Die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit verläuft vielleicht im Nebel, den Betriebsfrieden kann sie dennoch kräftig trüben. So geschehen wegen eines Buches, ein Büro-Roman mit starken Worten über vielleicht echte Kollegen. Er bescherte dem Verfasser die fristlose Kündigung – zu Unrecht, wie das LAG Hamm am Freitag bestätigt hat, denn die Kunst sei frei. Und der Arbeitgeber wahrte sein Gesicht: So ginge es nun wirklich nicht zu.
Das Arbeitsgericht Herford hatte der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers bereits stattgegeben, nun hat das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) die Berufung des Arbeitgebers zurückgewiesen. Bei dem Buch des Klägers "Wer die Hölle fürchtet, kennt das Büro nicht" handele es sich um Fiktion - wirkliche Personen seien nicht zu identifizieren. Die Kündigung des Verfassers bleibt weiterhin ungültig (Urt. v. 15.07.2011, Az. 13 Sa 436/11).
Der 51 Jahre alte Kläger arbeitet seit 1998 bei dem beklagten Küchenhersteller in der Vertriebsabteilung und ist Mitglied des Betriebsrats. In seinem Roman schildert er aus der Perspektive eines Ich-Erzählers den Büroalltag und verschiedene Details über Arbeitskollegen.
Pikante Details über "Kollegen"
Ein Kollege namens "Hannes" konsumiere Rauschmittel, denn er habe "alles geraucht, was ihm vor die Tüte kam". Über eine Arbeitskollegin namens "Fatma" liest sich, sie "erfülle so manches Klischee, was man allgemein von Türken pflegt: ihre krasse Nutzung der deutschen Sprache und auch ihr aufschäumendes Temperament. Leider steht ihr Intellekt genau diametral zu ihrer Körbchengröße".
Den Junior-Chef "Horst" beschreibt der Erzähler folgendermaßen: "Er ist ein Feigling! Er hat nicht die Eier, jemandem persönlich gegenüberzutreten, dafür schickt er seine Lakaien". Ende Oktober 2010 bot der Kläger seinen Kollegen das Buch zum Kauf an, am 10. November 2010 folgte für ihn die fristlose Kündigung.
Nach Ansicht des Arbeitgebers enthält der Roman beleidigende, ausländerfeindliche und sexistische Äußerungen über Kollegen und Vorgesetzte. Parallelen zwischen Buch und Unternehmen seien deutlich erkennbar, "Hannes", "Fatma" und "Horst" als tatsächlich existierende Personen zu identifizieren. Der Betriebsfrieden sei erheblich gestört worden.
Alles ausgedacht, sagt selbst der Arbeitgeber
Die 13. Kammer des LAG stimmte aber wie bereits die Vorinstanz dem Kläger zu: Die Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz (GG) erlaube einen fiktionalen Roman zu verfassen, ohne dafür die Kündigung zu erhalten. Denn grundsätzlich folge aus der Kunstfreiheit die Vermutung, dass es sich um eine rein ausgedachte Darstellung handele. Etwas anderes gelte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur, wenn alle Eigenschaften einer Romanfigur ihrem Vorbild entsprächen.
Dass dies nicht der Fall sei, wollte der Arbeitgeber im Verfahren gern selbst betonen. So wie im Buch geschildert ginge es im Betrieb dann doch nicht zu, schließlich sei alles überspitzt gezeichnet. Den Richtern wurde damit jeder Anlass genommen, die Kunstfreiheit des gekündigten Vertriebsmitarbeiters einzuschränken.
Aufgrund der Bedeutung des Verfassungsrechts für die Entscheidung hat das LAG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
ssc/LTO-Redaktion
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LAG Hamm: . In: Legal Tribune Online, 16.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3779 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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