Die Abstimmung im Europaparlament über das Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Ungarn im Jahr 2018 hat nach Ansicht des Generalanwalts die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit erhalten. Nun droht Ungarn eine Niederlage vor dem EuGH.
Ungarn droht mit seiner Klage gegen eine Entschließung des Europaparlaments zu einem Sanktionsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu scheitern. In dem Streit geht es konkret darum, ob es rechtens war, dass Enthaltungen bei der Berechnung der Parlamentsmehrheit nicht berücksichtigt wurden. Der zuständige EuGH-Generalanwalt wertete Ungarns Klage in seinen Schlussanträgen am Donnerstag als unbegründet und empfahl, sie abzuweisen. Eine Entscheidung in dem Fall wird dann der EuGH in einigen Wochen treffen (Rechtssache C-650/18).
Im September 2018 hatte das Europaparlament einem Beschluss zugestimmt, wonach wegen der Gefährdung von EU-Grundwerten ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Ungarn vorgeschlagen wurde. Konkret sah das Parlament etwa die Unabhängigkeit der Justiz und die Meinungsfreiheit in Ungarn in Gefahr. Das Verfahren nach Art. 7 der EU-Verträge ist das schärfste Mittel gegen ein EU-Land und kann im äußersten Fall zum Entzug der Stimmrechte im Ministerrat führen.
Für die Entschließung im Parlament war eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig. Bei 448 Ja-Stimmen, 197 Nein-Stimmen und 48 Enthalten wurde diese unter Nicht-Berücksichtigung der Enthaltungen erreicht. Wären die Enthaltungen dagegen bei der Berechnung eibezogen worden, wäre die erforderliche Mehrheit verfehlt worden. Ungarn vertritt den Standpunkt, dass die Stimmenthaltungen hätten berücksichtigt werden müssen.
EuGH-Generalanwalt Michal Bobek sieht das in seinen Schlussanträgen anders. Die Stimmenthaltungen seien nach einer Vorschrift in der Geschäftsordnung des Parlaments eindeutig von der Zählung ausgeschlossen. Die geltenden Regeln für die Abstimmung seien den Abgeordneten zudem vorher mitgeteilt worden. Auch schlössen sich Enthaltungen und abgegebene Stimmen schon rein sprachlich aus. Außerdem, so Bobek, seien die für den Abstimmungsprozess geltenden Vorschriften den Parlamentsmitgliedern bekannt gewesen, da sie anderthalb Tage vor der Abstimmung ordnungsgemäß darüber unterrichtet worden seien.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Schlussanträge des Generalanwalts: . In: Legal Tribune Online, 03.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43622 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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