Die Bundesanwaltschaft ermittelt in einer ganzen Reihe spektakulärer Fälle, auf der Jahrespressekonferenz gab es einen kurzen Ausflug in die griechische Mythologie und den Ausblick auf ein Justiz-Großverfahren historischen Ausmaßes.
Die Karlsruher Strafverfolger beschäftigen derzeit eine ganze Reihe spektakulärer Fälle. Der Generalbundesanwalt Peter Frank führt Ermittlungen zu den Explosionen der Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee, gegen mittlerweile 60 mutmaßliche Umstürzler mit einem Prinzen als Anführer, und nicht zuletzt gegen einen mutmaßlichen Spion Russlands im Bundesnachrichtendienst. Die Bedrohung, die ihm aktuell aber am meisten Sorgen bereitet, stand zuletzt weniger im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Der Generalbundesanwalt sieht Deutschland nach wie vor im Visier islamistischer Terrorgruppen. Große Sorge bereiten Generalbundesanwalt Peter Frank regionale Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), "allen voran der sogenannte Islamische Staat Provinz Khorasan".
Weiter hohe Anschlagsgefahr in Deutschland durch IS-Ableger
Erst Ende Februar hat die Bundesanwaltschaft Anklage gegen zwei junge mutmaßliche Islamisten erhoben, die im Namen des IS Anschläge in Deutschland geplant haben und in Kontakt mit dem IS-Ableger gestanden haben sollen. Die Gruppierung IS Provinz Khorasan ist insbesondere in Afghanistan aktiv. Offenbar setzt sie aber auf Anschläge in Europa und Deutschland, um ihre eigene Machtposition innerhalb der islamistischen Gruppen auszubauen.
"Die Gefahr von Anschlägen ist keineswegs gebannt", sagte Frank am Mittwoch beim Jahrespressegespräch seiner Behörde. Dafür spreche auch die Zahl der islamistischen Gefährder, die bundesweit noch immer über 500 liege. Der Generalbundesanwalt betonte auch: "Zwar mag der IS in Syrien und im Irak weitgehend als militärisch besiegt gelten - zerschlagen ist die Organisation indes längst nicht."
Die meisten Terrorverfahren, die der Generalbundesanwalt führt, richten sich gegen Islamisten. Von den insgesamt 451 neuen Ermittlungsverfahren im vergangenen Jahr wiesen 236 einen Bezug zum islamistischen Terrorismus auf.
Reichsbürger – gefährlich und bewaffnet
Sorgenvoll blickt Frank auf Entwicklungen in der "Reichsbürgerszene". Während vor einigen Jahren deren Anhänger vor allem durch skurrile Fälle selbstgebastelter Führerscheine auffielen oder als Querulanten Behörden und Gerichte nervten, mehren sich gefährliche Vorfälle.
Inzwischen hätte auch die Vernetzung zugenommen, so Frank, man beobachte einen stärkeren Zusammenschluss. Deshalb sehe die Bundesanwaltschaft auch die Gefahr, dass sich dort kriminelle oder terroristische Vereinigungen bildeten - und habe sich 2022 zu einem "robusteren Vorgehen" entschieden.
Am Mittwochmorgen hat die Bundesanwaltschaft Durchsuchungen durchgeführt, die im Zusammenhang mit einem Großverfahren und einer Razzia im Reichsbürgermilieu Anfang Dezember 2022 stehen. Mittlerweile wird gegen 60 Beschuldigte aus der Szene ermittelt. In Reutlingen bei Stuttgart wollte die Polizei bei Markus L. durchsuchen, ihn sah die Bundesanwaltschaft nicht als Beschuldigten, sondern nur als Zeugen. Dass die Polizei dennoch mit Spezialkräften anrückte, unterstreicht für wie gefährlich Ermittler die Reichsbürger halten. Beim Eindringen des Polizeiteams richtete L. eine großkalibrige Waffe auf die Polizisten, es kam zu einem Schusswechsel, ein Beamter wurde am Arm getroffen. Der Generalbundesanwalt hat das Verfahren noch am gleichen Tag an sich gezogen und einen Haftbefehl gegen L. erwirkt.
Frank sieht den Vorfall in einer Reihe mit ähnlichen gewalttätigen Zusammentreffen aus der Szene. Im April 2022 hat ein Mann in Boxberg stundenlang Polizisten beschossen, als bei ihm eine Schusswaffe eingezogen werden sollte. Im gleichen Jahr hat ein Mann bei einer Verkehrskontrolle mit seinem Fahrzeug einen Polizisten angefahren, gegen ihn läuft ein Strafprozess wegen versuchten Mordes beim Oberlandesgericht Stuttgart.
