Nach der Ankündigung eines neuen Sicherheitspaketes läuft die Diskussion um Burka-Verbot und Doppelpass auf Hochtouren. Außerdem in der Presseschau: Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu Kinderehen und Fischer zur richterlichen Unabhängigkeit.
Thema des Tages
Burka-Verbot und doppelte Staatsbürgerschaft: Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat in der vergangenen Woche seine Pläne für ein neues Sicherheitspaket vorgelegt. Im Interview mit dem Sonntags-Tsp (Stephan Haselberger u.a.) erläutert er seine Vorschläge. Nicht vorgesehen ist danach die von einigen Landesinnenministern geforderte grundsätzliche Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft und die Einführung eines Burka-Verbots. Mit dem Sicherheitspaket und den Reaktionen darauf befassen sich auch der Spiegel (Sven Böll u.a.), die Samstags-SZ (Nico Fried) und die FAS (Markus Wehner).
Im Leitartikel des Spiegel unterstellt Nils Minkmar jenen, die jetzt ein Burka-Verbot, die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht bei verdächtigen Muslimen oder das Ende des Doppelpasses fordern, dass es ihnen nicht um größere Sicherheit gehe. Die Vorschläge zeigten bloß den peinlichen Mangel einer kohärenten Strategie gegen das Übel des radikalen Islamismus. Christoph von Marschall (Tsp) fordert, dass die doppelte Staatsbürgerschaft die Ausnahme und nicht die Regel sein sollte. Für Tomas Avenarius (Samstags-SZ) gehört die Burka verboten. Anders sieht das Alan Posener (Montags-Welt), der sich in seinem Essay sowohl für die Beibehaltung der Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft als auch für ein erlaubtes Tragen der Burka ausspricht. Konstantin von Notz wirft in einem Interview mit der Montags-Welt (Claudia Kade) der CDU/CSU vor, mit der Forderung nach einem Burka-Verbot den Rechtsstaat zu missachten.
Rechtspolitik
Asylrecht: In dem Interview mit dem Sonntags-Tsp (Stephan Haselberger u.a.) stellte Bundesinnenminister Thomas de Maizière auch klar, dass straffällig gewordene Flüchtlinge und Asylbewerber, die falsche Angaben zu ihrer Herkunft machen, nicht nach Syrien abgeschoben werden, solange dort kein Frieden einkehrt.
Kinderehen: Bundesjustizminister Heiko Maas hat laut WamS (Martin Lutz) die Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Thema Kinderehen angekündigt. Insgesamt werden etwa 1.000 Kinderehen gezählt, die Dunkelziffer wird höher eingeschätzt. Der Deutsche Kinderschutzbund fordert ein striktes Mindestheiratsalter von 18 Jahren. Außerdem will die Organisation, dass Ehen, die durch religiöse oder soziale Zeremonie und nicht vor einem Standesbeamten geschlossen werden, als Zwansverheiratung und damit als Straftatbestand erfasst und mit einer Strafe von bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden können.
Fahrverbot: Auch der Spiegel (Dietmar Hipp) berichtet jetzt über die von Bundesjustizminister Heiko Maas angekündigte Einführung des Fahrverbotes als Nebenstrafe auch für Straftaten ohne Bezug zum Straßenverkehr. Dagegen spricht sich Torsten Krauel (Samstags-Welt) in einem Kommentar aus. Ein solches Fahrverbot hebele den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz aus, weil es beispielsweise für Stadt- und Landbewohner jeweils unterschiedlich Auswirkungen hätte. Außerdem verstoße es gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Schuld und Strafe. Auch Reinhard Mohr (WamS) hält den Vorstoß für absurd. Anderer Ansicht ist Philip Eppelsheim (FAS). Gerade für junge Straftäter, für die ein Gefängnisaufenthalt eine zu harte Strafe wäre, könnte das Fahrverbot durchaus eine Möglichkeit sein, den Tätern zumindest ein wenig weh zu tun.
Erbschaftsteuer: Das Montags-Hbl (Jan Hildebrand, Axel Schrinner) erinnert daran, dass der Zeitdruck für die Verabschiedung einer Erbschaftsteuerreform wächst. Für nach der Sommerpause hatte das Bundesverfassungsgericht angekündigt, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Interview mit Dieter Grimm zum Europarecht: Im Focus befasst sich der frühere Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm in einem Gastbeitrag mit dem Vorschlag des Präsidenten der Europäischen Kommission* Martin Schulz, das Europäische Parlament und die Europäische Kommission nach dem Vorbild eines Bundesstaates umzustrukturieren. Grimm gibt zu bedenken, dass es schwer einsehbar sei, wie gerade eine Umwandlung der EU in ein parlamentarisches System nach staatlichem Muster die Distanz zwischen Unionsbürger und der EU überbrücken sollte.
