Die Möglichkeiten der ärztlichen Zwangsbehandlung müssen erweitert werden. Außerdem in der Presseschau: Trotz (ausländischer) gleichgeschlechtlicher Ehe wird kein Ehe- sondern nur der Lebenspartnerschaftsname eingetragen und Hoffnung für Jens Söring.
Tagesthema
BVerfG zur ärztlichen Zwangsbehandlung: Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Vorlageverfahren festgestellt, dass es gegen die staatliche Schutzpflicht verstößt, wenn untergebrachte hilfsbedürftige Betreute nicht nötigenfalls auch gegen ihren natürlichen Willen ärztlich behandelt werden können. Das berichten u.a. die SZ (Wolfgang Janisch) und lto.de. Die Karlsruher Richter haben dem Gesetzgeber jetzt aufgegeben, die hier bestehende Gesetzeslücke zu schließen. Bisher ist es nur möglich, psychisch Kranke, die in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht sind, zwangsweise zu behandeln.
Christian Rath (taz) ist von der Entscheidung nicht ganz überzeugt. Trotz der grundsätzlichen Begründung ließen die Richter offen, ob künftig auch bei psychisch Kranken, die ambulant behandelt werden, Zwangsbehandlungen möglich sein sollen. Insgesamt meint er, dass das Gericht die Entscheidung dem Bundestag hätte überlassen sollen.
Rechtspolitik
Europäisches Leistungsschutzrecht: Die Europäische Kommission will das Leistungsschutzrecht jetzt auf europäischer Ebene regeln. Das berichten die FAZ (Hendrik Kafsack) und netzpolitik.org (Leonhard Dobusch). Dabei geht es insbesondere um die bisher weitgehend kostenlose Nutzung von kleineren Textschnitzeln aus Presseartikeln (so genannte snippets) durch Suchmaschinen wie zum Beispiel Google News.
Hendrik Kafsack (FAZ) meint in einem separaten Kommentar, dass es in dem anstehenden Gesetzesvorhaben darum gehe, die verschiedenen Interessen miteinander zu versöhnen, weil die EU sowohl ein innovatives Internet als auch den Schutz geistigen Eigentums brauche.
Verschleierungsverbot: Clemens Binninger (CDU), Mitglied des Bundestagsinnenausschusses, hat sich für ein grundsätzliches Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit ausgesprochen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Verbot der Vollverschleierung in Frankreich zeige, dass ein solches Gesetz auch in Deutschland möglich sein könnte, wird Binninger von der FAZ (Alexander Haneke, Eckart Lohse) zitiert.
Justiz
BGH zum Ehenamen: Der Bundesgerichtshof hat in einer am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung festgestellt, dass auf eine im Ausland nach dortigem Recht geschlossene gleichgeschlechtliche Ehe in Deutschland die Regelungen zur Lebenspartnerschaft Anwendung finden. Deshalb ist auch eine von den gleichgeschlechtlichen Partnern getroffene ausdrückliche Bestimmung eines Ehenamens nach deutschem Recht anstatt eines Lebenspartnerschaftsnamens unwirksam. lto.de fasst die Entscheidung zusammen.
Reinhard Müller (FAZ) weist noch einmal darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen Ehe- und Lebenspartnerschaftsname in der Praxis lediglich in der unterschiedlichen Bezeichnung lägen. Der Gesetzgeber sträube sich noch gegen eine Einebnung, weil er die Illusion aufrechterhalten wolle, er schütze die Verbindung von Mann und Frau noch besonders – wie es die Verfassung eigentlich vorschreibe.
BAG zur Befristung nach Heimarbeit: Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass bei der Zulässigkeit der Befristung eines Arbeitsverhältnisses vorherige Heimarbeitsverhältnisse nicht berücksichtigt werden. Ein Arbeitsverhältnis, das sich unmittelbar an ein Heimarbeitsverhältnis anschließt, kann somit auch ohne Sachgrund befristet werden, weil es sich bei einem Heimarbeitsverhältnis nicht um ein "Normalarbeitsverhältnis" handelt. Der Rechtsprofessor und Anwalt Michael Fuhlrott stellt die Entscheidung auf lto.de vor und fasst die Gründe zusammen. Er zweifelt allerdings daran, dass die Argumente des Gerichtes einer etwaigen Überprüfung durch den EuGH standhalten.
