Auf die Ankündigung von Robert Habeck, das deutsche Kartellrecht mit "Klauen und Zähnen" auszustatten, lässt der Gesetzgeber Taten folgen. Diese werden dem Narrativ durchaus gerecht, meinen Shazana Rohr und Michaela Westrup.
Am 5. April 2023 wurde die 11. GWB-Novelle - trotz erheblicher Widerstände verschiedener Stakeholder - vom Bundeskabinett beschlossen. Der aktuelle Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und anderer Gesetze (nachfolgend: GWB-RegE) sieht in § 34 die Abschöpfung der aus einem Kartellverstoß entstandenen Vorteile vor. Außerdem schafft er in § 32g eine rechtliche Grundlage dafür, dass das Bundeskartellamt (BKartA) die Europäische Kommission bei der Durchsetzung des Digital Markets Act (DMA) unterstützen und dieser privat im Wege des Schadenersatzes durchgesetzt werden kann.
Kernstück und zugleich neuralgischer Punkt der Novelle ist jedoch § 32f GWB-RegE, der dem propagierten Paradigmenwechsel des deutschen Kartellrechts weiterhin sichtbar gerecht wird. Eingriffe des BKartA sollen hiernach im Anschluss an abgeschlossene Sektoruntersuchungen auch gegenüber kartellrechtskonform agierenden Marktteilnehmern ermöglicht werden und als ultima ratio sogar Entflechtungen umfassen.
Vollzugsmaßnahmen nach Sektoruntersuchungen (§ 32f GWB-RegE)
Als strukturorientiertes Mittel soll § 32f GWB-RegE es dem BKartA ermöglichen, vermachtete Marktstrukturen aufzubrechen, den Wettbewerb auf diesen Märkten also wiederzubeleben bzw. Märkte offen zu halten. Das BKartA wird zu diesem Zweck zu Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter und struktureller Art ermächtigt. Anders als die Sektoruntersuchung, die marktgerichtet ist und per se keine Eingriffe ermöglicht, richten sich die anschließenden Abhilfemaßnahmen nach § 32f GWB-RegE gezielt gegen bestimmte Unternehmen.
Als Vorbild fungierte das Instrument der market investigation der Wettbewerbsbehörde des Vereinigten Königreichs (Competiton and Markets Authority – CMA), die nach Feststellung wettbewerblicher Missstände im Rahmen von Sektoruntersuchungen ebenfalls Abhilfemaßnahmen bis hin zu Entflechtungen anordnen kann.
§ 32f GWB-RegE liegt die Wertung zugrunde, dass die Störung des Wettbewerbs nicht notwendig durch einen Kartellrechtsverstoß begründet sein muss. Gerade bezüglich Wettbewerbsstörungen, die ihren Ursprung nicht in kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen haben, sondern vielmehr auf die Struktur des betreffenden Marktes zurückzuführen sind, sei das aktuelle Instrumentarium des GWB daher unzureichend.
Die Fusionskontrolle (§§ 35 ff. GWB) sei rein auf die Prävention der Vermachtung durch Marktstrukturveränderungen ausgerichtet und verhindere die Entstehung wettbewerbsschädlicher Strukturen nur zum Teil. Habe sich eine kartellrechtlich bedenkliche Marktstruktur erst einmal verfestigt, sei die Fusionskontrolle weder dazu geeignet noch dazu bestimmt, den hieraus resultierenden wettbewerblichen Dysfunktionalitäten zu begegnen. Es bedürfe eines Instruments, das die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung wettbewerblicher Strukturen auf effiziente und nachhaltige Weise ermöglicht.
Referenten- und Regierungsentwurf im Vergleich
§ 32f GWB war in der Vorgängerfassung des Referentenentwurfs (RefE) noch weiter gefasst als im jetzigen RegE und ob seiner tatbestandlichen Weite und der Unbestimmtheit der Voraussetzungen für mögliche Eingriffe scharfer Kritik ausgesetzt. Im Mittelpunkt stand bislang der Vorwurf, die neuen Befugnisse erlaubten dem BKartA ein verstoßunabhängiges und damit beliebiges Marktdesign.
Beibehalten bleibt der zweistufige Ansatz, wonach das BKartA zunächst per Verfügung eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs feststellen muss, bevor es gegenüber einzelnen Unternehmen einschreiten kann.
