Die Bundeswehr hat erhebliche Personalprobleme. Verteidigungsminister Pistorius will eine neue Form von Wehrdienst einführen. Doch seine Kabinettskollegen Lindner und Buschmann stellen sich quer.
Die FDP lehnt das von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorgelegte Modell für eine neue Art von Wehrdienst strikt ab.
Pistorious schlägt einen Grundwehrdienst von sechs Monaten mit einer Option für einen zusätzlichen freiwilligen Wehrdienst von bis zu 17 Monaten vor. Dazu wird eine verpflichtende Erfassung eingeführt, in der junge Männer Angaben zu ihrer Bereitschaft und Fähigkeit, einen Wehrdienst zu leisten, machen müssen; junge Frauen können dies freiwillig tun. Aus dem Pool von 400.000 Kandidaten eines Jahrgangs sollen von 2025 an jährlich zunächst 5.000 zusätzliche Wehrpflichtige, später auch mehr, gewonnen werden.
Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesjustizminister Marco Buschmann begrüßen in einem Schreiben an den Verteidigungsminister zwar die von ihm angestoßene Debatte zur Steigerung der Wehrfähigkeit. Eine allgemeine Wehr- oder Dienstpflicht halten sie aber aus finanziellen, volkswirtschaftlichen und rechtlichen Gründen für nicht realistisch. Stattdessen setzen die beiden FDP-Politiker darauf, den Soldatenberuf attraktiver zu machen, und wollen die Rolle der Reservistinnen und Reservisten stärken.
Über das Schreiben von Lindner und Buschmann an Pistorius hatte zuerst die Welt berichtet. Es liegt auch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor.
FDP: Keine gesellschaftliche Akzeptanz einer Wehrpflicht
"Uns eint das Ziel, die Bundeswehr zu einer der modernsten und schlagkräftigsten Armeen zu machen", heißt es in dem Brief. "Dieses Ziel können und werden wir nur mit der entsprechenden gesellschaftlichen Akzeptanz erreichen. Dies schließt die Wiedereinführung einer allgemeinen Wehrpflicht bzw. Dienstpflicht nach unserer Auffassung aus.
Die beiden FDP-Minister weisen darauf hin, dass für eine neue allgemeine Wehr- oder Dienstpflicht Strukturen aufgebaut werden müssten, was ein "langwieriger und extrem kostenintensiver Prozess" wäre.
Auch könnte eine neue Wehr- oder Dienstpflicht zu erheblichen volkswirtschaftlichen Verlusten führen, wie das Ifo-Institut in einer Kurzexpertise für das Bundesfinanzministerium ermittelt habe. "Allein die jährliche Verpflichtung eines Viertels einer Alterskohorte im Rahmen einer Wehr- oder Dienstpflicht, also von ca. 195.000 Personen würde nach den Berechnungen des Ifo-Instituts zu einem Rückgang des Bruttonationaleinkommens um 17,1 Milliarden Euro führen."
FDP will Soldatenberuf attraktiver machen
Lindner und Buschmann halten es zwar für eine "Maßnahme vorausschauender Klugheit", eine Bestandsaufnahme der Menschen in Deutschland vorzunehmen, die im Verteidigungsfall eingezogen werden könnten. "Eine darüber hinausgehende Verpflichtung von kleinen Teilen eines Jahrgangs, sich mustern zu lassen oder gar einen Wehrdienst abzuleisten, würde aber unvermeidliche Fragen der Wehrgerechtigkeit aufwerfen", schreiben sie. Zudem stelle dies für die Betroffenen einen tiefen Einschnitt in ihre Freiheit und persönliche Lebensplanung dar.
Um die Personalprobleme der Bundeswehr zu beheben, setzen die beiden FDP-Politiker stattdessen darauf, die Streitkräfte zu einem "noch attraktiveren Arbeitgeber zu machen". Außerdem solle die Rolle von Reservistinnen und Reservisten gestärkt werden. Diese müssten stärker in die Strukturen der Bundeswehr eingebunden werden, weil es sich bei ihnen um die Praktiker und Profis handele, die die Truppe dringend benötige.
Schwedisches Modell in Deutschland?
Über eine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht wird seit Beginn des russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine vermehrt diskutiert.
Bereits im April 2023 hatte Dr. Patrick Heinemann diese Frage in einem Gastbeitrag für LTO aufgegriffen. Im Gespräch mit Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München, analysierte er, ob die Motivation der Wehrpflichtigen künftig ein Auswahlkriterium sein könnte. So handhaben das etwa Norwegen und Schweden, die beide eine Wehrpflicht wieder eingeführt haben. Bei der Musterung spielt allerdings nicht nur die körperliche Eignung eine Rolle, sondern auch die Einstellung und Motivation der Gemusterten. In Deutschland könnte dieses viel diskutierte schwedische Modell laut einer Analyse von Dr. Christian Rath für LTO aber nur durch eine Grundgesetzänderung eingeführt werden.
dpa/jb/LTO-Redaktion
Personalprobleme der Bundeswehr: . In: Legal Tribune Online, 09.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54960 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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