Letztes Jahr fand der deutsche Verkehrsgerichtstag wegen der Pandemie nur verkürzt statt. Dieses Jahr tagen die Experten wieder drei Tage und wollen am Freitag Vorschläge an den Gesetzgeber weitergeben.
Am Mittwoch hat der Verkehrsgerichtstag 2022 in Goslar begonnen. In sieben Arbeitskreisen diskutieren und referieren Experten bis Freitag über Themen wie Cannabis im Straßenverkehr, Gefährdungshaftung für geschwindigkeitsreduzeirte Fahrzeuge und mehr Sicherhheit für Radfahrer. In diesem Jahr nehmen 1.211 Teilnehmer aus etwa einem Dutzend europäischen Ländern teil. Er zählt zu den wichtigsten Treffen von Fachleuten für Verkehrssicherheit und Verkehrsrecht in Deutschland.
Ein Überblick über die Themen:
Rechtsfolgen im Ordnungswidrigkeitrecht angemessen?
Der erste Arbeitskreis des Verkehrsrechtstages diskutiert, ob die Rechtsfolgen im Ordnungswidrigkeitrecht angemessen sind. Wie aus der Presseinformation des Verkehrstages hervorgeht, würdigt er vor allem die Änderung des Bußgeldkatalogs vom Herbst 2021 kritisch, die unter anderem die Geldbußen erhöht hat, um eine Änderung des Fahrverhaltens zu bewirken. Wenn eine Verhaltensveränderung auch erreicht werden könne, ohne dass ein Fahrverbot ausgesprochen werden muss, führe dies zu einer Entlastung der Betroffenen, Behörden und Gerichte bei gleichzeitiger Verbesserung der Verkehrssicherheit, heißt es in der Pressinformation.
Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) fordert vor diesem Hintergrund ein flexibleres Verfahren im Ordnungswidrigkeitenrecht. Auch Richter Dr. Alessandro Bellardita, der zu diesem Thema auf der Tagung referieren wird, fände aufgrund der deutlich eingeschränkten richterlichen Ermessensspielräume, neue Wege begrüßenswert. Ein denkbarer Weg, um den Gerichten mehr Spielraum bei der Einzelfallbeurteilung zu gewähren, bestünde für den Richter in der Möglichkeit die Vollstreckung ders Fahverbots zur Bewährung auszusetzen.
Cannabis im Straßenverkehr
Vor dem Hintergrund, dass der Bundestag beabsichtigt den Erwerb und Besitz von Cannabis unter bestimmten Voraussetzungen zu legalisieren, ist auch Cannabis ein Thema des Verkehrgerichtstages. Es gehe mit der Legalisierung die Frage einher, welche Auswirkungen sie auf den Straßenverkehr, insbesondere auf das Fahrerlaubnis-, Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht habe. Vor allem müsse geklärt werden, ob Alkohol und Cannabis rechtlich gleichbehandelt werden sollten.
Prof. Dr. Stefan Tönnes, Leiter der Abteilung Forensische Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin an der Universität Frankfurt Main, hat dazu geforscht: Alkohol und Cannabis seien nicht vergleichbar, steht in der Kurzfassung seines Referates, die der Verkehrsrechtstag vorab veröffentlicht hat. Sie würden sich gravierend in Wirkungsweise, Toxikokinetik, Einfluss auf die Fahrweise sowie das Unfallrisiko unterscheiden.
Die Arbeitsgemeinschaft des DAV hingegen kritisiert die aktuelle Handhabung und Ungleichbehandlung der beiden Drogen. Außerdem schlägt sie vor, nur tatsächlich berauschte Fahrer zu kriminalisieren.
Mehr Sicherheit für Radfahrer
Wie kann mehr Radverkehr mit mehr Verkehrsichherheit geschaffen werden? Auch mit dieser Frage setzen sich die Experten auseinander. Anlass dafür sind die konstant hohen Unfallzahlen von Radfahern.
Hierzu gibt es laut DAV verschiedene Ansätze: Neben technischen Möglichkeiten, wie z.B. Assistenzsystemen oder dem bereits vorhandenen, aber zu selten benutzten Fahrradhelm, gebe es Überlegungen für den Radverkehr abgetrennte und geschützte Fahrbahnen zu schaffen. Experten wie Michael Milde, Abteilungsleiter Mobilitätsplanung der Stadt Münster, merken jedoch kritisch an, dass es zurzeit noch erheblich an Platz fehle. Es benötige zunächst politisch und gesellschaftliche Bereitschaft, Flächen für Fahrradwege bereitzustellen.
E-Scooter – ist unser Haftungsrecht noch zeitgemäß?
Thema des Verkehrsrechtstages sind auch die geschwindkeitsreduzierte Fahrzeuge wie E-Scooter oder langsame Landfahrzeuge, die nicht mehr als 20 km/h erreichen. Diese sind von der sogenannten Gefährdungshaftung ausgenommen. Gehaftet wird nur nach dem Schuldprinzip und nicht nach der Gefährlichkeit eines einzelnen Fahrzeugs (Betriebsgefahr). Nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft des DAV sei das nicht mehr zeitgemäß und müsse sich ändern.
Das sieht auch Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Dirk Looschelders so: Die Privilegierung langsam fahrender Fahrzeuge lasse sich nicht mehr mit dem Zweck der Gefährdungshaftung im Straßenverkehr vereinbaren, heißt es in der Presseinformation zu seinem Referat. Der Gesetzgeber sei aufgerufen, den Ausschluss der Gefährdungshaftung für langsam fahrende Kraftfahrzeugen zu streichen oder zumindest einzuschränken.
Kritik an Doppelkompetenz bei Beurteilung der Fahreignung
Sowohl Strafgerichte als auch Fahrerlaubnisbehörden haben die Kompetenz die Fahreignung zu beurteilen. In der Praxis zeige sich jedoch, dass diese Doppelkompetenz nicht zu der Verfahrensvereinfachung führe, die sie eigentlich bezwecke, erklärt der Verkehrsrechtstag in seiner Presseinformation. Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des DAV hält die Doppelkompetenz auch für problematisch. Das Ziel des Gesetzgebers, widersprüchliche Entscheidungen zu Lasten des Betroffenen zu vermeiden, werde leider in vielen Fällen verfehlt. Deshalb fordern sie weiter, die zwingende Bindungswirkung der Fahrerlaubnisbehörde an die Feststellung des Gerichts aufzuheben. Diese sei nur dann angezeigt, wenn sowohl im Verwaltungs- als auch im Strafverfahren dieselben Maßstäbe herrschen.
In den kommenden zwei Tagen werden verschiedene Experten unter anderem über diese Themen diskutieren am Freitag Empfehlungen an den Gesetzgeber herausgeben.
Verkehrsgerichtstag 2022: . In: Legal Tribune Online, 17.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49346 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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