LG Berlin – Gina-Lisa Lohfink: Wie spiegel.de meldet, hat Gina-Lisa Lohfink gegen die gegen sie ergangene Entscheidung Berufung eingelegt. Allerdings hat ihr Verteidiger angekündigt, zu prüfen, ob die Berufung tatsächlich aufrechterhalten wird.
BGH zu Missbrauch bei eBay-Auktionen: Rechtsprofessor Roland Schimmel bespricht auf lto.de die zwei jüngsten BGH-Entscheidungen zu eBay-Auktionen. Er warnt vor einer Verallgemeinerung des Vorwurfs des Rechtsmissbrauchs bei Abbruchjägern, also jenen, die auf einen vorzeitigen Abbruch der Auktion zu einem besonders niedrigen Preis hoffen. Es komme immer auf dem Einzelfall an.
LG Köln – Schadensersatz für Kohl: Das Landgericht Köln hat die Entscheidung zur Schadensersatzforderung des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl gegen den früheren Ghostwriter seiner geplanten Biografie Heribert Schwan zunächst vertagt, berichten focus.de und Tsp (Jost Müller-Neuhof). Kohl wirft Schwan und dessen Mitautor Tilman Jens vor, in einem Buch unerlaubt Zitate aus früheren Gesprächen mit ihm verwendet zu haben. Das Gericht hat einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach bereits festgestellt, forderte jedoch weitere Informationen zur Begründung der Höhe.
Heribert Prantl (SZ) wirft in seinem Kommentar Schwan "unfeines" und rechtswidriges Verhalten vor.
LG Berlin – Mordprozess: Vor dem Landgericht Berlin hat der Prozess gegen einen 39-jährigen Mann begonnen, der eine norwegische Touristin getötet und die Leiche in die Spree gekippt haben soll. Das meldet spiegel.de. Der Mann, hat die Tat gestanden.
LG Hamburg – Vergewaltigung einer Minderjährigen: Vor dem Landgericht Hamburg müssen sich vier Angeklagte, drei von ihnen minderjährig, wegen Vergewaltigung, gefährlicher Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung verantworten. Laut SZ (Peter Burghardt) und focus.de sollen die Angeklagten ein 14-jähriges Mädchen betrunken gemacht, dann sexuell missbraucht und sie anschließend bei Temperaturen um den Gefrierpunkt zurückgelassen haben.
Recht in der Welt
Frankreich – Burkini-Verbot: In Frankreich befasst sich der Conseil d’Etat, das oberste Verwaltungsgericht des Landes, mit dem Burkini. Es geht um das Burkiniverbot im südfranzösischen Villeneuve-Loubet, berichtet die SZ (Christian Wernicke), das das Verwaltungsgericht in Nizza zuvor für rechtmäßig erklärt hat.Die Entscheidung des Conseil d'Etat soll am heutigen Freitag fallen. http://www.fr-online.de/aktuelle-kommentare/burkini-verbot-franzoesische-religionspolizei-am-strand,30085308,34673340.html
Christian Bommarius (FR) findet das Burkini-Verbot und die Umsetzung skandalös, weil nicht das Kleidungsstück sondern der Glauben gemeint sei.
Indien – Leihmütter: In Indien wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das es künftig Ausländern, Alleinerziehenden und homosexuellen Paaren verbietet, ein Kind von einer Leihmutter austragen zu lassen. Damit soll die kommerzielle Leihmutterschaft unterbunden werden, erläutert die SZ (Tobias Matern).
Wolfgang Janisch (SZ) begrüßt die Neuregelung. Dem Milliardengeschäft, bei dem oft die Leihmütter die Leidtragenden seien, könne nur in den jeweiligen Ländern Einhalt geboten werden.
