Richter und Staatsanwälte klagen über Personalmangel und hohe Arbeitsbelastung – trotzdem sind viele von ihnen nebenbei tätig. Muss die Verwaltung das unterbinden? Ein Berliner Politiker meint ja und provoziert damit einhellige Reaktionen.
Mehr als 300 Berliner Richter und Staatsanwälte gehen neben ihrer Arbeit anderen Tätigkeiten nach. Angesichts einer engen Personalsituation, langer Verfahren und hoher Arbeitsbelastung sei das ein Problem für die Justiz, mein der Berliner FDP-Abgeordnete Marcel Luthe: "In der aktuellen Situation ist derjenige der Dumme, der seine ganze Kraft seinem Hauptberuf widmet. Das ist das völlig falsche Signal", sagt Luthe gegenüber der LTO. Berlin brauche dringend 150 Amts- und Staatsanwälte und 100 Richter, um schneller und präziser zu arbeiten und die Arbeit in der Berliner Justiz wieder attraktiver zu machen. Die Justizverwaltung müsse genauer prüfen, ob durch Nebentätigkeiten sowie deren Vor- und Nachbereitungszeit nicht die eigentliche Aufgabe der Richter und Staatsanwälte beeinträchtigt werden könne.
Von den rund 1.300 Richtern der Berliner Gerichte üben derzeit 275 eine Nebentätigkeit aus, von den rund 340 Staatsanwälten sind es 64. Die Nebentätigkeiten müssen genehmigt werden und dürfen ein Fünftel der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit nicht überschreiten. Beim Justizsenator weist man die Kritik entschieden zurück: So seien etwa 252 Richter und Staatsanwälte als nebenamtliche Prüfer beim Gemeinsamen Juristischen Prüfungsamt bestellt, erklärt der Sprecher des Justizsenators, Sebastian Brux, gegenüber der LTO. "Wenn die FDP mehr Stellen in der Justiz fordert und gleichzeitig die Ausbildung unseres Nachwuchses angreift, ist das nicht nur absurd, sondern auch gefährlich", so Brux. "Wir sind jedem Richter und Staatsanwalt dankbar, der unsere Juristenausbildung unterstützt."
Zudem befürworte man es, wenn Richter und Staatsanwälte neben ihrer Tätigkeit auch Zeit zur wissenschaftlichen Arbeit fänden oder sich in der schulischen Bildung engagierten. Einige Staatsanwälte würden etwa Berliner Schülern in Rollenspielen den Ablauf einer Gerichtsverhandlung nahebringen. Im Übrigen sei die Forderung der FDP nach mehr Personal für die Justiz durch den Doppelhaushaltsentwurf 2018/19 bereits abgedeckt. "In der Berliner Justiz sollen 243 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Das ist die größte personelle Verstärkung seit 25 Jahren", so Brux.
Nebentätigkeiten sind nicht unüblich
Dass man dem Personalmangel in der Justiz beikommt, indem man geringfügige Nebentätigkeiten stärker beschränkt, hält auch der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, für abwegig. "Das Gros der Nebentätigkeiten dürfte auf die Ausbildung des juristischen Nachwuchses entfallen, was also sehr im Interesse der Justiz liegt. Die Kollegen stemmen das in Absprache mit der Justizverwaltung neben ihrem Hauptamt gegen eine minimale Aufwandsentschädigung", so Rebehn. "Der zeitliche Aufwand ist in der Regel überschaubar und beeinträchtigt die Arbeit im Gericht sicher nicht." Solche Nebentätigkeiten zu beschränken sei "ein politisches Eigentor."
Es ist nicht unüblich, dass Richter und Staatsanwälte Nebenjobs nachgehen. Dazu gehören neben den Aufgaben als Prüfer auch wissenschaftliche Veröffentlichungen, Vorträge oder Seminare. Insbesondere bei Arbeitsrichtern ist es üblich, dass sie Nebentätigkeiten ausüben, zum Beispiel, weil sie gemäß dem Betriebsverfassungsgesetz einer Einigungsstelle von Betriebsräten und Arbeitgebern vorsitzen. Solange Nebenjobs nicht so umfangreich sind, dass das Hauptamt leidet, gestattet man sie in anderen Bundesländern genauso wie in Berlin – trotz Personalknappheit.
Der Sprecher des nordrhein-westfälischen Justizministers etwa erklärt: "Im Bereich der Aus- und Fortbildung fördern wir sogar ausdrücklich die Bereitschaft der Kolleginnen und Kollegen, sich nebenamtlich zu engagieren. Viele Prüfer in den Staatsexamina und Leiter von Referendararbeitsgemeinschaften stammen aus der Justiz und engagieren sich hier neben ihrem Hauptamt." Auch das Bayerische Staatsministeriums der Justiz teilt auf LTO-Anfrage mit, man halte Nebentätigkeiten im Rahmen des zulässigen Umfangs nicht für problematisch: "Über die Genehmigungsvoraussetzungen ist bei genehmigungspflichtigen Nebentätigkeiten sichergestellt, dass dienstliche Interessen nicht beeinträchtigt werden."
Das schließe insbesondere ein, dass die Arbeitskraft von Richtern und Staatsanwälten nicht so stark in Anspruch genommen werde, dass die ordnungsgemäße Erfüllung dienstlicher Pflichten behindert werden könne. Und auch seitens des baden-württembergischen Justizministeriums heißt es: Soweit dienstliche Interessen nicht beeinträchtigt würden, spreche nichts gegen die Ausübung von Nebentätigkeiten. "Insbesondere das Engagement in Wissenschaft, Lehre und Ausbildung sehen wir positiv", so der Sprecher von Justizminister Guido Wolf.
Hitzige Diskussionen insbesondere auf Bundesebene
Grundsätzlich gilt: Nebentätigkeiten dürfen das Vertrauen der Bürger in die richterliche Unabhängigkeit nicht gefährden. Für Diskussionen sorgt es deshalb vor allem, wenn Richter in großem Umfang für bestimmte Interessengruppen tätig werden oder besonders hohe Honorare erhalten – das gilt vor allem für Richter an den obersten Bundesgerichten.
So hatte etwa der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts Klaus Rennert zuletzt gemahnt, Nebentätigkeiten von Richtern dürften nicht "zu gut" bezahlt werden. Für viel öffentliches Aufsehen hatte der Fall der ehemaligen Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt gesorgt, die nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundesverfassungsgericht in den Volkswagen-Vorstand wechselte und dort nach nur einem Jahr eine Millionenabfindung erhielt.
Inzwischen gibt es am Bundesverfassungsgericht Überlegungen, einen Ethik-Kodex einzuführen, der solche Fälle künftig verhindern soll.
Annelie Kaufmann, Berlin: Kritik an Nebentätigkeiten von Richtern: . In: Legal Tribune Online, 10.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23901 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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