Politisch umstritten und von Unternehmen gefürchtet: Was auf die Adressaten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes zukommt, erläutern Sebastian Gräler, Christian Ritz und Vincent Rek.
Noch im Dezember hatte die CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag erfolglos einen Antrag auf Aussetzung des Inkrafttretens gestellt und argumentiert, dass Unternehmen in der aktuellen Krisensituation nicht noch weiter belastet werden sollen. Das Ansinnen blieb erfolglos, seit dem 1. Januar 2023 gilt das im Juni 2021 verabschiedete Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ("LkSG").
Das LkSG verpflichtet Unternehmen mit über 3.000 Beschäftigten (ab 1. Januar 2024: 1.000 Beschäftige) in Deutschland umfassende Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechts- und Umweltbelangen in ihrer Lieferkette umzusetzen. Auch Unternehmen, welche die relevanten Schwellenwerte nicht erreichen, sind durch das Gesetz mittelbar betroffen, denn die in den Anwendungsbereich fallenden Unternehmen werden in ihrer Lieferkette auf eine strikte Einhaltung der Vorgaben achten und die Verpflichtungen an Zulieferer weitergeben.
Soweit Unternehmen demnach unmittelbar oder mittelbar vom LkSG betroffen sind, sollten sie bei der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten einen koordinierten Ansatz unter Einbindung aller relevanten Abteilungen und Stakeholder verfolgen, sowie bereits bestehende Compliance-Prozesse berücksichtigen und nutzen.
Angemessene Beachtung von Sorgfaltspflichten in der Lieferkette
Unternehmen müssen nach dem LkSG eine Reihe an Sorgfaltspflichten in der Lieferkette in angemessener Art und Weise erfüllen, um bestimmten menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken (zusammen "Risiken") vorzubeugen bzw. diese zu minimieren sowie Verletzungen menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten (zusammen "Verletzungen") zu beenden. In der Lieferkette gilt nach dem LkSG dabei ein abgestuftes Pflichtenkonzept. Sorgfaltspflichten gelten grundsätzlich nur gegenüber unmittelbaren Zulieferern, also solchen, mit denen eine Vertragsbeziehung besteht.
Eine weitere Eingrenzung des Pflichtenmaßstabs erfolgt durch das Prinzip der Angemessenheit bei der Umsetzung konkreter Maßnahmen nach LkSG. Die Angemessenheit der Umsetzung richtet sich nach den sog. Angemessenheitskriterien in § 3 Abs. 2 LkSG. Hierzu zählen etwa Art und Umfang der Geschäftstätigkeit des Unternehmens sowie Schwere, Wahrscheinlichkeit und Umkehrbarkeit einer Verletzung geschützter Rechtsgüter.
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hat kürzlich eine Handreichung zum Prinzip der Angemessenheit nach den Vorgaben des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes veröffentlicht, die Leitfragen zur Bewertung der Angemessenheit der einzelnen Maßnahmen nach LkSG enthält.
Einrichtung eines Risikomanagements
Durch das LkSG werden Unternehmen zudem verpflichtet, ein auf den Schutz menschenrechtlicher und umweltbezogener Belange ausgerichtetes Risikomanagement zu etablieren, welches regelmäßig überprüft und - beispielsweise an eine veränderte (Risiko-)Situation des Unternehmens - angepasst werden muss.
Für eine wirksame Delegation der Sorgfaltspflichten im Rahmen des Risikomanagements müssen klare Verantwortlichkeiten für die Umsetzung der Maßnahmen sowie deren Überwachung und Berichtsstrukturen etabliert werden. Für die Überwachung der Umsetzung der Prozesse und Maßnahmen schlägt das Gesetz die Benennung eines sogenannten Menschenrechtsbeauftragten vor. Dieser soll unmittelbar der Geschäftsleitung unterstellt werden, die sich auch mindestens jährlich über die Arbeit des Menschenrechtsbeauftragten informieren soll.
Durchführung von Risikoanalysen
Grundbaustein eines solchen Risikomanagements ist die Identifikation und Bewertung von Risiken in der Lieferkette im Rahmen einer sogenannten Risikoanalyse. Das BAFA hat im August 2022 eine ausführliche Handreichung zur Umsetzung einer Risikoanalyse nach den Vorgaben des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes veröffentlicht. Das LkSG unterscheidet hierbei zwischen der regulären, mindestens jährlichen Risikoanalyse im eigenen Geschäftsbereich und bei unmittelbaren Zulieferern sowie den anlassbezogenen Risikoanalysen.
Das Risikomanagement und dessen zugrundeliegende Prozesse und Maßnahmen sind in der zu veröffentlichenden Grundsatzerklärung zur Menschenrechtsstrategie des Unternehmens zu umschreiben. Neben der Beschreibung des Risikomanagements muss das Unternehmen auch die in der Risikoanalyse identifizierten und prioritären Risiken des Unternehmens sowie die hierauf basierend zu entwickelnden, menschenrechtlichen und umweltbezogenen Erwartungen des Unternehmens an Beschäftigte und Zulieferer festhalten.
