sie dem Verkäufer zuzurechnen ist. Im Ergebnis führt dies, so der Autor, zu einer quasi garantieähnlichen Haftung des Verkäufers, ein wirtschaftlich denkender Verkäufer wird ein daraus resultierendes zusätzliches Gewährleistungs-Kostenrisiko aber wohl in den Preis einkalkulieren.
LG Neuruppin zu Kindstod vor 42 Jahren: Die heute 74-jährige Frau, die angeklagt war, ihren achtjährigen Sohn vor 42 Jahren durch Gas getötet zu haben, ist von diesem Vorwurf freigesprochen worden. Das berichten spiegel.de, FAZ (Mechthild Küpper) und Tagesspiegel (Sandra Dassler). Die Erkenntnisse reichten für eine Verurteilung nicht aus, erläuterte der Vorsitzende Richter die Entscheidung.
Elektronisches Anwaltspostfach: Das besondere elektronische Anwaltspostfach beschäftigt jetzt auch den Bundestag. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat an die Bundesregierung eine kleine Anfrage gerichtet, in der insbesondere Fragen zu den technischen, rechtlichen und vertraglichen Grundlagen des Postfaches gestellt werden. Unter anderem wollen die Abgeordneten wissen, so heißt es in dem entsprechenden Bericht auf lto.de (Pia Lorenz), wie der Datenschutz gewährleistet wird und inwieweit die Bundesregierung Kenntnis vom Inhalt der Verträge in Bezug auf die Entwicklung des Systems hat.
BGH zur Untreue: Hendrik Wieduwilt (FAZ) äußert sich in einem Kommentar zur Entscheidung des BGH, mit der die Freisprüche von mehreren Vorstandsmitgliedern der HSH Nordbank vom Vorwurf der Untreue aufgehoben wurden. Er meint, dass die Rückverweisung an das LG Hamburg den dortigen Richtern die Gelegenheit gibt, "Managerpflichten auf besonders unvergessliche Art festzuschreiben: Mit dem Brandeisen eines Strafurteils".
Porträt Gerhard Strate: Die SZ (Klaus Ott) porträtiert den Strafverteidiger Gerhard Strate, der mit mehreren Anzeigen die Strafverfolgung von Bankmanagern der HSH Nordbank initiiert hatte. Der BGH hatte am Mittwoch die entsprechenden Freisprüche aufgehoben. Ott bezeichnet Strate in seinem Text als Querdenker mit Liebe zum Detail. Auch Hendrik Wieduwilt (FAZ) widmet sich der Person Gerhard Strates und untersucht dessen Motivation, die für einen Strafverteidiger eher untypisch sei.
Recht in der Welt
Niederlande - Aktive Sterbehilfe: zeit.de berichtet, dass die niederländische Regierung die Möglichkeiten für aktive Sterbehilfe deutlich ausweiten will. Künftig soll es für alte Menschen auch dann möglich sein, ihr Leben unter Begleitung vorzeitig zu beenden, wenn sie nicht schwer erkrankt sind.
Ungarn - Verfassungsänderung: Die FAZ (Stephan Löwenstein) erläutert die von Victor Orbán angestrebte Verfassungsänderung. So soll u.a. in der Präambel festgelegt werden, dass die “Verteidigung der konstitutionellen Identität“ eine grundlegende Pflicht des Staates sei.
USA - Für Sicherheit ins Gefängnis: Alleine aus Sicherheitsgründen hat eine transsexuelle Amerikanerin eine Bank überfallen, um sich zu einer Gefängnisstrafe verurteilen zu lassen. Über den Fall schreibt spiegel.de. Die Frau gab an, nicht mehr sicher leben zu können, seitdem sie sich entschlossen habe, nicht mehr als Mann zu leben.
Sonstiges
Parlamentsrechte: Felix Werdermann (Freitag) weist darauf hin, dass geltendes Recht auch für Demagogen gelte. Wer sich darüber hinwegsetze und Minderheitenrechte aushebele, gefährde Demokratie und Rechtsstaat. Hintergrund ist eine Auseinandersetzung im Stuttgarter Landtag. Die dortige AfD-Fraktion hatte sich nach einem Streit in zwei Fraktionen aufgespalten, die dann beide jeweils einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses stellten und damit die erforderlichen Voraussetzungen erfüllten. Zwischenzeitlich haben sich die beiden Fraktionen wiedervereinigt. Die anderen Fraktionen werfen der AfD nun "Trickserei" vor. Der Autor meint, dass dieser Vorwurf eher die anderen Fraktionen treffe.
Patientenverfügung: Rechtsanwältin Michaela Hermes stellt auf community.beck.de eine aktuelle Studie zu Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht vor.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 14. Oktober 2016: Kritik an sächsischer Justiz nach Suizid / BVerfG erlaubt Ceta vorläufig / Fragen zum elektronischen Anwaltspostfach . In: Legal Tribune Online, 14.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20863/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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