In Bezug auf die erste Stufe gab das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz der Kritik nun jedenfalls zum Teil nach, indem es den Begriff der "Störung des Wettbewerbs" in § 32f Abs. 5 GWB-RegE durch Regelbeispiele und Prüfungskriterien präzisierte: Eine Störung in diesem Sinne komme insbesondere bei "einseitige[r] Angebots- oder Nachfragemacht", "Beschränkungen des Marktzutritts, des Marktaustritts oder der Kapazitäten von Unternehmen oder des Wechsels zu einem anderen Anbieter oder Nachfrager“, "gleichförmige[m] oder koordinierte[m] Verhalten" oder der "Abschottung von Einsatzfaktoren oder Kunden durch vertikale Beziehungen" in Betracht.
Außerdem bestimmt § 32f Abs. 5 GWB-RegE nun, dass bei der Prüfung der "Störung" neben den Eigenschaften der auf den betroffenen Märkten tätigen Unternehmen auch die Gegebenheiten des betroffenen Marktes selbst in den Blick genommen werden sollen. Hervor sticht im Vergleich zum RefE die Erweiterung um das Kriterium des "Grad[es] der Dynamik auf den betroffenen Märkten" als zu berücksichtigendes Kriterium sowie die den Unternehmen nun eingeräumte Möglichkeit, "Effizienzvorteile, insbesondere Kosteneinsparungen oder Innovationen, bei angemessener Beteiligung der Verbraucher" darzulegen.
Das in dem Entwurf von September 2022 noch vorgesehene Kriterium der "erhebliche[n], andauernde[n] oder wiederholte[n] Störung" wird von dem Begriff der "erhebliche[n] und fortwährende[n] Störung" abgelöst. Eine Störung soll dann als "fortwährend" anzusehen sein, wenn diese "über einen Zeitraum von drei Jahren dauerhaft vorgelegen hat" oder „wiederholt aufgetreten ist und zum Zeitpunkt der Verfügung nach Absatz 3 keine Anhaltspunkte bestehen, dass die Störung innerhalb von zwei Jahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entfallen wird". Diese Präzisierung der Tatbestandsvoraussetzungen schafft ein höheres Maß an Rechtssicherheit und ist deshalb begrüßenswert.
Mit Unklarheiten verbunden ist indes die Frage, ob die Eingriffsbefugnisse des BKartA in der zweiten Stufe einen wesentlichen Störerbeitrag des jeweiligen Adressaten der Maßnahme voraussetzen. Insoweit sieht § 32f Abs. 3 Satz 3 GWB-RegE vor, dass Adressaten von Maßnahmen Unternehmen sein "können", die durch ihr Verhalten zur Störung des Wettbewerbs wesentlich beitragen. Hierin klingt der freibleibende Versuch an, den Verursachungsbeitrag als tatbestandliche Voraussetzung zu etablieren. Die Kann-Bestimmung stellt die Beachtung jedoch ins Ermessen des BKartA und ist mithin kein scharfes Schwert.
Erfreulich ist wiederum die Eingrenzung des Adressatenkreises der strukturellen Maßnahmen in § 32f Abs. 4 RegE. Während dem Referentenentwurf zufolge noch grundsätzlich jedes Unternehmen als Adressat einer Entflechtungs- oder Veräußerungsanordnung in Betracht kam, kann das BKartA derartige Anordnungen dem Regierungsentwurf zufolge nur noch gegenüber Normadressaten der §§ 18 und 19a Abs. 1 GWB (marktbeherrschenden Unternehmen sowie Unternehmen mit einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb) treffen. Diese tatbestandliche Schärfung grenzt die Anwendungsfälle der Norm in der Praxis erheblich ein.
Entflechtungen dürfen indes auch weiterhin nur als ultima ratio angeordnet werden, wenn Abhilfemaßnahmen auf Basis der bisherigen Vorschriften "nicht von gleicher Wirksamkeit" sind. Um verfassungsrechtlichen Bedenken in Bezug auf Art. 14 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen, sieht § 32f Abs. 4 GWB-RegE nun außerdem vor, dass Unternehmenseigentümer zusätzlich zu dem tatsächlich erzielten Verkaufserlös eine Zahlung aus Bundesmitteln erlangen können, soweit der Erlös den vom Wirtschaftsprüfer ermittelten Unternehmenswert unterschreitet. Beanstanden lässt sich mit Blick auf diese Ergänzung, dass der vollständige Ausgleich der Differenz zwischen festgestelltem Unternehmenswert und Verkaufserlös "aus wirtschaftspolitischen Gründen" nicht vorgesehen ist.
Ein schwerwiegender Kritikpunkt in Bezug auf den Referentenentwurf waren bisher zudem die defizitären Rechtsschutzmöglichkeiten hinsichtlich der nach § 32f GWB-RefE möglichen behördlichen Maßnahmen. Betroffene Unternehmen könnten sich erst gegen die auferlegten Abhilfemaßnahmen zur Wehr setzen, während die Feststellung einer Störung i.S.v. § 32f Abs. 3 GWB-RefE mangels subjektivierter Adressatenstellung (noch) nicht angreifbar ist. Dies erscheint vor dem Hintergrund bedenklich, dass auch die vorangehende Sektoruntersuchung i.S.d. § 32e Abs. 1 GWB auf einer individuell nicht angreifbaren Ermessensentscheidung des BKartA mit weitem Beurteilungsspielraum beruht. Rechtsbehelfe gegen die Feststellung einer "Störung" i.S.d. § 32f GWB-E haben auch dem Regierungsentwurf zufolge keine aufschiebende Wirkung. Einzig im Fall von Entflechtungsanordnungen soll die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln betroffener Unternehmen dem "besonderen Charakter" der Entflechtung, mit anderen Worten dem schweren Eingriff in Rechtsgüter von Verfassungsrang, Rechnung tragen.
Beibehalten wurde auch die Regelung in § 32f Abs. 2 GWB-RegE, wonach das BKartA (angelehnt an den bestehenden § 39a GWB) Unternehmen für die Dauer von drei Jahren einer erweiterten Fusionskontrollpflicht unterstellen kann, so dass für die Adressaten entsprechender Verfügungen eine Anmeldepflicht bereits bei Inlandsumsätzen von EUR 50 Millionen des Erwerbers und EUR 0,5 Millionen des Zielunternehmens und damit deutlich unterhalb der regulären Schwellen der deutschen Fusionskontrolle besteht.
Neugestaltung zieht Disruptionspotenzial nach sich
Die mit dem Regierungsentwurf erfolgte tatbestandliche Schärfung des § 32f GWB-E ist zu begrüßen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geht mit seinem Entwurf des Wettbewerbsdurchsetzungsgesetzes vom 5. April an den oben aufgezeigten Eckpunkten Kompromisse ein. Die genauere Fassung des Tatbestands des § 32f GWB-E war nicht nur verfassungsrechtlich vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes und der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG geboten, sondern wird auch dem BKartA die Begründung etwaiger Anordnungen sowie die Überprüfbarkeit derselben durch die Gerichte entlang etwas klarerer gesetzlicher Vorgaben erleichtern.
Der Regierungsentwurf sieht weiterhin gravierende Ausweitungen des bestehenden Eingriffsinstrumentariums des BKartA vor, indem nach wie vor Eingriffe in kartellrechtlich zulässig gewachsene Strukturen vorgesehen sind. § 32f GWB-RegE verkörpert eine Abkehr von dem Grundsatz, dass rechtstreue Unternehmen keinen kartellbehördlichen Eingriffen ausgesetzt werden und setzt der Vorhersehbarkeit kartellbehördlicher Maßnahmen neue Grenzen. Die in § 32f GWB-RegE vorgesehenen verstoßunabhängigen Eingriffsmöglichkeiten des BKartA bergen damit ordnungs- wie wettbewerbspolitisch ein erhebliches Disruptionspotenzial.
Der Versuch der neuen Regelung, kartellbehördliche Eingriffe vom Verursachungsbeitrag der Adressaten abhängig zu machen, geht nach Ansicht der Verfasserinnen ins Leere, da das BKartA insoweit nicht gebunden ist. Unionsrechtliche Friktionen, insbesondere die Frage, wie sich § 32f GWB-RegE zu anderen Instrumenten des Kartellrechts und dem DMA verhält, bleiben einstweilen ungelöst.
Dessen ungeachtet wird der Entwurf des Wettbewerbsdurchsetzungsgesetzes nun dem Bundestag und Bundesrat zugeleitet. Wird das Gesetz in Form des aktuellen Entwurfs verabschiedet, sind Sektoruntersuchungen aus Sicht der Unternehmen zukünftig jedenfalls als Vorboten kartellbehördlicher Eingriffe anzusehen. Das Damoklesschwert der Zerschlagung wird als ultima ratio für den Großteil der Unternehmen jedoch auch dann nicht zu befürchten sein, wenn sie auf den betreffenden Märkten tätig sind.
Die Autorin Shazana Rohr ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht, Prof. Dr. jur. Thomas Ackermann, LL.M. (Cambridge) der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie doziert im allgemeinen Zivilrecht und Kartellrecht.
Die Autorin Dr. Michaela Westrup, LL.M. (Chicago) ist Rechtsanwältin und auf deutsches und europäisches Kartellrecht spezialisiert.
Sie ist Partnerin bei der Kanzlei Reed Smith in München leitet dort die Kartellrechtspraxis in Deutschland.
Umstrittene Neuerungen im GWB: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51584 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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