Ein Zukunftsrat hat Reformen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgeschlagen. Etwa soll es bei mangelhaftem Programm "Geldstrafen" geben. Wolfgang Schulz sieht gute Ansätze, aber auch rechtliche Unmöglichkeiten und Kostentreiber.
Die für die Rundfunkordnung zuständigen Bundesländer haben einigen Mut bewiesen und mit dem Zukunftsrat ein externes Gremium gebeten, Vorschläge für eine Reform des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) vorzulegen. Auch wenn man sich natürlich nicht formal an die Ergebnisse bindet, kann doch ein gewisser Rechtfertigungsdruck entstehen, wenn man die erbetenen Vorschläge einfach ignoriert.
Die kürzlich vorgelegten Ergebnisse enthalten für geneigte Beobachter keine großen Überraschungen, was ein Vorteil ist, denn radikale Kurswechsel haben wenig Chancen, auf Einvernehmen im Länderkreis zu stoßen. Die Ausgangslage ist nicht nur politisch kompliziert, mit Bundesländern, in denen aktuell politische Parteien Zulauf haben, die dem ÖRR grundsätzlich feindlich gegenüberstehen und damit auch Rückhalt in der Bevölkerung finden, und bei traditionell generell unterschiedlichen Standortinteressen.
Auch rechtlich ist der Manövrierraum der Rundfunkkommission begrenzt. Auf der einen Seite hält das BVerfG an seiner Rechtsprechung fest, die den ÖRR als Voraussetzung dafür ansieht, dass überhaupt private Rundfunkveranstaltung möglich ist, ihm eine Bestands- und Entwicklungsgarantie zubilligt und in der letzten Entscheidung seine Bedeutung gerade auch im Internetzeitalter angesichts von Desinformation betont. Das Gericht sieht die Länder kollektiv in der Verantwortung, eine funktionsgerechte Finanzierung sicherzustellen. Europarechtlich setzt das Beihilferecht einen Rahmen für Auftrag, Finanzierung und Kontrolle des ÖRR.
Wenig Zukunft im Zukunftsbericht
In der kurzen Analyse der Ausgangslage greift der Rat Beobachtungen auf, die wissenschaftlich fundiert erscheinen, etwa was Risiken betrifft, die von Nachrichtenvermeidung und Fragmentierungstendenzen ausgehen. Der Wandel der Nutzung und die Notwendigkeit, digitale Plattformen zu bespielen, stehen im Mittelpunkt der Analyse. Dass der Rat Kultur als wichtiges "Alleinstellungsmerkmal" des ÖRR beschreibt, dürfte allerdings nicht nur private Kulturradios irritieren. Die Begrenzung des Angebotsauftrages auf Deutsche scheint dem Zukunftsrat zu Recht unverständlich, ist aber auch gar nicht geltende Rechtslage.
Recht wenig findet sich im Bericht zur Zukunft. Eine mittel- und langfristige Strategie für den ÖRR setzt eine Vorstellung davon voraus, welche gemeinwirtschaftlich finanzierten Dienste in 10 oder 20 Jahren benötigt werden, um ein "gesellschaftliches Gespräch" zu gewährleisten, das die Demokratie am Leben hält. Geht es um die Erstellung regionaler journalistischer Angebote, um Empfehlungssysteme, die sich an der Rolle der Nutzenden als Bürger:innen einer Demokratie orientieren oder um ganz andere Funktionen, für die es nicht-marktliche erbrachte Dienste braucht? In dieser Hinsicht – das muss man als Wissenschaftler selbstkritisch zugeben – hat allerdings auch die Forschung bislang wenig geliefert.
Wie sind vor diesem Hintergrund die Kern-Vorschläge der Kommission einzuschätzen?
Kulturwandel, Gehaltspopulismus, Digitale Technologien
Die Empfehlung zu "Digitalen Technologien", nämlich eine gemeinsame technische Lösung für ARD, ZDF und Deutschlandradio durch einen gemeinsamen Träger erarbeiten zu lassen, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Auch der Bedeutung eines Kulturwandels bei den Anstalten wird man kaum widersprechen können und es bleibt zu hoffen, dass bei den Ländern auch die Warnung vor einem "Gehaltspopulismus" (der wohlfeilen Forderung nach Absenkung der Gehälter des Spitzenpersonals) nicht ungehört verhallt; leider macht der Rat aber keinen Vorschlag dazu, woran sich funktionsgerechte Vergütungen beim ÖRR orientieren sollten.
