Im Vertragsverletzungsverfahren um Ungarns umstrittenes NGO-Gesetz kommt der EuGH-Generalanwalt zu einem klaren Ergebnis: Die den Organisationen auferlegten Beschränkungen seien nicht mit dem Unionsrecht vereinbar.
Ungarn droht im Streit über ausländische Spenden an Vereine und Verbände eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der zuständige Generalanwalt empfahl am Dienstag, die ungarischen Auflagen für finanzielle Zuwendungen aus dem Ausland als Verstoß gegen EU-Recht zu werten. Das Gesetz verletze sowohl den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs als auch europäische Grundrechte, wie aus den Schlussanträgen zu dem Fall hervorgeht (Rechtssache C-78/18).
Die Regierungsmehrheit des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban hatte 2017 das sogenannte NGO-Gesetz verabschiedet. Es sieht die Registrierung von Nichtregierungsorganisationen (NGO) vor, die Spenden aus dem Ausland bekommen und dabei einen bestimmten Schwellenwert überschreiten. Bei der Registrierung müssen die NGO zudem die Anzahl der Unterstützer, die mehr als 500.000 Forint (ca. 1.500 Euro) gespendet haben sowie den genauen Betrag der Spende angeben. Die Informationen werden dann auf einem Internetportal veröffentlicht. Darüber hinaus müssen die betroffenen Organisationen auf ihrer Internetseite und in ihren Veröffentlichungen angeben, dass sie eine "aus dem Ausland unterstützte Organisation" sind. Die Kommission leitete deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein.
In seinen Schlussanträgen folgt EuGH-Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona im Wesentlichen den Einwänden der Kommission. Die Regelung beschränke den im europäischen Binnenmarkt garantierten Grundsatz des freien Kapitalverkehrs. Die betroffenen Organisationen könnten Finanzierungsschwierigkeiten bekommen, was ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit beschränken könnte. Die ausländischen Spender wiederum könnten wegen der Veröffentlichung stigmatisiert werden.
Generalanwalt: Regelungen sind unverhältnismäßig
Solche Veröffentlichungen fielen unter EU-Datenschutzrecht, hieß es weiter. Die Nennung könnte "zur Bestimmung des ideologischen Profils des Zuwenders" beitragen. Verletzt würden damit das Recht auf Schutz des Privatlebens und personenbezogener Daten sowie das Recht auf Vereinigungsfreiheit, die alle in der europäischen Grundrechtecharta garantiert seien, stellt der Generalanwalt fest.
Derartige Eingriffe könnten zwar unter bestimmten Bedingungen gerechtfertigt sein, etwa zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Doch seien die ungarischen Regeln unverhältnismäßig, befand der Generalanwalt. So stehe etwa der niedrige Schwellenwert von nur rund 1.500 Euro pro Spender nicht im Verhältnis zur Schwere der Eingriffe.
Der ungarische Ministerpräsident führt seit Jahren Kampagnen gegen den amerikanischen Milliardär George Soros. Kritiker sagen, das Gesetz sei auf den US-Investor und Spender zugeschnitten. 2017 beschloss die ungarische Regierung ein neues Hochschulgesetz, das die Lehre an der 1991 von Soros gegründeten Central European University in Budapest bedroht. Auch dagegen leitete die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren ein.
Das Urteil in dem Fall der NGO dürfte in einigen Wochen fallen.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Vertragsverletzungsverfahren: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39667 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag