Die SPD-regierten Länder schlagen Lars Brocker für das BVerfG vor – als Nachfolger für Gabriele Britz. Der Wahltermin im Bundesrat am 10. Februar ist jedoch noch wackelig. Christian Rath analysiert die Lage.
Lars Brocker ist Präsident des Verfassungsgerichtshofs (VerfGH) von Rheinland-Pfalz und zugleich Präsident des rheinland-pfälzischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) mit seinen 25 Richter:innen. Beide Gerichte sitzen in Koblenz. Brocker soll am Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) die bisherige Richterin Gabriele Britz ersetzen, deren Amtszeit nach 12 Jahren am 1. Februar endete.
Britz muss gehen
Die Rechtsprofessorin Gabriele Britz war 2011 im Bundesrat auf Vorschlag der SPD zur Verfassungsrichterin gewählt worden. Sie war eine der einflussreichsten Karlsruher Richter:innen der letzten Jahre. Als Berichterstatterin war sie zum Beispiel an der Entscheidung zum Dritten Geschlecht (Beschluss vom 10. Oktober 2017, Az.: 1 BvR 2019/16) beteiligt. Ebenso hat sie den Klima-Beschluss des BVerfG (Beschluss vom 29. 4. 2021, Az.: 2656/18 u.a.) geprägt.
Zuletzt war Britz vor allem mit Verfahren zur Inneren Sicherheit beschäftigt. So stammte das Urteil zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz (Urteil vom 26. April 2022, Az.: 1 BvR 1619/17) aus ihrer Feder. Am 16. Februar wird ihr letztes großes Urteil zur automatischen Datenauswertung durch die hessische Polizei verkündet.
Brocker soll kommen
Als Nachfolger von Britz wollen die SPD-regierten Ländern (die sogenannten A-Länder) Lars Brocker vorschlagen. Sein Name war schon 2020 im Spiel, als es um die Nachfolge von Verfassungsrichter Johannes Masing ging. Damals gab es eine lange SPD-interne Auseinandersetzung, an deren Ende der Brandenburger SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke die Rechtsprofessorin Ines Härtel als erste Verfassungsrichterin mit ostdeutscher Sozialisation durchsetzte. Rechtsprofessor Martin Eifert, der damals als kompetentester Kandidat galt, wurde inzwischen von den Grünen nominiert und im Dezember im Bundestag gewählt.
Nun soll also auch Lars Brocker noch zum Zug kommen, der 2020 nur von der rheinland-pfälzischen SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer unterstützt wurde. Dass die A-Länder jetzt Brocker nominieren wollen, obwohl er 2020 auch in Fachkreisen wenig Begeisterung auslöste, sagt vor allem etwas über die starke Stellung von Dreyer in der SPD aus.
Brocker begann seine Karriere im wissenschaftlichen Dienst des Mainzer Landtags, wurde dann Justiziar der SPD-Landtagsfraktion und anschließend Direktor des Landtags. 2012 wurde der SPD-Mann aus dem Stand zugleich zum Präsidenten des OVGs und des VerfGH berufen. Wissenschaftlich publiziert hat er vor allem zum Parlamentsrecht. Auch seine verfassungsrechtlichen Kommentierungen, etwa im Grundgesetz-Kommentar von Epping/Hillgruber, konzentrieren sich auf parlamentsbezogene Fragen, wie das Petitionsrecht oder Untersuchungsausschüsse.
In eher politischen Wortmeldungen sprach er sich in den letzten Jahren für konsequentere Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber:innen aus, für eine wehrhafte Demokratie gegen Extremist:innen und für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht.
Wenn Brocker gewählt würde, sänke der Frauenanteil am Bundesverfassungsgericht, da er ja Gabriele Britz ersetzt. Seit der letzten Richterwahl im Dezember herrscht in Karlsruhe geschlechtsbezogene Parität, es gibt je acht Richter und Richterinnen. Künftig gäbe es also wieder eine männliche Mehrheit.
Das Problem mit der Vereinbarung von 2018
Da Verfassungsrichter:innen mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden müssen, braucht Brocker auch die Zustimmung der unions-regierten Länder (der so genannten B-Länder). Ob er diese bekommt, ist aber noch nicht sicher, denn der Vorschlag verstößt gegen eine politische Vereinbarung von 2018. Dort ist vorgesehen, dass an dieser Stelle ein:e Bundesrichter:in gewählt werden müsste.
Die Vereinbarung von 2018 soll eine ausgewogene Besetzung des Bundesverfassungsgerichts sicherstellen, hat aber keine rechtliche Verbindlichkeit. Sie wurde geschlossen von Volker Bouffier (damals Ministerpräsident von Hessen, CDU), Carsten Sieling (damals Regierender Bürgermeister von Bremen, SPD), Winfried Kretschmann (Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Grüne) und Stefan Ruppert (damals parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion). Die Vereinbarung verteilt die Vorschlagsrechte in beiden Senaten nach der Formel 3 - 3 - 1 - 1 auf CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP.
In der Vereinbarung ist sogar vorgesehen, auf welche Posten Bundesrichter:innen vorgeschlagen werden müssen und bei welchen Posten die Parteien freie Auswahl haben (was als vorteilhaft gilt). Hintergrund ist § 2 Absatz 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG), wonach mindestens drei Richter:innen pro Senat von den Bundesgerichten (also BGH, BVerwG, BAG, BSG, BFH) stammen müssen. Die Vereinbarung sieht vor, dass die SPD-Seite entweder bei der Nachfolge Masing oder bei der Nachfolge Britz eine Bundesrichter:in vorschlagen muss. Da bei der Nachfolge Masing die Rechtsprofessorin Härtel gewählt wurde, müsste die Pflicht nun eigentlich bei der Nachfolge Britz erfüllt werden. Sinn der Abmachung ist, dass die CDU im Jahr 2024 bei der Nachfolge des Richters Josef Christ (einst Bundesverwaltungsrichter) keinen Bundesrichter vorschlagen muss, also mehr Freiheit haben soll.
