Steigende Gehälter und kreative Benefits duellieren sich mit ausufernden Arbeitszeiten. Wie lockt man juristischen Nachwuchs und was tun Kanzleien, um Talente zu halten? Drei große Namen lassen sich von LTO in die Karten schauen.
Internationale Großkanzleien liefern sich aktuell ein regelrechtes Wettbieten bei den Einstiegsgehältern für Associates. Der Dominoeffekt ist längst in deutschen Sozietäten angekommen, auch wenn sich Platzhirsche wie Hengeler Mueller und Gleiss Lutz bislang noch in Zurückhaltung üben. Hört man den Umworbenen zu, ist zu erfahren, dass Grundgehälter und Boni zwar eine bedeutende Rolle bei der Wahl des Arbeitgebers spielen, andere Faktoren aber einen höheren Stellenwert genießen.
Wie erklärt sich dieser Widerspruch? Was müssen Kanzleien bieten, um begehrte Berufsanfänger:innen zu überzeugen? Wie verändern sich Rekrutierungsprozesse und welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie? LTO hat sich dort umgehört, wo die Fäden zusammenlaufen: Vertreter von Arnold Ruess, GLNS und Shearman & Sterling gewähren Einblick.
Ewig grüßt die Arbeitszeitdiskussion
Legal Cheek sorgte jüngst mit frischen Zahlen zu den Arbeitszeiten in britischen Kanzleien einmal mehr für öffentliche Erregung und Diskussionsstoff. Basierend auf einer Umfrage unter 2.500 Nachwuchsanwält:innen veröffentlichte das britische Nachrichtenportal ein Ranking. Demnach wird bei Kirkland & Ellis mit durchschnittlich 14:14 Stunden pro Tag am längsten gearbeitet, es folgen Ropes & Gray mit 13:31 Stunden und Weil Gotshal & Manges mit 12:35 Stunden.
Beeindruckende Zahlen auf den ersten Blick, die ihre beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt haben. Reflexartig folgten die erwartbaren kritischen Reaktionen und spöttischen Kommentare. Für neutrale Beobachter:innen stellt sich die Frage, welche Erwartungshaltung Neueinsteiger:innen mit dem Selbstverständnis, in einer renommierten Kanzlei zu arbeiten und dabei ein Jahressalär im deutlich sechsstelligen Bereich verdienen zu wollen, mitbringen dürfen.
Steigende Gehälter kommen nicht ohne Beipackzettel. Proportional mit dem Salär wachsen die Ansprüche des Arbeitgebers an das Arbeitspensum und vor allem an die abrechenbaren Stunden. Klettern die Personalkosten einer Kanzlei, muss nach wirtschaftlicher Logik der Umsatz folgen.
Ist der Denkansatz, zu den Topverdienern gehören zu wollen, mit der Idee vereinbar, nach acht oder neun Stunden im Büro den Nachhauseweg anzutreten?
Das Gehalt: Hauptdarsteller oder Statist?
Mehr als 200.000 Dollar im Jahr lassen sich als Associate in den USA bereits im ersten Berufsjahr verdienen. Im deutschsprachigen Raum liegt das Spitzenniveau inzwischen bei rund 160.000 Euro.
Im Postfach der LTO landeten Nachrichten zu Gehaltsanpassungen unter anderem von Greenberg Traurig und Orrick. Kleinere Boutiquen wie Renzenbrink & Partner sind ebenfalls auf den fahrenden Gehaltsexpress aufgestiegen. Auch bei den drei Kanzleien, mit denen sich dieser Text intensiver beschäftigt, sind die jüngst erfolgten oder angekündigten Anhebungen signifikant:
Arnold Ruess hebt das Einstiegsniveau von 110.000 auf 120.000 Euro an. Beginnend mit dem zweiten Jahr der Kanzleizugehörigkeit kommen Bonuszahlungen hinzu, deren Höhe sich nach den abgerechneten Stunden richtet. Ab 1.600 abgerechneten Stunden pro Jahr, die nach Angabe der Kanzlei regelmäßig erreicht werden, liegt die Ausschüttung bei 15.000 Euro. Höhere Boni werden jeweils bei weiteren 200 Stunden erreicht. Die Skala ist nach oben offen. Mit dieser Staffelung werden nicht immer vermeidbare Auslastungsunterschiede kompensiert.
