Das Hauen und Stechen um die Corona-Schutzimpfung hat eine neue Dimension erreicht. Während in NRW auch Referendarinnen und Referendare geimpft werden, bleiben Anwälte dort außen vor.
Anwälte und Anwältinnen sind in Nordrhein-Westfalen Juristen zweiter Klasse – so lässt es sich jedenfalls lesen: Nach dem gestern in NRW verabschiedeten Erlass für die Eröffnung der Impfgruppe 3 sind sie nicht in diese Gruppe der Impfberechtigten einbezogen.
In der Gruppe sind Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Beschäftigte in den Servicebereichen der Gerichte und Justizbehörden, das sind rund 42.000 Menschen. Die Servicebereiche, das sind die Mitarbeiter:innen in den Geschäftsstellen. Zu den Beschäftigten in der Justiz zählen in NRW – wie auch in einigen anderen Bundesländern - zudem die Referendare und Referendarinnen. Nach der Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV) des Bundes sollen in diese Impfgruppe Personen aufgenommen werden, die "in besonders relevanter Position in der Justiz und Rechtspflege tätig sind", so § 4 Abs. 1 Nr. 4b CoronaImpfV. Zur Rechtspflege gehören auch die Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen. In NRW sind sie nicht aufgenommen.
In anderen Bundesländern Anwälte priorisiert
In Bayern, Thüringen, Hamburg oder Berlin sind Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte von der Priorisierung erfasst. "In Rheinland-Pfalz sind die Priorisierungen bereits für alle Einwohner aufgehoben", weiß Martin W. Huff. Für den Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln ist die Einbeziehung der Anwälte eine Selbstverständlichkeit.
Umso überraschter waren er und seine Kollegen der beiden weiteren Kammern in NRW, Hamm und Düsseldorf, als die Präsidenten am Mittwoch von dem Erlass Kenntnis erhielten. "Anwälte und Anwältinnen sind Organe der Rechtspflege", sagt Huff. "Warum sie entgegen der Vorgaben des Bundes in NRW aus der Impfgruppe 3 ausgeschlossen sind, ist nicht nachvollziehbar." Auf die unmittelbare Nachfrage beim NRW-Gesundheitsministerium noch am Mittwoch habe er genauso wenig eine Antwort bekommen, wie seine Kollegen aus Düsseldorf und Hamm. "Wir fühlen uns von Herrn Gesundheitsminister Josef Laumann vorgeführt", sagt Huff, und ja, er sei pikiert, dass Anwälte ausgeschlossen seien, Geschäftsstellenmitarbeiter:innen aber nicht.
Es geht um rund 40.000 Personen
Betroffen sind in NRW rund 40.000 Anwältinnen und Anwälte, die zu etwa gleichen Teilen in den drei Kammern organisiert sind, das ist immerhin rund ein Viertel der Anwaltschaft in Deutschland. Hinzu kämen – so zumindest das Verständnis der Anwaltschaft in anderen Bundesländern – die Kanzleimitarbeiter, deren Aufnahme für Huff allerdings diskussionswürdig ist. "Es geht bei den Impfungen um möglichst große Sicherheit für Menschen, die zwangsläufig bestimmte Kontakte haben, das sind etwa Strafverteidiger:innen, die in die Justizvollzugsanstalten müssten." Ob das für die nicht-juristischen Mitarbeiter gilt, müsse man ebenso in Frage stellen, wie die Priorisierung des Gesellschaftsrechtlers, der nur digitale Hauptversammlungen berät.
Huff meint, der Erlass könne durchaus noch erweitert werden, das sei im Minutentakt möglich.
Neiddebatte voll entfacht: Referendare sind drin
Aus der NRW-Landespolitik ist zu vernehmen, dass eine Neiddebatte innerhalb der Juristen vermieden werden sollte – gelungen ist das bisher nicht. Denn während sich Schöffen und Anwaltschaft noch um eine Impfpriorisierung bemühen, steht eine weitere Gruppe gut da: die Referendare und Referendarinnen. Sie sind als Beschäftigte der Justiz in die Priorisierungsgruppe 3 aufgenommen, es geht um mehr als 4.000 Personen*.
Das ist in NRW so, aber auch etwa in Thüringen. Diverse Präsidenten und Präsidentinnen der Landgerichte haben ihren Referendaren bereits Bescheinigungen ausgestellt, mit denen die "Beschäftigung in der Justiz" – teilweise mit dem Hinweis verbunden "als Rechtsreferendar" – attestiert wird. Bekommen haben diese Bescheinigungen auch Referendar:innen, die derzeit in der Anwaltsstation sind oder gerade erst zum 1. Mai ihr Referendariat angetreten haben.
In Bayern nicht so wichtig
Diese Schreiben stammen teilweise bereits aus dem April, in einigen LG-Bezirken wurden die Referendare schon im März über die anstehenden Impfungen informiert. Teilweise haben die Referendare schon ihre Impftermine vereinbart. "Einige von uns haben sich schon gewundert, dass wir überhaupt aufgenommen sind", sagt eine Referendarin, die nicht genannt werden möchte, gegenüber LTO, "denn es findet ja die gesamte Ausbildung gerade online statt. Ob wir als junge Menschen da jetzt schon an der Reihe sein müssen, fragen wir uns schon".
Der bayerische OLG Bezirk Bamberg etwa beantwortet diese Frage anders als die Gerichte in NRW: "Wir stellen den Referendaren keine Bescheinigungen aus. Aus unserer Sicht sind die Referendare nicht in besonders relevanter Position in der Justiz tätig."
Auf diese "relevante" Position stellt auch die CoronaImpfV ab. Vom Gesundheitsministerium NRW war bis zur gesetzten Frist keine Stellungnahme zu erhalten. Dem Vernehmen nach wird dort weiter diskutiert.
* Zahlenangabe korrigiert auf Hinweis des Justizministeriums NRW am Tag der Veröffentlichung um 17:57.
NRW: Anwälte nicht in der Impf-Gruppe 3: . In: Legal Tribune Online, 06.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44903 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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