In Supervisionsgruppen besprechen Richter mit Kollegen ihre Probleme bei der Arbeit. Klingt nach Plauderründchen, das Format bringt den Teilnehmern aber tatsächlich mehr Zufriedenheit im Job, sagt Supervisorin und Richterin Hanna Wege.
LTO: Frau Wege, Sie bieten Supervision in Justiz an, was bedeutet das?
Hanna Wege: Richter mit entsprechender Fortbildung bieten Richterkollegen Termine an, in denen in Gruppen Probleme bei der Arbeit besprochen werden. In Schleswig-Holstein arbeiten wir mit der Methode der sog.“ Kollegialen mediationsanalogen Fallsupervision“. Wie der Name schon sagt, kommt das Konzept aus der Mediation. Es bedeutet, dass wir wie bei einer Mediation mit Sachverhaltsannahmen und Handlungsideen arbeiten. Kollegial steht dafür, dass Lösungen aus dem Kreis der Kollegen geliefert werden. Und Fallsupervision, weil es um Fälle bzw. Vorfälle aus dem Arbeitsalltag der Richter geht.
Einfach mal anders denken
LTO: Das klingt noch sehr abstrakt, wie kann man sich das praktisch vorstellen?
Wege: Nun, die Richter melden sich zu den Supervisionen freiwillig an und treffen sich dann in Gruppen von maximal zehn Personen. Ein Teilnehmer, der Supervisand, stellt einen Fall aus seinem Arbeitsalltag vor. Das muss nicht ein juristisch zu entscheidender Fall sein, sondern kann auch die Zusammenarbeit mit einem Kollegen oder Anwalt betreffen. Diesen Fall verbindet der Supervisand mit drei Fragen, die ihn rund um das Fallgeschehen beschäftigen. Die Teilnehmer formulieren anschließend Vermutungen, was bei den Beteiligten passiert sein könnte, was rund um das Fallgeschehen los gewesen sein könnte. Bei einer Gruppe von zehn Leuten kommen so schnell 50 Vermutungen bzw. Hypothesen zusammen. Daraus wählt der Supervisand ca. drei Hypothesen aus, die ihm am besten gefallen, die er am plausibelsten findet, die ihm richtig und möglich erscheinen. Die Auswahl wird von den Teilnehmern nicht kommentiert und diskutiert. Es ist eine autonome Entscheidung des Supervisanden.
Auf der nächsten Ebene entwickeln die Teilnehmer auf Grundlage dieser ausgewählten Hypothesen neue Ideen bzw. Optionen, wie man sich verhalten könnte. Der Supervisand sucht noch einmal ca. drei hiervon aus, die auch wieder nicht kommentiert werden. In der Abschlussbesprechung geht es dann darum, ob die Fragen des Supervisanden beantwortet sind, welche Annahmen sich für den Supervisanden geändert haben und wie er künftig mit der Situation umgehen möchte. Bei einem Supervisionstreffen werden meistens vier Fälle in dieser Weise bearbeitet.
Warum so kompliziert?
LTO: Und das funktioniert?
Wege: Ja. Ganz konkret ist das Ziel einer Supervision für alle Teilnehmer die Erweiterung der Perspektive. Es geht also darum, sich klarzumachen, dass man einen Sachverhalt aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten kann. Die Entwicklung der vielfältigen Hypothesen als mögliche Gründe für bestimmte Verhaltensweisen führt dann letztlich zu einem größeren Verständnisgewinn für die Situation. Man versteht eher, warum ein Anwalt in besonderer Weise in der Sitzung agiert und was das bei mir als Richter bewirkt hat. Man reflektiert, was man selbst mit dem Verhalten zu tun hat, warum man sich so über das Verhalten ärgert und damit nicht professionell umgehen kann.
Die zweite Ebene ist dann die Entwicklung der Handlungsalternativen, also zu überlegen: Was kann ich zukünftig tun, wenn ich in einer ähnlichen Situation bin, welche Optionen habe ich, um anders zu agieren? Wie kann ich mich auf eine Sitzung anders vorbereiten oder anders kommunizieren? Wie kann ich gelassener reagieren? So kann man zum Beispiel verstanden haben: Der Anwalt meint nicht mich, sondern er hat generell ein Problem mit Richterinnen. Dann kann ich mir vornehmen, mich beim nächsten Mal nicht in einen persönlichen Kampf zu begeben, sondern professionell und distanziert zu bleiben.
All das soll letztlich zu einer persönlichen Entlastung führen und last but not least zu einer Qualitätsverbesserung der Arbeit, weil man einfach effizienter, verständnisvoller und klüger miteinander umgeht.
2/2: Auch Richter haben Belastungen
LTO: Ein wenig hört sich das Ganze trotzdem nach einem Plauderstündchen mit Tee und Räucherstäbchen an. Wer hatte die Idee dafür?