USA – Fall Söring: Im Fall Söring gibt es laut FAZ (Christoph Strauch) neue Beweise. Jens Söring ist seit mehr als 30 Jahren in den USA inhaftiert, er wurde wegen Mordes an den Eltern seiner damaligen Freundin verurteilt. Jetzt soll Sörings Anwalt eine Petition an den Governeur von Virginia gerichtet haben. Dabei habe er sich auf neue DNA-Beweise gestützt haben, die belegen sollen, dass Söring nicht am Tatort war.
Polen – Verfassungsgericht: Der polnische Rechtsprofessor Tomasz Tadeusz Koncewicz stellt auf verfassungsblog.de in englischer Sprache eine Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichtes vor, in denen die neuen Regelungen zur Reform des Gerichtes erneut für verfassungswidrig erklärt werden. Die Richter betonen dabei auch, dass es nicht im Ermessen der Regierung liege, zu entscheiden, welche Entscheidungen veröffentlicht werden – sie hat alle zu publizieren.
Türkei – Justizsystem: In der FAZ beschreibt der Schriftsteller Dogan Akhanli die Willkür und die Absurdität der türkischen Strafverfolgung. Er beschreibt, dass der Staatsanwalt, der ihn vor sechs Jahren am Flughafen hat festnehmen lassen, jetzt selbst zur Fahndung ausgeschrieben und auf der Flucht ist.
Juristische Ausbildung
Law and Literature: lto.de (Manuel Leidinger) stellt die Law-and-Literature-Bewegung vor,die in den siebziger Jahren in den USA als Gegenbewegung zum Law-and-economics-Ansatz entstand und heute gängiges Lehrfach an den amerikanischen Universitäten ist. Der Autor plädiert dafür, auch hierzulande "Recht und Literatur" in die juristische Ausbildung einzubeziehen und lobt ein entsprechendes Projekt der Universität Bremen.
Sonstiges
Insolvenzrecht: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) stellt eine Studie vor, die das ESUG, das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, evaluiert hat. 93 Prozent der Befragten bewerten das Gesetz danach als positiv.
Verbraucherschutz: Die von der Verbraucherzentrale Bundesverband vzbv ins Leben gerufenen Verbrauchermarktbeobachter – die so genannten Martkwächter – funktionieren. Laut FAZ (Hendrik Wieduwilt) haben Justizstaatssekretär Ulrich Kelber und vzbv-Vorstand Klaus Müller eine positive Bilanz gezogen. 6.800 "auffällige Meldungen" durch Verbraucher seit Oktober 2015 hätten die neuen Netzwerke erreicht, heißt es in der FAZ.
Hendrik Wieduwilt (FAZ) sieht in einem separaten Kommentar die Marktwächter ebenfalls positiv. Durch die Kommunikation der Akteure werden Muster sichtbar auf deren Grundlage Ministerien und Aufsichtsbehörden erkennen können, wo den meisten Verbrauchern geholfen werden könne. Etwas weniger positiv sieht Robert Landgraf (Hbl) die Marktwächter, insbesondere jenen für Finanzen. Er fordert vielmehr eine entsprechende Bildung bereits bei Schülern. Die Deutschen müssten endlich lernen, dass sie sich um ihre Geldanlagen genauso intensiv kümmern müssten wie um den Kauf eines neuen Autos. Dann bräuchte es keine Marktwächter mehr.
Immobilien: Im Immobilienteil der FAZ erläutert Rechtsanwalt Friedrich-Karl Scholtissek die Gewährleistungsrechte beim Eigenheimkauf vom Bauträger und geht dabei auf entsprechende jüngere BGH-Rechtsprechung ein.
Maas in Kritik wegen Lob an Punkband: Bundesjustizminister Mass ist laut Welt (Tobias Heimbach, Valerie Schmitz) wegen eines Postings, in dem er das Engagement der Punkband "Feine Sahne Fischfilet" gegen Rechts lobt, in die Kritik geraten. Die Band ist umstritten, weil sie mehrere Jahre in den Berichten des Verfassungsschutzes erwähnt wurde.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. August 2016: BVerfG zur ärztlichen Zwangsbehandlung / BGH zum Ehenamen / LG Köln zu Schadensersatz für Helmut Kohl . In: Legal Tribune Online, 26.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20394/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
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