Ein erheblich verfrühter Flug kann genauso ärgerlich sein wie ein erheblich verspäteter Flug, findet das AG Hamburg. Eine Fluggesellschaft muss Reisenden daher eine Ausgleichsleistung in voller Höhe zahlen.
Werden Fluggäste auf eine Ersatzbeförderung umgebucht, deren planmäßige Ankunftszeit erheblich vor den Flugzeiten des annullierten Fluges liegt, steht ihnen ein Ausgleichanspruch in voller Höhe zu. Dies hat das Amtsgericht (AG) Hamburg entschieden und damit der Klage zweier Fluggäste stattgegeben (Urt. v. 23.07.2021, Az. 6 C 336/20).
Eigentlich wären die beiden am 11. September 2020 um 14 Uhr von Ibiza aus in Richtung Hamburg gestartet und eben dort rund drei Stunden später angekommen. Der Flug wurde jedoch annulliert. Die beiden wurden daraufhin umgebucht auf einen Flug am Vortag, den 10. September 2020, der um 14 Uhr von Ibiza nach Düsseldorf und erst von dort aus nach Hamburg führte. Die Fluggäste kamen letztlich um 19.50 Uhr in der Hansestadt an - also gut einen ganzen Tag früher als ursprünglich geplant.
Grundsätzlich gilt: Wird ein Flug innerhalb der EU annulliert, steht Fluggästen ein Ausgleich zu. Bei einem Flug der Strecke von Ibiza nach Hamburg beträgt der Ausgleichanspruch nach Art. 7 Abs. 2 lit. b) der EU-Fluggastrechte-Verordnung (Fluggastrechte-VO) 400 Euro pro Person. Der Anspruch kann aber um 50 Prozent gekürzt werden, wenn der angebotene Alternativflug nicht später als drei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges liegt.
Die Fluggesellschaft vertrat im Fall der beiden klagenden Fluggäste, die nach Hamburg wollten, den Standpunkt, dass eine Kürzung gerechtfertig sei. Schließlich hätten die beiden ihr Reiseziel einen Tag früher als geplant erreicht.
Frage höchstrichterlich noch ungeklärt
Das AG sah das aber anders und sprach den klagenden Reisenden die volle Ausgleichsleistung in Höhe von jeweils 400 Euro zu. Eine Kürzung des Ausgleichsanspruchs sei in diesem Falle nicht angezeigt, so das Gericht. Denn Ziel der Ausgleichleistungen sei es, den Schaden der Fluggäste auszugleichen, der in einem Zeitverlust und den damit verbundenen Unannehmlichkeiten besteht. "Derartige Unannehmlichkeiten bestehen für Fluggäste aber nicht nur bei einer erheblich verspäteten Ankunft, sondern auch, wenn ein – gegenüber dem gebuchten annullierten Flug – erheblich verfrühter Abflug vom Abflugort als Ersatzbefürderung angeboten wird", heißt es im Urteil.
Die Interessenlage sei in beiden Fällen vergleichbar, da die Terminplanung der Fluggäste beeinträchtigt werde und ihnen weniger Zeit als ursprünglich geplant zur Verfügung stehe. Laut AG würde es dem Willen des Verordnungsgebers widersprechen, wenn im Ergebnis jede noch so frühe Ersatzbeförderung zu einer Kürzung des Ausgleichsanspruch führte.
Das AG wies darauf hin, dass die Frage, ob eine Kürzung des Ausgleichsanspruchs in Fällen wie diesen rechtens ist, höchstrichterlich noch nicht entschieden ist. "Von daher dürfte diese mutige Entscheidung, die im Übrigen nicht berufungsfähig ist, Signalwirkung haben", sagte Rechtsanwalt Broder Gust von der Lübecker Kanzlei am Klingenberg, der das Urteil vor dem Hamburger AG für die beiden Fluggäste erstritten hat.
acr/LTO-Redaktion
AG Hamburg: . In: Legal Tribune Online, 26.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45562 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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