Da Lars Brocker kein Bundesrichter, sondern Landesrichter ist, wollen die A-Länder an diesem Punkt offensichtlich die politische Vereinbarung ignorieren. Dies könnte dazu führen, dass die B-Länder (zunächst) den Personalvorschlag ablehnen.
Das Problem der Vereinbarung mit dem Gesetz
Grundsätzlich ist es legitim, solche Vereinbarungen zu treffen, da das Erfordernis einer 2/3-Mehrheit eine Bildung von Personalpaketen und entsprechende Proporzquoten geradezu nahelegt. Auch vor 2018 gab es entsprechende Absprachen und Formeln, die immer wieder den politischen Kräfteverhältnissen angepasst wurden. Deshalb hat die SPD natürlich kein grundsätzliches Problem mit der Vereinbarung von 2018.
Die SPD kann sich nun aber darauf berufen, dass die Pflicht, als Nachfolger:in von Gabriele Britz ein:e Bundesrichter:in vorzuschlagen, ihren eigentlichen Zweck gar nicht erfüllen kann. Denn 2018 wurde übersehen, dass es im BVerfGG auch noch § 5 Absatz 1 Satz 2 gibt. Danach dürfen nicht alle drei Bundesrichter:innen eines Senats vom gleichen Wahlorgan (Bundestag oder Bundesrat) gewählt werden. Die Vorschrift ist wenig bekannt und ihr Sinn ist fraglich, aber sie ist nun mal geltendes Recht. Deshalb müsste die CDU/CSU als Nachfolger von Richter Christ auf jeden Fall eine:n Bundesrichter:in vorschlagen, denn diese Position wird im Bundestag gewählt. Dagegen wurden die anderen beiden Bundesrichter:innen im Ersten Senat (Henning Radtke und Yvonne Ott) im Bundesrat gewählt. Würde als Nachfolger:in von Britz also wie vereinbart ein:e Bundesrichter:in gewählt, so wäre dies nicht geeignet, die gesetzliche Pflicht zu erfüllen, da diese Wahl ja ebenfalls im Bundesrat stattfindet.
Außerdem könnte sich die SPD darauf berufen, dass sie im Dezember bei der Nachfolge von Verfassungsrichterin Monika Hermanns am Zweiten Senat die BGH-Richterin Rhona Fetzer vorgeschlagen hat, obwohl sie hier kein:e Bundesrichter:in vorschlagen musste.
Es ist aber fraglich, ob sich die Union auf diese Argumente einlässt, weil die SPD die Abweichung von der Vereinbarung nicht vorab abgesprochen hat.
Peinlicher für die SPD
Die A-Länder werden von Bremen, die B-Länder von Hessen koordiniert. Diese Zuständigkeiten sind recht stabil und haben auch die jüngsten Wechsel an der Länderspitze überdauert. Konkret liegt die Koordination derzeit also bei Andreas Bovenschulte (SPD), dem Regierenden Bürgermeister Bremens, und Boris Rhein (CDU), dem neuen Ministerpräsidenten Hessens.
Da die Amtszeit von Britz Anfang Februar endete, war eigentlich vorgesehen, ihren Nachfolger in der kommenden Bundesratssitzung vom 10. Februar zu wählen. Am 20. Februar sollte die Ernennung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stattfinden. Wenn bis dahin keine Einigung zwischen A- und B-Ländern gelingt, muss Britz länger im Amt bleiben. Die nächsten Bundesrats-Sitzungen sind am 3. März, am 31. März. Und am 12. Mai geplant.
Eine Verschiebung der Wahl wäre zwar für alle Beteiligten peinlich, am meisten aber für die SPD, die ja das Vorschlagsrecht hat und die Abweichung von der politischen Vereinbarung offensichtlich nicht ausreichend vorbereitet hat. Für Bovenschulte wäre eine Verzögerung besonders unangenehm, weil er schon bei seinem ersten Einsatz als A-Länder-Koordinator, bei der Nachfolge Masing, eine mehrmonatige Verzögerung nicht verhindern konnte. Damals war die Union völlig unbeteiligt, es war allein die SPD-Seite, die sich nicht einigen konnte.
Mögliche Lösungen
Wie könnte nun eine Lösung des aktuellen Konflikts aussehen? Das einfachste wäre natürlich, die SPD würde den Vorschlag Brocker zurückziehen und vereinbarungsgemäß ein:e Bundesrichter:in vorschlagen. Sie könnte dann auch eine Frau benennen und die Geschlechterparität bewahren. Infrage kommende Bundesrichterinnen gäbe es genug, etwa die BGH-Richterin Christiane Schmaltz oder die BSG-Vizepräsidentin Miriam Meßling.
Wenn die SPD aber an Brocker festhält, müsste sie der Unions-Seite wohl bei einem anderen Punkt entgegenkommen. Soweit sind die Gespräche aber noch nicht.
Eine Einigung ist auch kurz vor der geplanten Wahl am 10. Februar noch möglich. Die Tagesordnung des Bundesrats kann ganz kurzfristig geändert werden.
Wenn die kurzfristige Einigung nicht gelingt, findet am 20. Februar dennoch eine Richter-Ernennung statt. Der im Dezember gewählte Martin Eifert wird dann vom Bundespräsidenten seine Ernennungsurkunde erhalten. Die offizielle Amtszeit seiner Vorgängerin Susanne Baer endete ebenfalls am 1. Februar.
Zustimmung fraglich: . In: Legal Tribune Online, 04.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50978 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag