Ein mutmaßlicher Mörder, ein Verdächtiger für einen Mordversuch und ein mutmaßlicher Drogendealer: Alle drei kamen in Nordrhein-Westfalen 2020 vorzeitig aus der Untersuchungshaft auf freien Fuß - wegen zu langsamer Verfahren.
Wegen zu langsamer Verfahren der Justiz in Nordrhein-Westfalen (NRW) sind im vergangenen Jahr drei mutmaßliche Straftäter aus der Untersuchungshaft freigelassen worden. Im Vorjahr waren es noch sieben. Das teilte das NRW-Justizministerium auf dpa-Anfrage mit.
Im April 2020 war ein Mann freigelassen worden, dem Mordversuch vorgeworfen wurde. Der Vorsitzende Richter war während des Prozesses nach 27 Verhandlungstagen schwer erkrankt. Die Kammer beschloss, den Prozess auszusetzen. Diese Aussetzung wäre nicht notwendig gewesen, befand das Oberlandesgericht (OLG) in Hamm und ordnete die Freilassung an.
In Dortmund kam der mutmaßliche Mörder der Schülerin Nicole Schalla frei. Im Januar 2020 war zunächst eine Richterin erkrankt. Dann musste auch noch der Vorsitzende Richter wegen Corona-bedingter Gesundheitsgefährdung ausgewechselt werden. Der Prozess platzte und musste neu gestartet werden. Das dauerte dem OLG Hamm zu lang: Der Angeklagte kam frei, erschien aber zum Neustart im August vor Gericht. Seitdem wird wieder verhandelt.
Biesenbach: Strafjustiz funktioniert auch unter erschwerten Umständen
Im dritten Fall kam ein mutmaßlicher Drogendealer vorzeitig frei. Zunächst war der Prozess gegen ihn im Juni 2020 ausgesetzt worden, weil die Strafkammer nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Dann musste das Verfahren im Oktober erneut ausgesetzt werden, weil ein Schöffe für befangen erklärt worden war. Das reichte dem Oberlandesgericht in Hamm: Es setzte den seit November 2019 in Untersuchungshaft sitzenden Mann auf freien Fuß.
"Bei jeder einzelnen Haftentlassung wollen wir ganz genau hinschauen, was in der Zukunft besser gemacht werden muss. Die geringe Gesamtzahl ist aber ein eindrucksvoller Nachweis für das Funktionieren unserer Strafjustiz auch unter den erschwerten aktuellen Umständen", sagte NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU).
Für Haftsachen gilt das sogenannte Beschleunigungsgebot. Danach ist nach sechs Monaten U-Haft bei jedem Gefangenen von einem Gericht zu prüfen, ob es gerechtfertigt ist, die Haft andauern zu lassen.
Zum Vergleich: 2017 mussten nur zwei mutmaßliche Straftäter freigelassen werden. In früheren Jahrzehnten sei die Zahl dagegen oft zweistellig gewesen, hieß es aus dem Ministerium.
dpa/acr/LTO-Redaktion
NRW-Justiz zu langsam: . In: Legal Tribune Online, 08.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43931 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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