Bei GLNS verdienen Einsteiger ab dem kommenden Jahr 140.000 statt 120.000 Euro. Auch bereits angestellte Anwältinnen und Anwälte dürfen sich über eine deutliche Erhöhung freuen. Mit dem dritten Jahr der Kanzleizugehörigkeit sind zudem Bonuszahlungen möglich.
Shearman & Sterling hat das Einstiegsgehalt für Associates zum 1. Oktober von 130.000 auf 145.000 Euro angepasst. Im Schnitt steigen die Festgehälter der Junior-, Mid-level und Senior-Associates um 6,6 Prozent. Auch die erreichbaren Boni wurden angehoben.
Sehen und gesehen werden
Im Austausch mit den Vertretern der drei Kanzleien hört man ebenfalls heraus, dass der Faktor Vergütung von Berufseinsteiger:innen zwar als wichtig, aber nicht ausschlaggebend verortet wird. Aus der Perspektive der Kanzleien ist das Gehalt ein Instrument, um Wertschätzung für aktuelle oder zukünftige Mitarbeitende zum Ausdruck zu bringen und Sichtbarkeit im Markt zu erzeugen, ohne daraus den Anspruch abzuleiten, jede Anpassung nach oben mitzugehen.
Die Arbeitsbelastung, insbesondere in den großen Kanzleien, ist überdurchschnittlich. Das wird kaum ernsthaft bestritten. Warum aber ist der Reiz unter Nachwuchsjurist:innen, dennoch für eine dieser namhaften Kanzleien zu arbeiten, ungebrochen groß und welche Lockstoffe werfen diese zusätzlich zu einer ansprechenden Vergütung in die Waagschale, damit ihre Anziehungskraft auf hohem Niveau bleibt?
Hier kommt neben Prestige und Karriereoptimierung das verbal mittlerweile etwas überstrapazierte "Gesamtpaket" ins Spiel. Was kommt zum Vorschein, wenn man die Schleife abzieht und einen Blick auf die Inhalte dieser Pakete wirft?
Benefits unter der Lupe
Prof. Dr. Peter Ruess betont die kollegial-familiäre Atmosphäre bei Arnold Ruess. Gemeinsame Kanzlei-Events wie ein verlängertes Wochenende mit dem gesamten Team auf Mallorca oder ein Umtrunk in großer Runde nach größeren Erfolgen sollen den Zusammenhalt fördern. Während andere Kanzleien ihren Nachwuchs gerne einmal verstecken, um nicht Gefahr zu laufen, dass die Konkurrenz mit Abwerbeversuchen aufwartet, hat man bei Arnold Ruess kein Problem damit, jüngeren Anwält:innen Aufmerksamkeit und Marktpräsenz zu verschaffen.
Im Hinblick auf die Rekrutierung verfolgt die Kanzlei einen ebenso demokratischen wie außergewöhnlichen Ansatz. Bewerber:innen lernen zunächst das gesamte Team kennen. Anschließend steht allen Teammitgliedern ein Vetorecht zu. Ein einziges "Nein" reicht und die Anwärterin bzw. der Anwärter muss sein Glück anderswo versuchen. Ruess legt Wert darauf, dass die genannten Gepflogenheiten nicht als "sales gimmicks" interpretiert, sondern tatsächlich auch mit Leben gefüllt werden.
