Zum ersten Mal hat der EuGH die mangelhafte Umsetzung einer Richtlinie festgestellt und gegenüber dem Mitgliedstaat unmittelbar eine Sanktion verhängt. Bisher hatte die EU-Kommission dafür immer zwei Verfahren anstrengen müssen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Belgien verurteilt, täglich ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 Euro zu zahlen. Der Mitgliedstaat habe eine europäische Richtlinie nur teilweise in nationales Recht umgesetzt und die Kommission nicht ausreichend über den aktuellen Stand seiner Bestrebungen zur Umsetzung informiert. Es ist das erste Mal, dass der Gerichtshof in einem Verfahren den Pflichtverstoß festgestellt und direkt eine Sanktion verhängt hat (Urt. v. 08.07.2019, Rechtssache C-543/17).
Dass ein Mitgliedstaat der Europäischen Union eine Richtlinie nicht oder nur ungenügend umsetzt, kommt immer wieder vor. Die EU-Kommission betreibt dann ein entsprechendes Vertragsverletzungsverfahren gegen den Mitgliedstaat vor dem EuGH. Stellen die Luxemburger Richter in einer ersten Entscheidung eine Pflichtverletzung fest, müssen die Mitgliedstaaten umgehend Maßnahmen zur Umsetzung ergreifen. Anderenfalls droht eine finanzielle Sanktion, deren Anordnung die Kommission aber in der Regel erst in einem zweiten Verfahren vor dem EuGH erreichen muss.
Neue Vorschrift ermöglicht schnellere Sanktion
In dem vorliegenden Fall haben das Europäische Parlament und der Rat im Jahr 2014 eine Richtlinie erlassen, die den Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen für die elektronische Kommunikation erleichtern und entsprechende Anreize schaffen soll. Obwohl die Mitgliedstaaten diese bis Anfang 2016 in nationales Recht umsetzen sollten, zweifelte die Kommission daran, dass Belgien dieser Pflicht, insbesondere in dem Gebiet rund um die Hauptstadt Brüssel, nachgekommen ist.
In einem im September 2017 eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren rügte die Kommission, dass Belgien weder die Richtlinie vollständig umgesetzt noch sie über die nationalen Umsetzungsmaßnahmen informiert habe. Gleichzeitig beantragte die Kommission, Belgien bis zur Umsetzung gem. Art. 260 Abs. 3 AEUV des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Zahlung eines Zwangsgelds zu verurteilen. Danach kann der EuGH auf Antrag der Kommission gegen die Mitgliedstaaten finanzielle Sanktion verhängen, wenn dieses gegen die Umsetzungspflichten verstoßen.
Die Vorschrift war durch den Vertrag von Lissabon eingeführt worden, um die Mitgliedstaaten stärker dazu anhalten zu können, Richtlinien fristgerecht umzusetzen. Der EuGH hatte in diesem Verfahren nun zu klären, wann ein Mitgliedstaat derart gegen seine Umsetzungsverpflichtung verstößt, dass er direkt - also ohne gesondertes zweites Verfahren - sanktioniert werden kann.
EuGH: Sanktionsverfahren beschleunigen
Der EuGH legte den Art. 260 Abs. 3 AEUV nun so aus, dass die Mitgliedstaaten für eine Pflichtverletzung, die eine sofortige Sanktion rechtfertigt, nicht nur die Richtlinie mangelhaft umgesetzt, sondern daneben die Kommission auch unzureichend über die nationalen Bestrebungen zur Umsetzung informiert haben müssen. Der Kommission seien dabei "hinreichend klare und genaue Informationen über die Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie mitzuteilen."
Die Mitgliedstaaten hätten, so der EuGH, der Kommission genau mitzuteilen, welche nationale Rechts- und Verwaltungsvorvorschriften die einzelnen Richtlinienziele sicherstellen sollten. Nur so könne die Kommission überprüfen, ob der Mitgliedstaat die Richtlinie tatsächlich und vollständig umsetzen wird. Daraufhin sei es Sache der Kommission, die Angaben zu kontrollieren und nachzuweisen, dass die Richtlinie nicht oder nur teilweise umgesetzt worden sei.
Gelingt es der Kommission eine solche Verfehlung des Mitgliedstaats nachzuweisen, ist dieser ab dem Urteilszeitpunkt verpflichtet, die von der Kommission vorgesehene Sanktion zu bezahlen, entschieden die Luxemburger Richter. So sollten die Mitgliedstaaten zum einen angehalten werden, die Richtlinie innerhalb kürzester Zeit umzusetzen und die Kommission über den Fortschritt zu unterrichten. Zum anderen müsse das Sanktionsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden, so der EuGH. Vor der Einführung des Art. 260 Abs. 3 AEUV seien die Mitgliedstaaten nämlich erst mehrere Jahre nach dem Urteil sanktioniert worden.
Im vorliegenden Fall hat Belgien nach Auffassung des EuGH in der beschriebenen Art gegen seine Pflichten verstoßen. Wegen der Vertragsverletzung müsse das deutsche Nachbarland deswegen ab dem Tag der Urteilverkündung bis zum Ende der Verletzung ein Zwangsgeld mit einem Tagessatz von 5.000 Euro an die Kommission zahlen.
mgö/LTO-Redaktion
EuGH zur mangelhaften Richtlinienumsetzung: . In: Legal Tribune Online, 09.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36365 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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