Italienische Wissenschaftler kamen bei der Bewertung einer Genmaissorte zu einem ganz anderen Ergebnis als die Kommission, die Regierung verbot daraufhin den Anbau. Einen Alleingang rechtfertigt das nicht, so der Generalanwalt am EuGH.
Generalanwalt Michal Bobek hat am Donnerstag seine Schlussanträge zu der Frage vorgelegt, ob und wie einzelne Mitgliedsstaaten genetisch veränderte Lebensmittel vierbieten dürfen, die die Kommission vorher als unbedenklich eingestuft hat.
Konkret geht es um den genetisch veränderten MON 810-Mais. Die Kommission hatte den Mais 1998 zugelassen. Dafür bezog sie sich auf eine Stellungnahme des Wissenschaftlichen Ausschusses "Pflanzen", wonach es keinen Grund zu der Annahme gebe, dass der Mais eine Gefahr für Mensch oder Umwelt darstelle.
Italien verbietet Genmais trotzdem
Italienische Wissenschaftler kamen 2013 aber zu einem gegenteiligen Ergebnis. Die italienische Regierung ersuchte die Kommission daraufhin, den Anbau von MON 810-Mais durch Sofortmaßnahmen zu verbieten. Ein Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kam aber zu dem Ergebnis, dass es keine neuen wissenschaftlichen Beweise gebe, die die erbetenen Sofortmaßnahmen rechtfertigten und ihre früheren Feststellungen zur Sicherheit von MON 801-Mais in Frage stellten. Dennoch erließ die italienische Regierung 2013 ein Dekret zum Verbot des Anbaus des Genmais' in Italien.
Trotz des Dekrets baute ein italienischer Landwirt den Mais weiter an, daraufhin wurde ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet. Das mit dem Fall befasste italienische Gericht will nun vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) wissen, ob das Anbauverbot auf Grundlage des Vorsorgeprinzips zulässig ist. Das Vorsorgeprinzip des Lebensmittelrechts (Art. 7 der VO. (EG) Nr. 178/2002) erlaubt den Mitgliedstaaten, Sofortmaßnahmen zu treffen, um Risiken für die menschliche Gesundheit zu vermeiden, die aufgrund wissenschaftlicher Unsicherheiten noch nicht vollständig erkannt oder nachvollzogen worden sind.
Ernstes Risiko offensichtlich nicht wahrscheinlich
Der Generalanwalt hat dem EuGH nun seinen Entscheidungsvorschlag unterbreitet. Die Mitgliedstaaten sollen demnach nur dann Sofortmaßnahmen in Bezug auf genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel erlassen dürfen, wenn sie neben der Dringlichkeit eine Situation nachweisen können, in der wahrscheinlich ein offensichtliches und ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch, Tier oder die Umwelt besteht.
Dies ergebe sich aus Art. 34 der Unionsverordnung über genetisch veränderte Lebensmittel (VO. (EG) Nr. 1829/2003). Dieser sei eine konkrete Ausprägung des Vorsorgeprinzips im spezifischen Kontext genveränderter Lebensmittel und damit spezieller. Der allgemeine Grundsatz des Vorsorgeprinzips ändere nichts an den "eindeutigen Voraussetzungen" des Art. 34.
Darüber hinaus müsse eine Verordnung in allen Mitgliedsstaaten einheitlich ausgelegt und angewandt werden. Das Vorsorgeprinzip und Art. 34 beträfen zudem verschiedene Bereiche: Art. 34 gelte anders als das Vorsorgeprinzip konkret für genetisch veränderte Erzeugnisse, die vor Inverkehrbringen bereits einer umfassenden wissenschaftlichen Bewertung unterzogen wurden.
Das EU-Recht für Gentechnik-Pflanzen wurde 2015 geändert und auf dieser Grundlage MON-810 mittlerweile in 19 EU-Ländern verboten, darunter auch Italien und Deutschland. Aus Sicht des Generalanwalts ändert das aber nichts an dem vorliegenden Fall und an seiner rechtlichen Bewertung der italienischen Sofortmaßnahmen: Das Dekret sei vorher in Kraft getreten, weswegen der Sachverhalt nach dem damaligen Stand zu beurteilen sei.
acr/LTO-Redaktion
Generalanwalt zu Genmaisverbot in Italien: . In: Legal Tribune Online, 30.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22525 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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