Teilzeit gewinnt bei Arnold Ruess schon seit einigen Jahren an Bedeutung. Home Office und mobiles Arbeiten sind Bestandteile eines flexiblen Arbeitskonzeptes, das auf Eigenverantwortung beruht. Man habe durch die Corona-Pandemie aber auch den Stellenwert des persönlichen Austausches vor Augen geführt bekommen, so Ruess. Die regelmäßigen Anwesenheitstage für alle finden daher hohe Akzeptanz bei den Mitarbeitenden.
Bei GLNS gibt es in Sachen Benefits verschiedene Bausteine. Georg Lindner, Partner und unter anderem auch für Personalthemen verantwortlich, verrät LTO ein paar Highlights: Anwältinnen und Anwälten wird bei GLNS die Möglichkeit eingeräumt, ihren Arbeitsplatz einmal jährlich "nach draußen" zu verlagern. "Work from away" ist der Überbegriff, die Kanzlei unterstützt interessierte Mitarbeitende mit einem Reisekostenzuschuss.
Zudem bietet die Kanzlei ein Freizeitbudget als Teil der Work-Life-Balance. Ob Konzert-Abo, Yoga-Kurs oder Saisonpass fürs Skifahren - GLNS übernimmt die Kosten. Einen ungewöhnlichen Weg geht die Kanzlei beim Urlaubsanspruch, der nicht starr festgelegt ist. GLNS setzt hier auf Eigenverantwortung. Das gilt auch für Home Office und mobiles Arbeiten, das den Mitarbeitenden weiterhin ermöglicht wird. Dass mobiles Arbeiten auch als Team erlebbar ist, zeigt das jährliche Lawyers Retreat, das die Anwält:innen der Kanzlei im Sommer dieses Jahres nach Italien geführt hat.
Dr. Florian Harder, Managing Partner der deutschen Niederlassungen von Shearman & Sterling, rückt flache Hierarchien, ein junges Team und die internationale Einbettung seiner Kanzlei in den Fokus. Shearman & Sterling bietet Einsteigern bereits zu Beginn der Zugehörigkeit engen Kontakt zu den Partnern und Mandanten. Secondments und Freiraum für individuelle Fortbildung sind Schlüsselaspekte, mit denen man beim Nachwuchs punkten will.
Shearman & Sterling setzt auf eine frühe Kontaktaufnahme zu vielversprechenden Talenten und zielt dabei in erster Linie auf Kandidat:innen, die mit zwei Mal Vollbefriedigend und LL. M.-Abschlüssen aufwarten und entsprechend umworben sind. Für die Zielgruppe ist das Gehalt laut Harder zwar ein Punkt auf der Checkliste, wichtiger seien aber Aspekte wie die Atmosphäre im Team und mit wem man zusammenarbeite. Das Thema Home Office spielt bei Shearman & Sterling überwiegend bei den älteren Teammitgliedern eine Rolle. Die Kanzlei folgt hier einer international einheitlichen Policy, die zwei Präsenztage pro Woche einfordert.
Welche Spuren hinterlässt Corona?
Mandantengespräche im Home Office, Bewerbungsprozesse ohne persönlichen Kontakt, fehlender Austausch mit Kolleg:innen. Nur drei Aspekte, die zeigen, dass der Rahmen, den Covid-19 gesetzt hat, Selbstverständlichkeiten in Raritäten verwandelt hat. Etablierte Strukturen und Abläufe müssen neu gedacht und umgesetzt werden. Welches (Zwischen-)Fazit ziehen die Kanzleien?
Bei Arnold Ruess herrscht Dankbarkeit, dass die Normalität zumindest ein Stück weit wieder eingekehrt ist. Der ansonsten selbstverständliche persönliche und fachliche Austausch habe gefehlt, sagt Peter Ruess und bringt ein weiteres Defizit prägnant auf den Punkt: "Ehrlicherweise ist ein Umtrunk online eben unlustiger als einer offline." Maßgebliche Veränderungen mit Blick auf die Beratungsschwerpunkte hätten sich nicht ergeben.
