Polens neu geschaffene Disziplinarkammer genügt nach Meinung des Generalanwaltes Tanchev nicht den unionsrechtlichen Vorgaben an die richterliche Unabhängigkeit. Nur: Das liege gar nicht an Kammer selbst.
Nach Ansicht des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Tanchev genügt die neu geschaffene Disziplinarkammer des polnischen Obersten Gerichts nicht den Anforderungen des Unionsrechts an die richterliche Unabhängigkeit. Grund dafür sei insbesondere der Umstand, dass die Mitglieder der Kammer vom Landesjustizrat ausgewählt werden, einem Gremium, das die richterliche Unabhängigkeit in Polen gewährleisten soll, an dessen Unabhängigkeit aber seinerseits Zweifel bestehen, wie es in den Schlussanträgen Tanchevs heißt.
Die Disziplinarkammer wurde gegründet, nachdem Polen im Zuge seiner umfassenden Justizreform unter anderem beschloss, dass Rentenalter der Richter des Obersten Gerichts auf 65 Jahre herabzusenken. Betroffene Richter, die sich gegen diese Maßnahmen wehrten, sollten sich nach neuem polnischem Recht an die neu eingerichtete Disziplinarkammer am Obersten Gericht wenden können. Das Oberste Gericht äußerte jedoch seinerseits Zweifel an der Rechtmäßigkeit der neuen Disziplinarkammer, woraufhin es den EuGH anrief.
In seinen Schlussanträgen vom Donnerstag bescheinigt der Generalanwalt der neuen Kammer nun Mängel. Das liege aber nicht daran, dass die Einrichtung einer Disziplinarkammer per se unrechtmäßig wäre, sondern an der Tatsache, dass der polnische Landesjustizrat die Mitglieder der Kammer auswählt. Der Justizrat als Gremium sei nämlich selbst nicht frei von Einflüssen der Legislative und Exekutive und erfülle damit nicht die unionsrechtlichen Anforderungen, was die richterliche Unabhängigkeit der Mitglieder der Disziplinarkammer angehe. Denn wenn das polnische Parlament Einfluss auf die Ernennung der Mitglieder des Landesjustizrates nehmen könne, könne es so auch indirekt Einfluss auf die Besetzung der Disziplinarkammer und damit letztlich auf die Richterposten am Obersten polnischen Gerichtshof nehmen.
Zwar gebe es für Mitgliedstaaten weder eine Pflicht, Institute wie die neue Disziplinarkammer zu errichten oder sich bei ihrer Besetzung an ein bestimmtes Verfahrensmodell zu halten, so Tanchev. Entscheide sich ein Mitgliedstaat aber für die Einrichtung einer solchen Kammer, müsse er unter anderem sicherstellen, dass das Auswahlverfahren ihrer Mitglieder in objektiver und transparenter Weise durchgeführt und auf allen Ebenen gewährleistet wird, dass die Judikative breit vertreten und eine Mitwirkung der Legislative und Exekutive am Auswahlverfahren ausgeschlossen ist, heißt es in den Schlussanträgen.
Diese Vorgaben erfülle schon die Besetzung des Justizrates nicht, so Tanchev weiter. In solchen Fällen müssen seiner Ansicht nach die Zweifel an der Unabhängigkeit einer Kammer ihren Ursprung daher nicht unbedingt in der Kammer selbst haben. Auch eine Einrichtung, die mit der Auswahl der Kammerrichter betraut wird - in diesem Fall der polnische Justizrat -, könne als Anknüpfungspunkt für die Unabhängigkeit der Kammer herangezogen werden, wenn Regelungen über deren Zusammensetzung oder Arbeitsweise einen entsprechenden Verdacht nahelegen.
tik/LTO-Redaktion
Generalanwalt Tanchev zu Polens Justizreform: . In: Legal Tribune Online, 27.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36131 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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