Präventions- und Abhilfemaßnahmen
Die in der Risikoanalyse identifizierten Risiken müssen mit ausgewählten Präventionsmaßnahmen adressiert werden. Diese dienen der Minimierung der identifizierten Risiken sowie der Vorbeugung von Verletzungen. Entsprechend der Priorisierung in der Risikoanalyse, sollten hohe Risiken zuerst und vertieft adressiert werden. Im Regelfall bietet es sich jedoch an, bestimmte Präventionsmaßnahmen möglichst universal auszurollen. Das Gesetz sieht für die Umsetzung von Präventivmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich sowie bei unmittelbaren Zulieferern Regelbeispiele vor.
Das LkSG sieht zudem Sorgfaltspflichten im Falle der Realisierung von Risiken bzw. bei Vorliegen von Verletzungen vor. Der Maßstab der geforderten Abhilfemaßnahmen orientiert sich an den typischen Einflussmöglichkeiten des Unternehmens: Im eigenen Geschäftsbereich im Inland sind die Einflussmöglichkeiten des Unternehmens grundsätzlich hoch, so dass erwartet wird, dass eine Verletzung unmittelbar und unverzüglich beendet wird.
Bei Verletzungen in der Sphäre der Zulieferer sollen Unternehmen hingegen – möglichst in Kooperation mit dem Zulieferer – ein Konzept mit klarem Zeitplan entwerfen, in welchem Schritte zur Minimierung und Beendigung der Verletzung ausgearbeitet werden. Als Ultima Ratio sieht das Gesetz den Abbruch der Lieferbeziehung vor.
Einrichtung eines Hinweisgebersystems
Eine weitere zentrale Maßnahme nach dem LkSG ist die Pflicht zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems. Das Hinweisgebersystem soll Mitarbeitern, aber auch Dritten (z.B. Mitarbeitern von Zulieferern oder andere durch unternehmerische Aktivitäten betroffene Personen) ermöglichen, auf menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken und Verletzungen nach LkSG hinzuweisen, die durch wirtschaftliche Aktivitäten des Unternehmens oder seiner Zulieferer verursacht werden.
Das Hinweisgebersystem nach dem Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), das vom Deutschen Bundestag in Umsetzung der EU Hinweisgeberrichtlinie noch im Dezember 2022 beschlossen wurde und nun nur noch den Bundesrat passieren muss, weist hierbei Parallelen zum Hinweisgebersystem nach LkSG auf. Eine integrierte Umsetzung beider Gesetze ist daher empfehlenswert.
Das LkSG enthält schließlich Dokumentations- und (öffentliche) Berichtspflichten, die gewährleisten sollen, dass die Erfüllung der Sorgfaltspflichten nach LkSG nachweisbar und überprüfbar ist. Unternehmen müssen einen jährlichen Bericht über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten im vorangegangenen Geschäftsjahr erstellen. Das BAFA hat im Oktober 2022 hierzu einen Fragebogen mit 437 Fragen bzw. Antwortmöglichkeiten für die Berichtserstellung veröffentlicht.
Ausblick: EU-Lieferkettenrichtlinie
Die Themen der Nachhaltigkeit und Menschenrechte in der Wirtschaft gewinnen auch auf supranationaler Ebene erheblich an Relevanz. So hat im Februar 2022 die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen angenommen. Ähnlich wie im LkSG sollen Unternehmen verpflichtet werden, entlang ihrer Wertschöpfungskette Sorgfaltspflichten einzuhalten, um so zum Schutz von Menschenrechts- und Umweltbelangen beizutragen. Der Pflichtenmaßstab ist allerdings deutlich weiter und strenger als nach LkSG. Sorgfaltspflichten sollen entlang der gesamten Wertschöpfungskette gelten und unabhängig davon, ob eine Vertragsbeziehung mit dem Zulieferer besteht.
Im Dezember 2022 legte der Europäische Rat seinen Vorschlag vor, der zum Vorschlag der Europäischen Kommission einige grundlegende Änderungen und Erleichterungen für Unternehmen vorsieht. Nach dem Vorschlag des Europäischen Rates sollen Sorgfaltspflichten nicht entlang der gesamten Wertschöpfungskette bestehen, sondern nur entlang der "Chain of Activities" des Unternehmens. Damit will sich der Europäische Rat nach der Begründung des Vorschlags an den Begriff der Lieferkette annähern, die Downstream-Phase der Verwendung der Produkte oder der Erbringung von Dienstleistungen soll nicht erfasst sein.
Insgesamt scheint sich der Vorschlag des Europäischen Rats näher am LkSG zu orientieren. Sollte sich dieser inhaltlich durchsetzen, wäre der Anpassungsbedarf für das LkSG bei Inkrafttreten der EU-Lieferkettenrichtlinie deutlich beschränkter.
Die Autoren Dr. Sebastian Gräler und Christian Ritz sind Rechtsanwälte und Partner der Sozietät Hogan Lovells International LLP. Vincent Rek ist Rechtsanwalt und Associate derselben Sozietät.
Neue Anforderungen für Unternehmen seit Jahresanfang: . In: Legal Tribune Online, 18.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50774 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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