Einen Freispruch in einem Volksverhetzungsprozess wollte ein Amtsrichter offenbar auch für seine Kritik an der Flüchtlingspolitik nutzen. Dafür darf er gerügt werden, entschied nun der BGH. Denn die richterliche Unabhängigkeit habe Grenzen.
"Die persönliche politische Meinung eines Richters, die für die eigentliche Rechtsfindung ohne Bedeutung ist, hat in den Entscheidungsgründen eines Urteils indes nichts zu suchen". Mit dieser deutlichen Aussage hat das Dienstgericht des Bundes beim Bundesgerichtshof (BGH) die Revision eines Amtsrichters zurückgewiesen (Urt. v. 27.10.2020, Az. RiZ R 4/20). Wer als Richter sein Urteil zur Verbreitung seines politischen Standpunkts nutze, verlasse den Kernbereich der richterlichen Tätigkeit, der der Dienstaufsicht entzogen sei. Die richterliche Unabhängigkeit verleihe Richtern keinen Freibrief, im Rahmen der Urteilsbegründung zu allgemeinen politischen Problemen Stellung zu beziehen, so die BGH-Richter.
Der Amtsrichter hatte sich auf dem Klageweg gegen eine Zurechtweisung durch den Gerichtspräsidenten des Landgerichts (LG) Leipzig gewehrt, die er als eine Beeinträchtigung seiner richterlichen Unabhängigkeit auffasste. Dem erteilte das Dienstgericht beim BGH nun eine Absage.
Amtsrichter: "Flüchtlingspolitik geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören"
Hintergrund ist ein Strafverfahren wegen Volksverhetzung. Der sächsische Amtsrichter für Straf-, Jugend- und Bußgeldsachen sprach 2016 eine Angeklagte vom Vorwurf der Volksverhetzung frei. Die Angeklagte soll sich auf einer der NPD nahestehenden Facebook-Seite an einer Diskussion über Flüchtlingsunterkünfte in Berlin beteiligt haben. In den Kommentaren ging es um den Tag, "an dem es richtig knallt". Ein Nutzer schrieb: "Ich spende das Benzin!" Die Angeklagte antwortete darauf: "Ich bring den Brandbeschleuniger mit."
Der Amtsrichter wollte darin keinen Verstoß gegen den Volksverhetzungsparagraphen § 130 Strafgesetzbuch (StGB) sehen. Und zwar vor allem, weil durch die Aussage nicht zum Hass aufgestachelt bzw. zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen aufgefordert werde. Den Kommentar der Angeklagten wollte der Richter offenbar nicht in den Kontext der Diskussion einordnen. Die Aussage "Ich spende das Benzin!" sei ohne ersichtliche Bezugnahme gepostet worden; aus dem Verlauf ergebe sich nicht, wofür dieses Benzin sein solle.
Damit endete seine Tatbestandsprüfung nicht. In seinem Urteil schrieb der Richter weiter: "Des Weiteren ist auch nicht ersichtlich, inwieweit der Kommentar der Angeklagten geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören." Und er legte noch nach: "In diesem Zusammenhang ist nach Ansicht des Gerichts die Entscheidung der Bundeskanzlerin, eine bisher nicht bekannte Anzahl von Flüchtlingen unkontrolliert ins Land zu lassen, viel mehr geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, als der facebook-Kommentar der Angeklagten […]. Allerdings verstößt diese Entscheidung der Kanzlerin nicht gegen § 130 StGB."
LG-Präsident: "Mit den Dienstpflichten eines Richters nicht vereinbar"
Wegen dieser Urteilspassage erließ der für die Dienstaufsicht zuständige Leipziger LG-Präsident 2017 einen Bescheid gegen den Richter. Er legte dar, "dass es sich hierbei um eine mit den Dienstpflichten eines Richters nicht mehr vereinbare Äußerung" handele und bat darum, dass der Richter solche Äußerungen im Rahmen der Ausübung seiner richterlichen Tätigkeit künftig unterlasse. Nachdem auch der OLG-Präsident die Aufforderung des LG-Präsidenten im Wesentlichen bestätigte, beschritt der Amtsrichter den Dienstgerichtsweg. Aber auch hier blieb er weiter erfolglos. Und so erreichte seine Revision den BGH.
Auch in seiner Revisionsbegründung beharrte der Amtsrichter darauf, es habe sich bei der vorgehaltenen Passage nicht um ein losgelöstes politisches Statement gehandelt; vielmehr habe er der Staatsanwaltschaft durch ein Beispiel verdeutlichen wollen, dass nicht jedes Verhalten zur Friedensstörung geeignet sei. Er blieb aber auch dabei, dass das Verhalten der Bundeskanzlerin gerade geeignet gewesen sei, den öffentlichen Frieden zu stören. Wie das zusammenpassen sollte, ließ offenbar auch die Richter am Dienstgericht beim BGH ratlos zurück.
BGH: Urteile sollen nicht für überschießende politische Aussagen ausgenutzt werden
Die Richter betonen in ihrer Entscheidung, dass die Rechtsfindung, also das Abfassen des Urteils, im Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit liegt. Deshalb sind Formulierungen in Entscheidungsgründen eines Urteils grundsätzlich gegen Dienstaufsichtsmaßnahmen geschützt. Aber nur, soweit sie auch die Entscheidung in der Sache tragend begründen. Darüber hinausgehende Formulierungen unterliegen der Dienstaufsicht.
Damit verfolgt das Dienstgericht die Botschaft: Was zum Urteil gehört, wird auch durch die richterliche Unabhängigkeit geschützt. Was aber eine überschießende politische Aussagen ist, unterliegt nicht gleichermaßen dem Schutz durch die richterliche Unabhängigkeit. Das Urteil als besondere Spruchform der Judikative soll nicht ausgenutzt werden als privilegierte Äußerungsplattform persönlicher Vorstellungen. Anschauungsmaterial für diese Gefahr lieferte auch eine Entscheidung am VG Gießen Ende 2019. Denn was Gerichte in ihren Urteilen entscheiden, prägt auch mit, was und wie über Politik gesprochen wird.
BGH-Dienstgericht bestätigt Richter-Rüge: . In: Legal Tribune Online, 01.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43598 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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