Kulturwandel braucht viel Zeit und lässt sich nicht gesetzlich anordnen (beim Nachdenken über Konzepte dazu kann man sich, wenn man einen Sinn für Skurriles hat, am Song des NDR dazu erfreuen.
Bei den anderen Vorschlägen ist es komplizierter.
ARD als eigene Anstalt – Streit vorprogrammiert
Die Überlegung, aus der ARD als einer Arbeitsgemeinschaft eine eigene Anstalt zu machen, hat sicher einiges für sich. Aktuell ist schon die Frage, gegen wen sich ein Anspruch auf Gegendarstellung im Gemeinschaftsprogramm richtet, ein hausarbeitswürdiges Problem für Studierende. Rechtlich ließe sich der Vorschlag umsetzen und würde es auch leichter machen, die Verantwortlichkeit für Gemeinschaftsangebote zu organisieren.
Medienpolitisch stellt sich aber sofort die Frage, in welchem Bundesland die Anstalt sitzen soll. Da sich die Länder in der Vergangenheit schon wegen des Sitzes einer Geschäftsstelle der Medienanstalten mit einer Handvoll Mitarbeiter:innen in die Haare bekommen haben, mag man sich kaum vorstellen, wie die Diskussionen hier verlaufen.
Und vermutlich wird die Konstruktion zunächst die Kosten hochtreiben, auch wenn lang- und mittelfristig Rationalisierungsgewinne wahrscheinlich sind. Das kommt in Ländern, die jetzt auf (relative) Beitragsstabilität pochen, vermutlich nicht gut an. Und wenn man von der vom Zukunftsrat angedachten Möglichkeit Gebrauch macht, dass die ARD-Anstalt Aufgaben, Dienstleistungen und Kompetenzzentren an eine Landesrundfunkanstalt übertragen kann – so wie es heute bei "ARD Aktuell" (NDR) oder dem Sportrechtemanagement (BR) geschieht – könnte alles weitgehend beim Gleichen bleiben, nur aufwändiger und teurer.
Die künftige Intendant:in der ARD-Anstalt hätte allerdings dann anders als der jetzige ARD-Vorsitzende echte Gestaltungsmöglichkeiten; aktuell ist er oder sie darauf angewiesen, Konzepte bei Kolleg:innen beliebt zu machen. Und mit der Person sollte man sich gut stellen, hier ballt sich kommunikative Macht.
Geld streichen bei schlechtem Programm – rechtlich unmöglich
Dass der Rat die Idee einer Indexierung des Rundfunkbeitrags wieder belebt, erscheint hilfreich. Dabei geht es um ein System, das ohne Bedarfsanmeldungen durch die Anstalten auskommt, in dem die Beitragsanpassung an einen Index geknüpft wird und nicht und bei dem die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) nur noch nachträglich kontrolliert. Die Länder haben intern bereits Vorschläge dazu erarbeitet. Dass der Rat dies begrüßt, kann dem Prozess Rückenwind geben. Ein Vorteil wäre auch, die von Verfassungswegen grundsätzlich rein fachliche Entscheidung über die Beitragshöhe ein Stück weit zu entpolitisieren, da nicht jede Beitragsperiode alle Länderparlamente über die Beitragshöhe beschließen müssen.
Hier vermischen sich dann aber beim Zukunftsrat zwei an sich gute Ideen zu einer rechtlichen Unmöglichkeit. Die Qualität der Auftragserfüllung soll bei der Beitragsbemessung im Mittelpunkt stehen. Der Rat schlägt dazu Kriterien vor, nämlich etwa "Verlässlichkeit, Wahrhaftigkeit, Vielfalt, Innovation, Verständlichkeit, Transparenz und Zugänglichkeit". Das sind hilfreiche Topoi, die teilweise bei den Anstalten selbst auch in ihren Bewertungsmetriken herangezogen werden. Nur durch solche Prozesse wird sich das immer wieder beschworene öffentlich-rechtliche Profil weiter schärfen lassen.