*Korrektur: Martin Schulz ist Präsident des Europäischen Parlaments, nicht der Europäischen Kommission
Justiz
Thomas Fischer im Interview: Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk (Karin Beindorff) nimmt Bundesrichter Thomas Fischer unter anderem Stellung gegen die Vorwürfe, mit seinen öffentlichen Äußerungen würde er das richterliche Zurückhaltungsgebot verletzen. Er verstehe das Richtergesetz nicht als Verpflichtung, keine Meinung zu haben, so Fischer. Es sei sinnvoll, seine Meinung zu äußern, auch dann, wenn man im Richterberuf tätig sei. Kritik übte der Bundesrichter an der medialen Berichterstattung über Strafverfahren. Die Vermittlung von Strafrecht sei außerordentlich schlecht - was sowohl an der Justiz als auch an der "Gesellschaft" liege.
BGH zu Nazi-Grafitti: Der BGH hat die Verurteilung von Mitgliedern der rechten Kameradschaft "Autonome Nationalisten Göppingen" aufgehoben. Das Landgericht Stuttgart hatte die Männer wegen Gründung beziehungsweise Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Die Entscheidung hat der BGH jetzt laut Montags-taz (Christian Rath) aufgehoben. Die überwiegend zur Last gelegten Sachbeschädigungen durch Aufkleber und Grafitti und nur vereinzelten Köperverletzungen und Beleidigungen würden keine "erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit", die für die Erfüllung des Tatbestandes erforderlich wären, begründen. Das Landgericht Stuttgart muss nun den Fall erneut verhandeln.
OLG Düsseldorf - Tengelmann/Edeka: Der Focus meldet, dass das OLG Düsseldorf einen Termin für die mündliche Verhandlung im Verfahren über den Ministerentscheid in Sachen Kaiser’s Tengelmann/Edeka im November anstrebt. Mit der von Wirtschaftsminister Gabriel eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde befasst sich parallel der BGH – der Focus stellt aus diesem Grund die Präsidentin Bettina Limperg vor.
BGH zur Patientenverfügung: Der BGH hat in der vergangenen Woche eine Entscheidung veröffentlicht, die die Anforderungen an Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen konkretisiert. Die BadZ (Christian Rath) gibt Hinweise, worauf jetzt bei der Erstellung einer Patientenverfügung geachtet werden sollte. lto.de (Constantin van Lijnden) hat mit Rechtsanwalt Wolfgang Putz gesprochen, der in dem Beschluss des Karlsruher Gerichtes eine "fatale Fehlentscheidung" sieht. Der BGH habe Zweifel konstruiert, wo man einfach keine haben konnte. Deutschlandweit seien von der Entscheidung mehrere hunderttausend Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen betroffen. Der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer Ekkehart Schäfer sieht in einem kurzen Interview mit dem Spiegel (Dietmar Hipp) die Lage weniger dramatisch: Der BGH habe auch bisher schon verlangt, dass der Patient die Maßnahmen, die er ablehnt, konkretisiert.
BVerfG zur Organspende: Wie die Samstags-Welt und lto.de (Pia Lorenz) berichten, hat das Bundesverfassungsgericht wegen des fehlenden Fortsetzungsfeststellungsinteresses eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, mit der sich eine Frau, die auf ein Spenderorgan wartete, gegen die vom Arzt vorgenommene Einstufung als nicht transplantabel wandte. Da sie zwischenzeitlich ein Organ erhalten habe, fehle ein schutzwürdiges Interesse, so die Karlsruher Richter.
VG Augsburg zum muslimisches Kopftuch: Jost Müller-Neuhof (Tsp) befasst sich noch einmal mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Augsburg von Ende Juni, mit dem das Kopftuch-Verbot für Rechtsreferendare für unzulässig erklärt wurde.
Recht in der Welt
Schweiz – "Selbstbestimmungsintiative": Die Schweizer Volkspartei SVP hat laut Samstags-FAZ (Johannes Ritter) am Freitag die erforderlichen Unterschriften zur Einleitung einer Volksabstimmung abgegeben, mit der der Vorrang des internationalen Rechts vor dem nationalen Recht eingeschränkt werden soll. Im Fall eines Widerspruchs zwischen völkerrechtlichen Verpflichtungen und der Bundesverfassung soll sich der Bund für eine Anpassung der völkerrechtlichen Verpflichtungen einsetzen. Ist das nicht möglich, soll der völkerrechtliche Vertrag gekündigt werden. Menschenrechtsorganisationen kritisieren den Vorstoß und sprechen von einer "Anti-Menschenrechtsinitiative".
