Vor Gericht treten Staatsanwälte üblicherweise als Ankläger auf. Markus Brauns Verteidiger im Münchner Wirecard-Prozess will den Spieß umdrehen und die Ermittler in die Defensive drängen.
Im Wirecard-Prozess vor dem Landgericht München I soll ein Staatsanwalt als Zeuge vernommen werden. Einen entsprechenden Antrag stellte Alfred Dierlamm, Anwalt des früheren Wirecard-Chefs Markus Braun, am Mittwoch. Die Verteidigung Brauns zielt darauf ab, ihren Vorwurf zu untermauern, wonach die Ermittlungsbehörde einseitig und schlampig zu Lasten Brauns ermittelt habe.
Dierlamm warf der Staatsanwaltschaft vor, dem mitangeklagten Kronzeugen Oliver Bellenhaus zu Beginn des Ermittlungsverfahrens im Juli 2020 Vorteile in Aussicht gestellt zu haben - im Gegenzug für Anschuldigungen gegen Braun und zwei andere Wirecard-Manager.
Hinweis auf Strafmaß in Siemens-Verfahren
Demnach soll die Staatsanwaltschaft Bellenhaus in einem nicht in den Akten dokumentierten Vorgespräch auf die Rolle des Kronzeugen im Siemens-Korruptionsverfahren aufmerksam gemacht haben. "Es wurde ausdrücklich erwähnt, dass dieser Kronzeuge mit einer zweijährigen Bewährungsstrafe davongekommen sei", so Dierlamm.
Die Staatsanwaltschaft soll Bellenhaus ausdrücklich haben, seine Aussage müsse "weitere Personen" belasten, inklusive Braun. Dazu soll nun ein damals beteiligter Staatsanwalt als Zeuge vor Gericht aussagen. Die Staatsanwaltschaft hat in der Vergangenheit Vorwürfe der Verteidiger Brauns stets zurückgewiesen.
Zeugin macht Angaben zu interner Untersuchung
Die Richter vernahmen anschließend erstmals eine nicht unter Verdacht stehende frühere Wirecard-Mitarbeiterin als Zeugin. Die Juristin war nach der Wirecard-Insolvenz noch bis ins Jahr 2021 an internen Nachforschungen zu möglichen Scheingeschäften mit Drittpartnern des Unternehmens beteiligt.
Diese sollten im Wirecard-Auftrag Kreditkartenzahlungen im Mittleren Osten und in Südostasien abwickeln. Laut Anklage und der Aussage des Kronzeugen waren die zugehörigen Umsätze erfunden, nach Darstellung Brauns hingegen real. Der Ex-Konzernchef und seine Verteidiger argumentieren, dass die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen Zahlungsflüsse in Höhe von etwa zwei Milliarden Euro übersehen beziehungsweise nicht überprüft haben soll.
Die Zeugin berichtete, dass die interne Untersuchung bei Wirecard keinen Beleg für die Existenz der Drittpartner-Geschäfte ans Licht gebracht habe. Allerdings stieß die Anwältin in den von ihr untersuchten Mails nach eigenen Angaben auch auf keine Hinweise, dass Ex-Vorstandschef Braun in das Drittpartnergeschäft involviert war.
dpa/sts/LTO-Redaktion
Einseitige Ermittlungen zulasten von Markus Braun?: . In: Legal Tribune Online, 22.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51379 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag