Als Reaktion auf die Billigung der Terrorattacken der Hamas durch einen Teil pro-palästinensischer Demonstranten wird die "Härte des Rechtsstaats" gefordert. Doch was können Aufenthalts-, Versammlungs- und Strafrecht leisten?
Der Großangriff der islamistischen Hamas in Israel hat eine Debatte über den Umgang mit Unterstützern der palästinensischen Terrororganisation in Deutschland entfacht. Dabei werden Forderungen nach einer konsequenteren Straftverfolgung bis zur Ausweisung von Hamas-Aktivisten laut, wie etwa vom Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion Christian Dürr: "Es ist aus meiner Sicht eine Schande, was wir in den letzten Tagen auch auf deutschen Straßen gesehen haben", sagte Dürr am Dienstag. "Ich erwarte von uns allen – Bund, Länder, Gemeinden – dass wir hier mit aller Härte vorgehen, dass Straftaten geahndet werden."
Der FDP-Politiker verlangte zudem, Konsequenzen bei der Einbürgerung zu ziehen. "Wer zu uns nach Deutschland kommt, um auf den Straßen gegen jüdisches Leben zu hetzen, der darf aus meiner Sicht keinen deutschen Pass erhalten und der ist in Deutschland auch nicht willkommen." Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte sich für die Ausweisung von Unterstützern der Hamas aus Deutschland ausgesprochen und angekündigt, alle rechtlichen Möglichkeiten dafür zu nutzen.
Aber können Hamas-Unterstützer unproblematisch ausgewiesen werden? Sind Versammlungsverbote so ohne Weiteres möglich – auch wenn es den Demonstrierenden vielleicht nur um die Freiheit Palästinas bei gleichzeitiger Verurteilung der Hamas geht?
Keine unmittelbaren aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sieht für eine Ausweisung von in Deutschland lebenden Hamas-Aktivisten hohe Hürden. Das sei zwar "ein schöner Gedanke", aber rechtlich schwer umsetzbar. "Sie können nur jemanden ausweisen, wenn Sie ihm konkret nachweisen, dass er straffällig geworden ist", sagte Reul am späten Montagabend im ZDF. Zudem brauche es ein Land, das die Menschen aufnimmt, betonte der CDU-Politiker. "Also so einfach ist das nicht."
Tatsächlich interessiert sich das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht für straflose Meinungsäußerungen, selbst wenn sie der Staatsräson widersprechen. Eine Einbürgerung oder die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis ist aber in der Regel abzulehnen, wenn ein Ausweisungsinteresse besteht (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG); wiegt dieses besonders schwer, lässt § 53 AufenthG auch die Ausweisung zu. Im Zusammenhang mit Straftaten ist ein (besonders) schwerwiegendes Ausweisungsinteresse in der Regel nur bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe anzunehmen.
Auch ein Verbot von pro-palästinensischen Demonstrationen in Deutschland hält Reul für "juristisch ungeheuer schwierig". Das Recht der freien Meinungsäußerung sei ein hohes Gut in Deutschland. Es müsse "schon viel passieren", bis hierzulande eine Demonstration verboten werde. Selbst wenn es die "schrägste, verrückteste und bekloppteste Meinung" sei, könnten Menschen an ihren Äußerungen nur gehindert werden, wenn damit die öffentliche Sicherheit oder andere Menschen gefährdet würden. Und das müsse bewiesen werden.
Bundesweit unterschiedliche Handhabung von Versammlungsverboten
Laut einem Bericht des Ministers für den Innenausschuss des Landtags hat es im Zusammenhang mit dem aktuellen Kriegsgeschehen in Israel in NRW bislang 47 pro-israelische und 19 pro-palästinensische Veranstaltungen gegeben. Hierbei seien "vereinzelte Straftatbestände festgestellt" worden. Strafrechtliche Prüfungen oder Strafverfahren seien eingeleitet wurden. Aufgrund des "hohen Emotionalisierungspotentials" der aktuellen Geschehnisse in Israel sei mit einem "weiter ansteigenden Versammlungsaufkommen" sowohl durch pro-israelische als auch pro-palästinensische Gruppierungen zu rechnen, hieß es weiter.
In Berlin verbot die Polizei unterdessen zuletzt etliche pro-palästinensische Versammlungen mit dem stets gleichen Passus: Es bestehe "die unmittelbare Gefahr, dass es bei der Versammlung zu volksverhetzenden, antisemitischen Ausrufen, Gewaltverherrlichungen, dem Vermitteln von Gewaltbereitschaft und dadurch zu Einschüchterungen sowie Gewalttätigkeiten" komme.
Verboten wurden geplante Demonstrationen mit den Titeln "Kein Flächenbrand in Nahost" (16.10.), "Frieden in Nahost – Stopp den Krieg in Nahost" (13.10.) und "Jüdische Berliner*innen gegen Gewalt in Nahost – Gegen den Mord an unseren Mitmenschen in Gaza, jüdische und palästinensische Menschen haben das gleiche Recht zu leben" (14.10.). Die Verbote sind nicht nur auf die an den jeweiligen Daten geplanten Versammlungen beschränkt, sondern beziehen sich auch auf "die Durchführung jeder Ersatzveranstaltung". Die Verbote von Ersatzversammlungen verbindet die Polizei mit Fristen, die jeweils sechs Tage über das Datum der geplanten Versammlung hinausgehen. Teilweise wurden insoweit "Sperrfristen" bis zum 27. Oktober angeordnet.