USA – "Making a murderer": Die amerikanische Dokuserie "Making a murderer" zeichnet einen Mordfall und dessen juristische Aufarbeitung nach. Nach einem Bericht von spiegel.de könnte jetzt einer der beiden Verurteilten aus dem Gefängnis freigelassen werden. Ein Richter hat festgestellt, dass das Geständnis, dass seinerzeit abgegeben wurde, unfreiwillig erfolgte. Es seien falsche Versprechungen gemacht worden und die Befragung habe ohne die Eltern des damals Sechzehnjährigen stattgefunden. Besonders perfide: einer der Verteidiger soll den minderbemittelten Teenager durch einen Privatermittler zu einem Geständnis bewegt haben.
Frankreich – Keine Freilassung trotz Begnadigung: Eine wegen Mordes an ihrem gewalttätigen Mann verurteilte Frau muss nach einem Bericht auf spiegel.de trotz ihrer Begnadigung durch Präsident François Hollande in Haft bleiben. Ein Gericht in Melun südlich von Paris wies den Antrag der 68-Jährigen auf Freilassung zurück, weil sie nicht genug Einsicht in ihre Tat gezeigt habe. Die Staatsanwaltschaft kündigte Berufung an.
Sonstiges
Rückfallquote: Die WamS (Christine Kensche) teilt mit, dass 48 Prozent aller verurteilten Straftäter in Deutschland rückfällig werden und bezieht sich dabei auf eine unveröffentlichte Studie, die im Auftrag des Bundesjustizministeriums erstellt wurde. Die Rückfallquote variiert dabei je nach Delikt stark. Von den Tätern, die wegen Raubes oder Erpressung verurteilt wurden, wurden 72 Prozent erneut straffällig. Von den wegen Mordes oder Totschlags Verurteilten hingegen kamen 34 Prozent wieder vor Gericht.
Meinungsfreiheit: In einer Kolumne erinnert Bettina Gaus (Samstags-taz) unter der Überschrift "Das Recht auf Unsinn" daran, dass die grundgesetzlich gewährte Meinungsfreiheit auch für jene gilt, deren Auffassung man nicht teile. Migranten hätte deshalb auch das Recht, Erdogan zu mögen und Merkel nicht.
Lauingers-Sohn-Affäre: Dem Thüringer Justizminister Dieter Lauinger wird vorgeworfen, sein Amt für private Zwecke missbraucht zu haben. Er soll darauf hingewirkt haben, dass sein Sohn eine eigentlich gesetzlich vorgesehene Prüfung nicht ablegen muss, berichteen der Focus (Goran Schattauer) und spiegel.de. Wie die Montags-taz meldet, lehnt Lauinger einen Rücktritt ab. Der CDU-Landtagsabgeordneter Stefan Gruhner hatte eine entsprechende Forderung erhoben.
Wie man sich kleidet…: Der Kleiderordnung vor Gericht erläutert Dorothea Friedrich in der FAS. Sie hat sich dazu mit dem Rechtsanwalt Alfred Dierlamm unterhalten, der fest davon überzeugt ist, dass der erste Blick des Richters auf den Mandanten den Urteilsspruch entscheidet.
Das Letzte zum Schluss
Von Schweinen und großen Tieren: Bei dieser mündlichen Verhandlung dürften ausnahmsweise Handys erlaubt gewesen sein: Justillion (Stephan Weinberger) berichtet von einem Verfahren, in dem sich das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg mit Emojis und deren Geeignetheit zur Beleidigung zu befassen hatte. Ein Arbeitnehmer hatte auf Facebook zu seiner Krankschreibung gepostet und der Kläger in der Kommentarfunktion darauf geantwortet. Er hat dabei u.a. ein Emoji in Form eines Schweinekopfes verwendet und damit wohl einen Vorgesetzten gemeint. Nachdem der Arbeitgeber davon erfahren hatte, wurde dem Kläger gekündigt. Das Gericht hat festgestellt, dass die Bezeichnung "fettes Schwein", auch als Emoji dargestellt, eine grobe Beleidigung darstellt. Allerdings sei im Fall eine Kündigung nicht erforderlich gewesen, sondern es hätte eine Abmahnung genügt. Schwein gehabt!
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. bis 15. August 2016: Burka und Sicherheit / Kinder und Ehe / Richter und Unabhängigkeit . In: Legal Tribune Online, 15.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20289/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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