Ein rechter Politiker beschimpfte Journalisten mit den Worten "Judenpresse, Judenpack". Die StA Braunschweig stellte das Verfahren wegen Beleidigung und Volksverhetzung aber ein. Journalisten seien keine klar abgrenzbare Personengruppe.
Im November 2020 organisierte die rechtsextreme Partei "Die Rechte" in Braunschweig eine Veranstaltung anlässlich des Volkstrauertages. Die Veranstaltung wurde von mehreren Journalist:innen beobachtet und teilweise auch gefilmt. Eine Szene vor laufender Kamera sorgte dabei für Aufsehen: Martin Kiese, Vorstandsmitglied der Partei, rief den Journalist:innen die Worte "Judenpresse" und "Judenpack" zu und kündigte an, dass er und seine Mitstreiter:innen "Feuer und Benzin" für sie hätten.
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Das Video sorgte im Netz schnell für Aufsehen und die Staatsanwaltschaft Braunschweig (StA) leitete Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung sowie Beleidigung ein. Wenige Monate später stellte sich auf Rückfrage eines Journalisten jedoch heraus, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder eingestellt hatte, wie die taz berichtete.
StA: Aussagen richteten sich nicht gegen Juden
In einer Mail der Staatsanwaltschaft, die dem "Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus" vorliegt, heißt es von Seiten der Staatsanwaltschaft, dass der Tatbestand der Beleidigung nicht erfüllt sei, denn: "Die Worte 'Jude' und 'Judenpresse' sind insoweit schon objektiv keine Beleidigungen - ebenso wenig wie 'Christ' oder 'Moslem'." Der Begriff "Pack" sei zwar geeignet, eine Beleidigung darzustellen, dazu hätten aber die konkret angesprochenen Personen Strafantrag stellen müssen.
Auch für den Tatbestand der Volksverhetzung sah die Staatsanwaltschaft keinen hinreichenden Tatverdacht. Insbesondere im Zusammenhang mit der Aussage "Feuer und Benzin für euch" seien die Äußerungen zwar "auf der Schwelle der Strafbarkeit", erklärte die Staatsanwaltschaft. Für eine Volksverhetzung hätte sich diese Aussage aber auf eine klar abgrenzbare Personengruppe beziehen müssen. Journalist:innen seien kein solcher abgrenzbarer Teil der Bevölkerung.
Diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft stieß auf viel Kritik, es wurden laut Medienberichten mehrere Beschwerden eingelegt. Unter anderem von Bernadette Gottschalk, die selbst Jüdin ist. Schließlich wies die Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) die Staatsanwaltschaft an, in der Sache erneut zu ermitteln.
Betroffene Journalisten hätten selbst Strafantrag stellen müssen
Mitte Februar stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen allerdings zum zweiten Mal ein. Denn, so führt sie in einem Bescheid, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, erneut aus, für den Tatbestand der Volksverhetzung fehle es an einer klar abgrenzbaren Personengruppe als Adressatin der Aussage Martin Kieses: "Auch wenn die antisemitische Gesinnung des Beschuldigten hier amtsbekannt ist, waren die konkreten Äußerungen doch eindeutig gegen die Pressevertreter gerichtet, bei denen es sich nicht um Juden gehandelt haben dürfte."
Rechtsanwalt und Strafverteidiger Jacob Schieger kritisiert diese Einschätzung gegenüber der taz vehement: "Diese Argumentation geht am Punkt vorbei und verkennt das Angriffsobjekt." Angriffsobjekt seien in der Aussage des Rechtsextremen Kiese laut Schieger nämlich eindeutig nicht vor allem Journalist:innen, sondern vielmehr Juden. Und diese seien vom Tatbestand der Volksverhetzung sehr wohl erfasst.
"Begründung erschüttert das Vertrauen in die Justiz"
Die erneuten Beschwerden gegen die Argumentation der Staatsanwaltschaft kommen jetzt etwa vom Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen. "Antisemitische Hetze ist nicht zu relativieren und muss entsprechend geahndet werden", sagte die Vorsitzende, Rebecca Seidler, der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung am Montag. Die Begründung für die Einstellung des Verfahrens sei erschreckend und erschütterte erheblich das Vertrauen in die Justiz, erklärte sie weiter.
Auch die Gewerkschaft Verdi kritisierte das Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Seit Jahren kämpften die Braunschweiger Zivilgesellschaft, die Gewerkschaften, das Bündnis gegen rechts und viele andere gegen militante Nazis und ihr rechtsextremes Umfeld, sagte der Geschäftsführer für Verdi in Süd-Ost-Niedersachsen, Sebastian Wertmüller. Mit solchen Entscheidungen werde das alles in Frage gestellt, während die rechte Szene Grund zum Feiern bekomme.
ast/LTO-Redaktion mit Materialien der dpa
StA erhebt keine Anklage gegen rechten Politiker: . In: Legal Tribune Online, 27.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51174 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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