Für die nächsten Tage sind auch weitere Demonstrationen zum Thema Nahost-Konflikt angemeldet, hier die Polizei prüft noch. Eine LTO-Anfrage vom Montag, auf Grundlage welcher Gefahrenprognose z.B. die Versammlung "Jüdische Berliner*innen gegen Gewalt in Nahost" verboten worden sei, ließ die Polizei Berlin bislang unbeantwortet. Der Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland, Laith Arafeh, kritisierte am Montag die Verbote.
In Frankfurt waren sich am Wochenende die Gerichte uneinig über ein von der Stadt verhängtes Verbot der Versammlung "Ein Freies Palästina". Nachdem das Frankfurter Verwaltungsgericht das Verbot im Eilverfahren unter Verweis auf die Ultima-ratio-Funktion des Versammlungsverbots zunächst gekippt hatte, stellte es der hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel wieder her. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der ehemalige Grünen-Politiker Volker Beck, kommentierte dies auf X so: "Alles Andere wäre auch haarsträubend. Die Sicherheit der Jüdinnen und Juden muss Teil des Begriffs der öffentlichen Sicherheit sein."
§ 130 StGB verschärfen?
Klar ist: Versammlungsverbote sind dann möglich, wenn die Gefahr der Begehung von Straftaten besteht. In Betracht kommen in erster Linie Volksverhetzungen nach § 130 Strafgesetzbuch (StGB) sowie die Billigung von Straftaten nach § 140 StGB.
Wie der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Thomas Fischer auf LTO analysiert, dürfte z.B. die beliebte Parole "From the river to the sea, Palestine will be free" im konkreten Kontext am Tag bzw. einen Tag nach der Terrorattacke nach § 140 StGB strafbar sein, weil sie als Billigung einer gewaltsamen "Befreiung" Palästinas in der Gestalt des Angriffs vom 7. Oktober zu verstehen sei. Eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung scheidet laut Fischer jedoch aus, weil dafür ein in Deutschland lebender "Teil der Bevölkerung" Ziel der Diffamierungen sein müsste. Dieser Inlandsbezug sei bei einer Glorifizierung der Hamas-Gräueltaten der letzten Woche nicht eindeutig gegeben.
Dass § 130 StGB bei den Pro-Palästinena- und Pro-Hamas-Demos oft nicht zur Anwendung kommt, würde der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, gerne ändern. Am Montag forderte er, das Tatbestandsmerkmal "Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören" aus § 130 StGB zu tilgen, um den Polizei- und Versammlungsbehörden ein Einschreiten zu erleichtern. Der Vorschlag geht zurück auf eine Untersuchung der Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven von der Universität Leipzig. Indes: Nach Einschätzung von Thomas Fischer scheitert die Strafbarkeit gar nicht aus diesem Grund: "An der Eignung zur Friedensstörung besteht im hier gegebenen konkreten Zusammenhang kein Zweifel", schreibt er auf LTO.
Bedrohungslage für jüdische und israelische Einrichtungen und Personen weiterhin hoch
Befürchtet wird unterdessen, dass es in Deutschland im Zusammenhang mit dem Krieg im Nahen Osten zu terroristischen Straftaten kommen kann. Die Bedrohungslage in Deutschland nach dem Großangriff der Hamas in Israel bezeichnete NRW-Innenminister Reul im ZDF als "abstrakt sehr hoch". Konkret gebe es zwar "keine Hinweise darauf, dass irgendwo irgendwer was ganz Konkretes plant". Doch die Bedrohungslage "kann jederzeit explodieren". In dem Bericht Reuls für den Landtag heißt es: "Zum jetzigen Zeitpunkt liegen auf Grundlage der Gefährdungsbewertung der Sicherheitsbehörden des Bundes sowie des Landes Nordrhein-Westfalens keine Hinweise auf eine konkrete Gefahr für israelische oder jüdische Einrichtungen in Deutschland vor." Dennoch bestehe "aktuell bundesweit eine abstrakte höhere Gefahr".
Seit dem Hamas-Angriff in Israel wurde die Polizeipräsenz an allen jüdischen Einrichtungen verstärkt. An mehr als 30 herausragenden jüdischen Objekten in NRW seien Objektschutzmaßnahmen "rund um die Uhr" veranlasst worden.
Auch Verbote radikaler Vereine reichen nach Ansicht Reuls allein nicht aus, denn die Vereine könnten sich unter einem anderen Namen wieder organisieren. Viel wichtiger sei es, ganz konkrete Personen im Auge zu behalten, sagte er im ZDF. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Betätigungsverbote für die Hamas und das palästinensische Netzwerk Samidoun angekündigt.
mk/dpa/LTO-Redaktion
Unterstützung und Billigung des Hamas-Terrors: . In: Legal Tribune Online, 17.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52937 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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