Hundert Euro Entschädigung pro Hafttag und eine kostenfreie anwaltliche Erstberatung: Marco Buschmann will die Rechtsstellung von Menschen verbessern, die zu Unrecht ins Gefängnis gekommen sind. Der Anwaltverein sieht Abstimmungsbedarf.
Die Entschädigungspauschale für zu Unrecht verbüßte Haft soll von 75 Euro auf 100 Euro pro Tag steigen. Das sieht ein Entwurf des Bundesjustizministeriums (BMJ) vor, der diese Woche zur internen Abstimmung an die anderen Ressorts der Bundesregierung versandt wurde und LTO vorliegt.
Ab einer Haftdauer von mindestens sechs Monaten sei zudem künftig ein Betrag von 200 Euro pro Tag vorgesehen. Dahinter steht wohl die Überlegung, dass die Auswirkungen des Freiheitsentzugs und die daraus folgenden psychischen Belastungen mit zunehmender Haftdauer anwachsen können.
Geregelt sind die Ansprüche von zu Unrecht Inhaftierten im Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG). Das StrEG wurde 1971 erlassen – und seitdem nie grundlegend reformiert. Im Jahr 2018 blockierte der Bundesrat einen Reformvorschlag, der die Haftentschädigung erhöhen sollte, nachdem dahin gehende Forderungen von der Justizministerkonferenz gestellt wurden. Im Jahr 2020 erfolgte dann eine Erhöhung der Haftpauschale von 25 auf 75 Euro Entschädigung pro Hafttag.
Mit der nun von Bundesjustizminister Buschmann angestoßenen Reform soll außerdem klargestellt werden, dass der Schadensersatzanspruch von Betroffenen, die einen Anspruch auf Ersatz von Vermögensschäden haben, nicht schrumpft, weil ersparte Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung angerechnet werden.
Erleichterter Zugang zu anwaltlicher Beratung: DAV und BRAK nicht eingebunden
"Der Rechtsstaat wird von Menschen gemacht, und wo Menschen sind, können auch Entscheidungen getroffen werden, die sich im Nachhinein als nicht gerechtfertigt erweisen", so Buschmann. Das geschehe in der Justiz sehr selten, betont der FDP-Politiker.
Neben den erhöhten Entschädigungssätzen sieht die geplante Reform seinen Angaben zufolge auch einen erleichterten Zugang zu anwaltlicher Beratung vor. "Hier soll es einen Anspruch auf eine kostenlose Erstberatung geben", sagt der Minister. Das solle verhindern, dass Betroffene womöglich aus Sorge vor einer hohen Anwaltsrechnung ihre Rechte im sogenannten Betragsverfahren nicht wahrnehmen.
Kalt erwischt von Buschmanns Plänen wurde indes der Deutsche Anwaltverein (DAV), der sich in der Vergangenheit immer wieder für eine Anhebung der Haftentschädigung ausgesprochen hatte. Zwar sei die anwaltliche Unterstützung für die Betroffenen essenziell und dürfe diese auch nichts kosten, erklärte Rainer Spatscheck, Vorsitzender des DAV-Strafrechtsausschusses am Freitag gegenüber LTO. "Details einer Regelung müssen aber – ähnlich der Pflichtverteidigung – noch ausgestaltet und mit der Anwaltschaft abgestimmt werden." Auch seitens der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hieß es, dass der Vorschlag nicht mit ihr abgestimmt worden sei.
Der DAV hatte bereits 2018 eine Anhebung des Tagessatzes der Haftentschädigung auf 100 Euro gefordert. Dass Buschmann die anwaltliche Interessenvertretung bei diesem Vorhaben bislang außen vor gelassen hat, ist daher überraschend.
Entschädigung für zu Unrecht verbüßte U-Haft am häufigsten
Das BMJ geht davon aus, dass jährlich bundesweit etwa 800 Menschen von den erhöhten Entschädigungsleistungen profitieren werden. Da Fälle unrechtmäßiger Strafhaft selten sind, betreffen die meisten Fälle Entschädigung für letztlich zu Unrecht verbüßte Untersuchungshaft, etwa wenn das Verfahren eingestellt wird oder die Betroffenen in der Hauptverhandlung freigesprochen werden.
Das Gesetzesvorhaben sieht Anpassungen nicht nur im StrEG, sondern auch in der Strafprozessordnung (StPO) und dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) vor. Gebilligt werden muss das Vorhaben vom Bundesrat. In der Länderkammer ist es sogar zustimmungspflichtig, denn bezahlen müssen die Entschädigungen grundsätzlich die Länder. Diese können lediglich in Fällen, in denen der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren geführt hat, vom Bund eine Erstattung verlangen.
Unterdessen rechnet Buschmann bei diesem Vorhaben anders als 2018 jedoch nicht mit Widerstand des Bundesrates. Er sagt: "Wir haben die Länder zu den Eckpunkten des Vorhabens vorab eingebunden." Auch deshalb hoffe er auf ein zügiges Gesetzgebungsverfahren.
Neben höheren Entschädigungszahlungen könnten auf die Justizressorts der Länder bald auch an anderer Stelle höhere Kosten zukommen: Ein Referentenentwurf aus dem BMJ sieht eine spürbare Anhebung der Anwaltsgebühren vor. Als Maßstab hierfür orientiert sich der Entwurf an der allgemeinen Einkommensentwicklung. Auch Gerichts- und Gerichtsvollzieherkosten sollen nach oben hin angepasst werden.
Mit Material von dpa
Gesetzentwurf aus dem BMJ: . In: Legal Tribune Online, 12.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54990 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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