Anwältinnen haben häufig den Eindruck, ihre Kanzleien meinten es nicht wirklich ernst mit der Gender Diversity – obwohl diese ihnen Teilzeitarbeit, Kinderbetreuung und andere Unterstützung anbieten. Es fehlt an alternativen Karrierewegen, meint die Diversity-Expertin Anna Engers. Doch das würde die althergebrachte Kanzleikultur der Workaholics in Frage stellen.
LTO: Die Kanzleien sagen ständig "wir brauchen mehr Frauen" – aber warum eigentlich?
Anna Engers: Weil sie Mitarbeiter brauchen. Es besteht nun mal ein Personalmangel, vor allem bei den Hochqualifizierten - und die Hälfte der Jura-Absolventen sind Frauen. Außerdem haben einige Kanzleien gewisse Diversity-Standards, die es einzuhalten gilt. Teilweise erwarten auch Mandanten, dass sie von gemischten Teams beraten werden oder dass es einen bestimmten Frauenanteil innerhalb der Kanzlei gibt. Allerdings sagen nicht alle Kanzleien, dass sie den Anteil an weiblichen Mitarbeitern unbedingt erhöhen wollen.
LTO: Es gibt also Unterschiede zwischen den Kanzleien?
Engers: Internationale Kanzleien sind bei dem Thema Diversity, und vor allem Gender Diversity, generell schon weiter, auch weil das internationale Management Druck ausübt. Andererseits werden Berufsanfänger überall nach dem Leistungsprinzip eingestellt, was ja nicht diskriminierend ist: Die Note ist das entscheidende Kriterium, und nicht das Geschlecht. Unter den Berufsanfängern ist das Verhältnis zwischen Mann und Frau deshalb auch meistens ausgewogen. Probleme tauchen erst dann auf, wenn die Frauen einige Jahre in der Kanzlei arbeiten. Dann wird es schwierig, sie zu halten.
LTO: Dazu gibt es Teilzeit-Angebote und Kita-Plätze. Reicht das nicht?
Engers: Kurzfristig schon. Wenn eine Kanzlei Teilzeitarbeit einführt oder Kita-Plätze vermittelt, ist erst einmal Ruhe. Aber es ist eine Frage der Zeit, bis die Unzufriedenheit wieder steigt.
Angst, in den Bewerberrankings schlecht abzuschneiden
LTO: Was muss dann passieren?
Engers: Das Thema Diversity – in diesem Fall Gender Diversity – sollte umfassender gedacht werden. Eine Kanzlei muss sich erst einmal darüber klar werden, was es denn für ihre Kultur bedeutet, wenn ein Teil der Mitarbeiter und Partner nicht in Vollzeit arbeitet. Ich beobachte, dass die Kanzleien damit noch ihre Mühe haben. Letztlich muss eine Partnerschaft entscheiden, ob sie das überhaupt will und sie muss überlegen, wie das mit ihrem Geschäftsmodell vereinbar ist.
Es wäre ja auch in Ordnung, wenn eine Kanzlei entscheidet, dass sie keine Teilzeitpartner möchte, sondern nur „Heißdüsen“, die Tag und Nacht an Deals arbeiten. Allerdings müsste sie das dann auch so kommunizieren. Viele haben aber Angst davor, dann in den Bewerberrankings schlecht abzuschneiden.
LTO: Bewerber haben oft das Gefühl, dass es sich bei den Maßnahmen um Lippenbekenntnisse handelt. Wie ist Ihr Eindruck – ist es den Kanzleien ernst?
Engers: Ich denke, vielen ist es ernst damit. Aber sie haben das Problem, es auch überzeugend rüberzubringen. Bewerber merken das wahnsinnig schnell und tauschen sich untereinander aus. Man sollte vor allem die sozialen Netzwerke nicht unterschätzen. Die Bewerber sind extrem gut informiert.
Meiner Erfahrung nach kommt es oft auf die Praxisgruppe und das Team an, in dem der Associate arbeitet. Wenn ein Partner den Mitarbeitern Teilzeit-Arbeit ermöglichen will, dann klappt es auch. Das kann im Nebenzimmer allerdings schon wieder ganz anders aussehen. Entscheidend ist die Führungskompetenz der einzelnen Partner. Die ist wichtiger, als einen Maßnahmenkatalog abzuarbeiten.
LTO: Wie kann Führungskompetenz helfen?
Engers: Die Associates stellen hohe Ansprüche an die Partner. Aber sie müssen einsehen, dass auch die Partner Bedürfnisse haben, zum Beispiel dass ihre Mitarbeiter pünktlich gute Arbeit abliefern. Um zwischen diesen Polen zu vermitteln, ist Führungskompetenz gefragt. Die wird in den Kanzleien aber oft nicht vermittelt. Juristen sind keine Manager, sondern werden an ihrer fachlichen Qualifikation gemessen - dieses Denken herrscht in den Kanzleien noch vor.
Vor allem jüngeren Partner fehlt das Verständnis
LTO: Die Anwälte, die heute Partner sind, sind es gewohnt zu schuften. Haben sie überhaupt Verständnis für junge Menschen, die das nicht wollen?
Engers: Viele Partner haben dafür überhaupt kein Verständnis - aber sie sehen ein, dass sie etwas ändern müssen. Das sind übrigens oft gar nicht die Älteren, wie man vielleicht vermuten würde. Es sind eher die jüngeren Partner, zwischen 40 und 45 Jahre alt. Sie sind auf dem Weg in die Partnerschaft noch durch die Ochsentour gegangen, haben oft kleine Kinder und eine Frau, die zu Hause mit den Füßen scharrt. Wenn ein 30jähriger im Bewerbungsgespräch die ganze Palette der Work-Life-Balance-Maßnahmen abfragt, zucken die schon einmal zusammen.
LTO: Geht das überhaupt: interessante Mandate, aber pünktlich Feierabend?
Engers: Es gibt in den Kanzleien nach wie vor einen sozialen Druck, was die Präsenzzeit angeht. Viele Frauen, die in Teilzeit arbeiten, haben das Gefühl, dass ihre Arbeit nicht wertgeschätzt wird. Allerdings sollte man sich fragen, wie effektiv jemand wirklich arbeitet, der zehn bis zwölf Stunden im Büro sitzt.
Es wäre interessant zu verfolgen, wie oft die Kicker-Website tagsüber von den Kanzleien aus angeklickt wird. Klar, die Anwälte machen das, um zu entspannen. Aber es wäre vielleicht genauso sinnvoll, wenn sie nachmittags zwei Stunden mit ihren Kindern auf dem Spielplatz sind und sich dann abends noch einmal an die Arbeit setzen. Dazu brauchen die Mitarbeiter aber das Vertrauen des Partners, dass das Mandat gestemmt wird, egal um welche Uhrzeit.
Anja Hall, Teilzeitpartner oder Workaholic?: . In: Legal Tribune Online, 04.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14843 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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