Wege: Es ist wohl eher die Erkenntnis, dass es für Richter im Job belastende Situationen gibt, mit denen wir lernen müssen, umzugehen.
Der Wunsch nach diesem Angebot kam jedenfalls aus der Richterschaft selbst. Es waren allerdings zunächst die Güterichter, die den Anspruch an sich selbst haben, sich regelmäßig supervidieren zu lassen. Die schleswig-holsteinische Justiz hat das Angebot 2013 auf alle Richter ausgeweitet. Seitdem gibt es verschiedene Angebote für Güterichter und sonstige Richter, darunter dann spezielle Angebote etwas für Familienrichter und seit 2015 auch sogenannte Verwaltungsgruppen. Da treffen sich jeweils Direktoren von Gerichten, Geschäftsleiter, Abteilungsleiter und inzwischen auch die Präsidenten der Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit.
Es menschelt ungemein
LTO: Bei diesen ginge es dann aber eher um den Umgang mit den Mitarbeitern?
Wege: Genau. Bei den so genannten Verwaltungsgruppen geht es vor allem um Probleme mit dem Personal, um Entwicklungsgespräche, um Konflikte innerhalb des Gerichts. Bei den Familienrichtern liegt der Schwerpunkt dagegen bei den zu bearbeitenden Fällen. Das hängt mit der Materie zusammen.. Sorgerechtsentscheidungen und Herausnahme von Kindern aus gefährdenden Familien kann sehr belastend sein So etwas lässt sich in einer Supervision sehr gut besprechen, insbesondere, wenn es schwierig ist, Distanz zu halten oder damit emotional fertig zu werden.
Tatsächlich hatten wir Supervisoren erwartet, dass auch in den übrigen Richtergruppen vor allem Fälle besprochen werden. Doch da menschelt es eher. Es geht um Schwierigkeiten mit einem Anwalt in der Sitzung, Probleme in einem Kollegialgericht – eventuell mit dem Senats- oder Kammervorsitzenden – oder auch mit der Geschäftsstelle. Insgesamt sind das menschliche Themen, die im Arbeitsalltag störend sein können.
Alles, aber keine Psychogruppe
LTO: Nehmen die Richter das Angebot denn an?
Wege: Richter, die nicht auch Mediatoren sind, sind durchaus schwieriger zu überzeugen. Sie tragen die Dinge oft mit sich selbst aus. In eine kollegiale Gruppe zu gehen und zu sagen, ich habe ein Problem mit meinem Vorsitzenden, einige Entscheidungen belasten mich sehr, fällt vielen nicht leicht. Wir können aber schnell klar machen, dass es nicht um eine Psychogruppe geht, sondern um die Verbesserung des persönlichen Arbeitsalltags.
LTO: Schleswig-Holstein gilt als einer der Vorreiter in der Supervision, viele andere Länder fangen erst an, sich mit dem Thema zu befassen. Was können Sie Kollegen, die noch am Anfang stehen, raten?
Wege: Vorreiter ist ein großes Wort, aber man kann wohl sagen, dass wir inzwischen einige Erfahrung haben. Wir haben die Mediation in Schleswig-Holstein im Jahr 2005 eingeführt, 2010 begann die Ausbildungen von Supervisoren durch den Diplompsychologen Heiner Krabbe, 2013 ging es mit der Supervision wirklich los. In den Jahren 2014 bis 2016 haben an den 72 Supervisionsveranstaltungen insgesamt 437 Kollegen incl. Doppelteilnehmer teilgenommen. . Darauf sind wir Supervisoren schon etwas stolz, aber wir haben immer noch viel Luft nach oben.
Den Richterkollegen in anderen Bundesländern, die gerade dabei sind Supervision einzuführen, kann ich nur sagen: Habt viel Geduld und seid idealistisch. Supervision in der Justiz ist eine Kulturveränderung. Da ist es völlig normal, dass die Kollegen erst mal skeptisch sind. Macht deutlich, dass die richterliche Unabhängigkeit zu 100% gewahrt bleibt und Supervision ausschließlich dazu dient, den Blick zu erweitern und zu entlasten. Unsere regelmäßigen Auswertungen bei den Teilnehmern zeigen: Wer mitmacht, findet die Supervision absolut sinnvoll und hilfreich für die eigene Arbeit.
Hanna Wege war seit 1978 Richterin, u.a. Familienrichterin und von 1998 bis zu ihrer Pensionierung 2015 Direktorin am Amtsgericht Eutin. Sie hat seit 2005 auch als Mediatorin bzw. Güterichterin gearbeitet und ließ sich zusammen mit 10 weiteren Richtern in Schleswig-Holstein zur Supervisorin ausbilden und bei der Steinbeis-Hochschule Berlin zertifizieren. Sie ist weiterhin in der Justiz als Supervisorin tätig.
Tanja Podolski, Supervision in der Justiz: Erzähl' doch mal . In: Legal Tribune Online, 20.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23225/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
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