Wann und wie Anklage nach Razzia im Reichsbürger-Großverfahren?
Generalbundesanwalt Frank geht davon aus, dass die Ermittlungen nach den "Reichsbürger"-Razzien aus dem Dezember – unter anderem auch gegen eine ehemalige AfD-Abgeordnete, die bis zu ihrer Verhaftung am Landgericht Berlin Richterin war – am Ende in mehrere Anklagen münden werden. Aller Voraussicht nach würden wegen der vielen Beschuldigten verschiedene Schwerpunkte gebildet, sagte er am Mittwochabend. "25 plus x in einer Anklage", das sei nicht machbar. Die Ermittlungen würden noch einige Zeit in Anspruch nehmen, in zwei, drei Monaten sei noch mit keiner Anklage zu rechnen.
Sollte es dann zu Anklagen kommen, stellen sich weitere Herausforderungen für die Justiz. Wo und wie wird verhandelt werden, in welchen Gebäuden ist ausreichend Platz? Wie wird man die Verfahren aufeinander abstimmen, werden Zeugen quer durch Deutschland touren müssen? Die Verfahren dürften eine neue historische Dimension für die Strafjustiz annehmen.
Eher der Vollständigkeit halber, stellte Frank noch klar, dass die Klimaschutzbewegung "Letzte Generation" derzeit kein Fall für die Bundesanwaltschaft sei, sie werde nicht als terroristische Vereinigung betrachtet. "Da sehen wir keine Zuständigkeit derzeit", führte Frank aus. Aktivitäten wie sich an Straßen festkleben oder Kunstwerke beschädigen seien gut bei den Staatsanwaltschaften in den Ländern aufgehoben.
Warum eine Ermittlungsgruppe zu Nord-Stream-Explosionen geplatzt ist
Zum Einstieg seiner Rede hatte Frank augenzwinkernd über alternative Formate für das jährliche Pressegespräch seiner Behörde fantasiert, denkbar wäre "eine Schiffsexkursion nebst Vortrag über die griechische Mythologie". Offenbar eine Anspielung auf die Durchsuchung eines Schiffs im Januar, das zum Transport von Sprengstoff im Zusammenhang mit der Sprengung der Nord-Stream Pipelines im September 2022 verwendet worden sein könnte. Das Schiff, eine Segelyacht, soll nach Medienrecherchen "Andromeda" heißen, Andromeda ist in der griechischen Mythologie die Tochter von Kassiopeia und wurde zum Sternbild.
Viel mehr war am Mittwochabend zum Nord-Stream-Ermittlungsstand nicht zu erfahren. Die Auswertung der sichergestellten Spuren und Gegenstände dauerten an, zur Identität der Täter und zu ihren Motiven laufen die Ermittlungen, so Frank. "Belastbare Aussagen hierzu, insbesondere zur Frage einer staatlichen Steuerung, können derzeit nicht getroffen werden."
Eine interessante Erklärung liefert Frank dann doch noch nach. Kurz nach den Explosionen im September hatten Schweden, Dänemark und Deutschland eine gemeinsame Ermittlungsgruppe bilden wollen. Doch dieser Plan platzte wenige Wochen später plötzlich. Der Grund sei gewesen, dass es etwa in Schweden keine strikte organisatorische Trennung zwischen Geheimdienst und Ermittlungsbehörde gebe, was die Zusammenarbeit und das Teilen von Informationen vor Herausforderungen gestellt hätte.
Bundesanwaltschaft setzt Schwerpunkte bei Ukraine-Ermittlungen
Die Zusammenarbeit bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen in der Ukraine wollten die westlichen Staaten arbeitsteilig organisieren, wie unter anderem auch Deutschland von Anfang an betonte. Die Idee: Möglichst keine Doppelarbeit. Die Ukraine hatte auf einer Justizministerkonferenz in London diese Woche von rund 75.000 Fällen gesprochen.
Mittlerweile hat der Generalbundesanwalt zwei neue Ermittlungsreferate zur Ukraine erhalten und auch erste Schwerpunkte gebildet. Frank nannte den Komplex um mutmaßliche Verbrechen bei Massentötungen in Butscha sowie die gezielte Tötung von fliehenden Zivilisten durch russische Soldaten. Die Bundesanwaltschaft kann dabei auf die Aussagen ukrainischer Geflüchteter setzen. Bislang führt der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt, ob das Verfahren bald gegen konkrete Beschuldigte gerichtet wird, ließ er offen.
Das Ausgangsverbrechen des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine gehört aus Franks Sicht vor ein internationales Gericht.
Generalbundesanwalt gibt Überblick zu Ermittlungen: . In: Legal Tribune Online, 23.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51392 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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