Großbritannien tritt zwar aus der EU aus, es wird Europa aber nicht den Rücken kehren – schon gar nicht, was die Zusammenarbeit der Justizsysteme angeht, sagt David Gauke, Justizminister des Vereinigten Königreichs.
Wenn ich am Montag die Justizvollzugsanstalt Moabit in Berlin besuche, möchte ich mich über die Erfahrungen Deutschlands bei der Modernisierung eines alten Bestands an Gefängnissen informieren. Für Großbritannien und Deutschland stellt sich gleichermaßen die Frage, wie man sichere, saubere und ordentliche Gefängnisse betreibt, wenn schon die Architektur selbst dem entgegensteht. Wir können unsere Gefängnisse nur zu Zentren der Resozialisierung machen, wenn die elementaren Voraussetzungen, eine sichere und menschenwürdige Unterbringung, gegeben sind.
Seit 2016 haben offizielle Vertreter Großbritanniens und Deutschlands sich mehr als zehnmal gegenseitig besucht, um unsere jeweiligen Strategien im Justizvollzug weiterzuentwickeln, aber wir können noch viel mehr voneinander lernen. Moabit zum Beispiel ist vergleichbar mit Gefängnissen der zweiten Sicherheitsstufe in England, und ich möchte noch mehr über Deutschlands Know-how in Sachen sichere und anständige Haftunterbringung erfahren.
Umgekehrt findet etwa das britische Programm zur Bekämpfung des Extremismus in Gefängnissen mit seinem neuen Konzept zur Deradikalisierung von Häftlingen europaweit großes Interesse. Wir sind zwar noch am Anfang, haben aber bereits modernste Schulungen für mehrere tausend vor Ort tätige Mitarbeiter durchgeführt, damit sie extremistische Ansichten erkennen, melden und erfolgreich bekämpfen können.
Der gegenseitige Erfahrungsaustausch kann uns also helfen, dafür zu sorgen, dass unsere Gefängnisse die Standards erfüllen, die das Markenzeichen von reifen Demokratien wie der unseren sind.
Die Sache mit dem Brexit
Der Justizvollzug ist nur einer der Bereiche, in dem ich mir auch weiter ein enges Verhältnis zu Deutschland wünsche. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU geht aber noch weiter. Durch Zusammenarbeit kann Europa seine Bürger besser schützen, für eine effiziente und effektive Justiz sorgen und gewährleisten, dass Verbrecher nicht ungestraft davonkommen. Und nicht nur das: Auch die Resozialisierung von Häftlingen profitiert davon. Nach dem EU-Rahmenbeschluss zur Überstellung von Häftlingen können diese ihre Strafe in ihrem Heimatland verbüßen, was sich als viel effektiver für die Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft erwiesen hat.
Deshalb halte ich es für richtig, dass Großbritannien bedingungslos für die Sicherheit Europas einstehen will. Denn wie auch immer unsere EU-Austrittsverhandlungen enden mögen, die britische Regierung wird weiter eng mit ihren europäischen Partnern zusammenarbeiten, um die Sicherheit aller Bürger zu gewährleisten.
Seit über einem halben Jahrhundert arbeitet Großbritannien nun mit Deutschland und anderen europäischen Ländern zusammen, um auf der Grundlage der Werte, die wir alle teilen, gemeinsame Sicherheitsziele zu verfolgen. Es gibt keinen Grund, warum sich das ändern sollte.
Deshalb wünschen wir uns ein umfassendes EU-britisches Abkommen zur inneren Sicherheit, untermauert von unseren gemeinsamen Werten und unserer Achtung der Menschenrechte. Denn die Sicherheit der britischen und der EU-Bürger und der Schutz der Rechte des Einzelnen müssen – unabhängig vom politischen Kontext – höchste Priorität haben.
Europäische Justiz muss weiter kooperieren
Die Zusammenarbeit der europäischen Justizsysteme bietet die Gewähr dafür, dass wir dem Recht über die Grenzen hinweg Geltung verschaffen können. Die Beziehungen, die wir jetzt zu unseren europäischen Partnern unterhalten, bringen unseren Bürgern ebenso wie unseren Unternehmen Sicherheit.
Der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen ist zum Beispiel zu verdanken, dass Familien auch in schwierigsten Zeiten Rechtssicherheit haben: Sie garantiert, dass europäische Gerichte Scheidungen, Sorgerechts- und Unterhaltsentscheidungen anerkennen können und in Fällen elterlicher Kindesentführung zusätzliche Schutzvorkehrungen in Kraft sind.
Die Zusammenarbeit der EU-Länder in Zivil- und Handelssachen sichert die starken Wirtschaftsbeziehungen zwischen unseren Ländern ab. Sie gewährleistet, dass Verbraucher und selbst kleinste Firmen kostspielige Gerichtsverfahren in anderen Ländern vermeiden können, und sie sorgt für die nötige Rechtssicherheit, damit Unternehmen und Privatpersonen international Geschäfte abschließen können.
Zusammenarbeit nicht nur stärken, sondern vorantreiben
Im Vereinigten Königreich leben fast 150.000 Deutsche, während sich um die 100.000 Briten in Deutschland angesiedelt haben. Das Volumen deutsch-britischen Handels beläuft sich pro Jahr auf 171 Milliarden Euro. Unser aller Interesse an einer Einigung über zivilrechtlichen Beziehungen, die nicht nur für Deutschland und Großbritannien, sondern für die EU insgesamt funktionieren, steht außer Zweifel: Im Kern geht es um Rechtssicherheit, den Schutz von Rechten und einen effektiven Zugang zur Justiz, für Firmen ebenso wie Privatpersonen.
Wie häufig betont wurde, scheidet Großbritannien zwar aus der EU aus, aber wir werden Europa nicht den Rücken kehren. Wir wollen weiter eng mit unseren europäischen Partnern zusammenarbeiten, damit unsere Bürger in Sicherheit und Wohlstand leben können. Deshalb schlägt die britische Regierung in ihrem auf dem Landsitz Chequers vereinbarten Weißbuch eine mutige, ambitionierte und innovative Vision für die zukünftige Partnerschaft mit der EU vor.
Ich werde alles daran setzen, dass Großbritanniens Beziehungen zu Deutschland nicht nur so stark wie bisher bleiben, sondern mit einer neuen Partnerschaft zum beiderseitigen Wohl weiter wachsen und gedeihen werden.
Der Autor David Gauke ist britischer Justizminister und zurzeit in Deutschland zu Besuch.
Der britische Justizminister David Gauke exklusiv in der LTO: . In: Legal Tribune Online, 03.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30713 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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