Florian Harder schlägt in eine vergleichbare Kerbe. Auch bei Shearman Sterling legt man großen Wert auf den persönlichen Austausch, insbesondere bei der Rekrutierung. Dass Bewerbungsprozesse teilweise komplett digital abgewickelt werden mussten, führt dazu, dass insbesondere auf Bewerberseite die Möglichkeit fehlt, sich einen umfassenden Eindruck von den neuen Kolleg:innen, aber auch vom zukünftigen Arbeitsumfeld zu machen. Man sei mit den Neuzugängen, die rein auf der Basis von Videokonferenzen rekrutiert wurden, sehr zufrieden, es fehle aber das "vollumfängliche Bild" und der "gemeinsame Blick über den Tellerrand hinaus", so Harder.
Die Betreuung von Mandant:innen und das Einwerben neuer Mandate ist bei Shearman & Sterling in der Pandemiezeit kaum beeinträchtigt worden. Die Ansprache und der Austausch, insbesondere bei internationalen Unternehmen, liefen bereits in der Vergangenheit überwiegend per Videokonferenz. Harder streicht einen positiven Aspekt heraus, der sich coronabedingt ergeben habe: Man finde sich mitunter in Calls wieder, die mit Kolleg:innen von anderen Standorten und Praxisgruppen besetzt seien, mit denen man bis dato keinerlei Berührungspunkte gehabt habe.
Auch bei GLNS zieht man ein überwiegend positives Fazit der bisherigen Pandemie-Zeit. Man sei in allen angebotenen Beratungsfeldern weiter gewachsen, lässt Georg Lindner LTO wissen. Zudem haben sich offenbar nicht wenige Anwält:innen in der Phase des Lockdowns Gedanken über eine berufliche Veränderung gemacht und GLNS dabei weit oben auf die Liste der Wunscharbeitgeber gesetzt. Die Kanzlei verzeichnet Lindner zufolge eine deutliche Zunahme von direkten und indirekten Kontaktaufnahmen von Bewerber:innen.
Die Ansprechpartner
Prof. Dr. Peter Ruess ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Arnold Ruess. Sein fachlicher Schwerpunkt ist der gewerbliche Rechtsschutz, insbesondere das Marken- und Wettbewerbsrecht.
Er unterstützt unter anderem Unternehmen aus dem DAX bei der rechtlichen Durchsetzung ihrer Markenrechte. Im Auftrag einer Mandantin aus der Tabakbranche begleitete er einen erfolgreichen Grundsatzprozess zu Werbebeschränkungen bis zum BGH.
Georg Lindner ist Gründungspartner von GLNS und als Rechtsanwalt und Steuerberater zugelassen. Er berät in den Fachbereichen Private Equity/Venture Capital, Corporate/M&A und Steuern.
Unter seinen Mandanten finden sich: Delivery Hero (Beratung unter anderem beim Börsengang sowie bei verschiedenen M&A-Transaktionen), Smava (Erwerb von Finanzcheck) und die Gründer und Gesellschafter der Smartpatient GmbH (Verkauf an Shop Apotheke).
Dr. Florian Harder ist Managing Partner bei Shearman & Sterling und Mitglied der Praxisgruppe Mergers & Acquistions.
Er ist spezialisiert auf die Beratung von Finanzinvestoren und strategischen Investoren sowie Unternehmen in den Bereichen M&A, Private Equity, Venture Capital, Joint Ventures und Restrukturierungen - sowohl national als auch grenzüberschreitend.
Zu seinen Referenzmandaten zählen Audi (u.a. bei der geplanten Veräußerung von Ducati), Osram (Carve-out von Ledvance) und nach seinem Einstieg bei Shearman & Sterling Cookiebot bei dem Zusammenschluss mit Usercentrics.
Gehälter. Boni. Benefits.: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46627 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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