Dass den Anstalten wie vom Zukunftsrat vorgeschlagen bei Schlechterfüllung, sozusagen als Sanktion, Beiträge abgezogen werden, wird sich allerdings rechtlich nicht umsetzen lassen. Sie haben einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung, und wenn der Angebotsauftrag gleich bleibt und eine bestimmte Summe erfordert, kann man den Anstalten nichts abziehen, weil sie schlecht gearbeitet haben. Und beihilferechtlich wird Überkompensation dem System wirksam entzogen werden müssen, auch wenn die Anstalten noch so gut gearbeitet haben. Der Rat kombiniert hier zwei Steuerungslogiken, die nicht zusammenpassen.
Zudem erscheint fraglich, ob die Länder diesen Weg der Qualitätskontrolle gehen wollen, nachdem sie gerade die bestehenden Gremien mit der Ausarbeitung von Qualitätskriterien aufgegeben haben.
Interne Governance – Mehr Kompetenz vonnöten
Die Vorschläge zu Zusammensetzung und Aufgaben des künftigen Medienrates sowie Verwaltungsrates der ARD sehen graduelle Veränderungen gegenüber den jetzigen Vorgaben für derartige Gremien vor.
Hier gibt es im Detail noch Diskussionsbedarf, etwa was die Rolle des Verwaltungsrates angeht, der Aufgaben der strategischen Kontrolle bekommen soll und insofern näher an die Inhalte heranrückt. Das bedarf anderer Qualifikationen als die der Finanzkontrolle und stellt so große Anforderung an Auswahl und Qualifikation der Mitglieder.
Umsetzung?
Ein großer Wert der Kommission liegt darin, Reformdruck aufzubauen. Das scheint – in Grenzen – gelungen zu sein. Auf ihrer Klausurtagung am 25./26. Januar 2024 in Bingen am Rhein haben sich die Bundesländer bereits auf Eckpunkte für eine Reform verständigt – allerdings mit einer kritischen Protokollerklärung Bayerns.
Direkt umgesetzt werden soll von den Vorschlägen wohl wenig, aber der Impuls wird aufgenommen. Die Erfüllung des Auftrags der Öffentlich-Rechtlichen soll bspw. wie vorgeschlagen durch gesetzlich festgelegte Qualitätsmaßstäbe und entsprechende Kriterien messbar gemacht und regelmäßig überprüft werden. Hierbei müssen laut Eckpunkten beispielsweise die Anteile an Information im Gesamtangebot und das Erreichen aller Zielgruppen von Bedeutung sein.
Eine neue ARD-Anstalt ist wohl nicht vorgesehen, innerhalb der ARD soll aber "Organisation an die Stelle aufwendiger Koordinierung" treten. Die Länder wollen den ARD-Staatsvertrag in diesem Sinne überarbeiten.
Das Wort "Index" vermeidet das Eckpunktepapier, aber die Bundesländer wollen im Zuge weiterer Reformen auch das Verfahren zur Beitragsfestsetzung unter Einbeziehung der Vorschläge des Zukunftsrates überprüfen.
Bayern geht das alles nicht weit genug. In der Protokollerklärung ist viel von "Verschlankung" die Rede, die auch beziffert wird: Fusion von 3sat zu einem Programm, mindestens 14 Hörfunkprogramme weniger, ein fester Anteil von Information an der Sendezeit der Hauptprogramme bei "Das Erste", ZDF und den Dritten in Höhe von 60 Prozent.
Dass es jetzt schon Protokollerklärungen einzelner Länder nicht nur zu Staatsverträgen, sondern auch zu Eckpunkten gibt, wirft allerdings kein gutes Licht auf die Konsensbereitschaft im Länderkreis.
Es bleibt spannend wie ein Tatort – wenn wir Glück haben, nicht mit an Quentin Tarantino erinnernden Szenen wie in der Folge "Im Schmerz geboren".
Prof. Dr. Wolfgang Schulz ist Inhaber des Lehrstuhls für Medienrecht, Öffentliches Recht und Rechtstheorie an der Universität Hamburg, Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut, Direktor des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft sowie Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für die Freiheit der Kommunikation und Information.
Vorschläge des Zukunftsrats zum Öffentlich-rechtlichen Rundfunk: . In: Legal Tribune Online, 01.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53770 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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