Der Bundespräsident hält weiterhin daran fest, die Fragen und Antworten von Journalisten zu seinen Affären um Kredite und Unternehmerfreundschaften nicht ohne deren Zustimmung zu veröffentlichen. Aber welche Angaben darf sein Rechtsanwalt machen? Und dürfen Anfragen von Journalisten veröffentlicht werden? Martin W. Huff versucht, die Diskussion zu versachlichen.
Die Affären um Christian Wulff nehmen kein Ende. Der derzeit zentrale Kritikpunkt ist die Weigerung seiner Anwälte, die 400 Fragen und Antworten offenzulegen, die der Bundespräsident rund um sein Privatdarlehen, den BW-Bankkredit, Unternehmerfreundschaften, Urlaubsreisen und viele andere Punkte gegenüber verschiedenen Medien beantwortet hat.
Angekündigt hatte Wulff völlige Transparenz, schließlich gab es eine zusammenfassende sechsseitige Darstellung des Sachverhalts. Medienanwalt Gernot Lehr begründete das am Mittwoch damit, er sei einerseits im Verhältnis zu seinem Mandaten zum Schweigen verpflichtet, andererseits aber würden auch das Recht am eigenen Wort sowie der Schutz der Rechercheergebnisse der Journalisten verletzt.
Der Unmut in der Politik wächst, die Vorsitzenden von Transparency International Edda Müller und des Deutschen Journalistenverbandes sagten ihre Teilnahme am Neujahrsempfang des Bundespräsidenten ab. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Peter Altmaier, wünschte sich gar, dass "Wulff seine Anwälte an die Leine legt und die Fragen/Antworten ins Netz stellt".
Es liegt allein an Christian Wulff
Tatsächlich aber gehen derartige Aufforderungen an der Sache vorbei. Es liegt allein in der Hand des Bundespräsidenten, zu entscheiden, was sein Anwalt nach außen sagen darf. Man darf sicher sein, dass zwischen Medienanwalt Lehr und Christian Wulff abgesprochen ist, was Lehr nach außen weitergeben darf und was nicht.
Die Verschwiegenheitspflicht, aber auch das Schweigerecht eines Rechtsanwalts sind hohe Güter im Rechtsstaat. Sie beruht auf dem Verständnis, dass jeder Bürger sich rechtlichen Rat einholen darf, ohne befürchten zu müssen, dass das, was der Rechtsanwalt weiß, irgendwie an die Öffentlichkeit kommt. Insbesondere staatlichen Stellen ist es verboten, zu versuchen, an Mandatsinformationen zu kommen.
Die Verschwiegenheit des Rechtsanwalts ist in § 43 Abs. 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) ausdrücklich geregelt. "Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Diese Pflicht bezieht sich auf alles, was ihm in Ausübung seines Berufs bekannt geworden ist…." heißt es dort kurz und knapp. Ergänzt wird dies durch § 2 der Berufsordnung der Rechtsanwälte (BORA).
Alles, was dem Anwalt in Ausübung seines Berufs bekannt geworden ist
Schon die Tatsache, dass jemand Mandant eines Rechtsanwalts ist, unterliegt von Seiten des Rechtsanwalts der Verschwiegenheit. Ohne die Zustimmung seines Mandanten darf er nicht einmal mitteilen, dass jemand sich bei ihm Rat geholt hat oder er ihn vertritt. Die Grenze der Verschwiegenheit ist erst dann erreicht, wenn der Anwalt für seinen Mandanten vor Gericht, also in der Öffentlichkeit auftritt.
Ausnahmen von dieser Pflicht zur absoluten Verschwiegenheit gibt es nur in wenigen Fällen, etwa wenn höherwertige Rechtsgüter einen Verstoß begründen können, also zum Beispiel Lebensgefahr für jemanden besteht, unter anderem auch für den Mandanten.
Mit dieser berufsrechtlichen Pflicht des Advokaten zur Verschwiegenheit korrespondiert sein Recht, das Zeugnis zu verweigern (§ 53 Nr. 3 der Strafprozessordnung). Der Anwalt darf sich, wenn er zum Mandat und seinem Inhalt befragt werden soll, auf dieses Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Dabei geht der Bundesgerichtshof sehr weit. Selbst all das, was der Anwalt etwa auch am Rande eines Prozesses erfahren hat, unterliegt dem Zeugnisverweigerungsrecht. Und der Rechtsanwalt, der gegen diese Pflichten verstößt, macht sich strafbar. Er erfüllt den Tatbestand des Geheimnisverrats nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 Strafgesetzbuch.
Ein Rechtsanwalt darf also ohne die Zustimmung seines Mandanten in keiner Weise an die Öffentlichkeit gehen und mitteilen, dass und wie er das Mandat führt. Beruft er sich auf dieses Recht, kann und muss er nicht von seinem Mandanten an die Leine genommen werden. Der Mandant, auch der Mandant Christian Wulff, kann ihn allenfalls von der Leine lassen – indem er seinen Vertreter von dessen Schweigepflicht entbindet.
Keine Veröffentlichung ohne die Zustimmung des recherchierenden Journalisten
Ganz ähnlich verhält es sich mit der Frage, ob selbst dann, wenn Wulff der Veröffentlichung der Anfragen von Journalisten und seinen Antworten zugestimmt hat, diese Fragen und Antworten überhaupt ohne Zustimmung der diversen Journalisten veröffentlicht werden dürfen, welche diese gestellt haben. Im Laufe des Donnerstags haben mehrere Medien erklärt, der Bundespräsident könne die von ihnen gestellten Anfragen und seine Antworten im Internet veröffentlichen. Am Freitag preschte dann die Springer-Presse vor und begann damit, ihre Fragen an Wulff und dessen Antworten ins Netz zu stellen. Dabei kann die Freigabe der Anfragen nur funktionieren, wenn es sich um Journalisten handelt, die einen Auftrag von einem Medium haben. Freie Journalisten etwa müssten ihre Zustimmung persönlich erteilen.
Ohne eine Zustimmung des betroffenen Journalisten dürfte die Veröffentlichung von Journalistenanfragen und –antworten jedenfalls nicht zulässig sein. Denn damit würden die eigene Recherche des Journalisten offenbart, seine Kenntnisse offen gelegt und eventuell auch Berufsgeheimnisse des Journalisten veröffentlicht.
Immerhin kann ein Journalist auf etwas gestoßen sein, was bisher noch niemand außer ihm weiß. Aufgrund etwa der strengen Grundsätze der Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Verdachtsberichterstattung ist der Journalist verpflichtet, dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, bevor er Informationen veröffentlicht. Könnte dieser seinerseits problemlos entsprechende Stellungnahme-Anfragen veröffentlichen, wären Recherchen ohne die Gefahr der Offenlegung nicht möglich. Der Betroffene könnte von sich aus jede Recherche durch die Offenlegung torpedieren. Dies stellt ein Spannungsverhältnis dar, zu dem es bisher kaum klare Rechtsprechung gibt.
Es gilt etwa unter Pressesprechern als sehr verpönt, wenn eine interessante, bisher nicht gestellte Journalistenanfrage vom Pressesprecher selber veröffentlicht wird, bevor der Journalist berichten kann. Dies geschieht auch sehr selten. Damit wird in seine Berufsausübung, unter anderem auch in seinen Geschäftsbetrieb, in einer unerlaubten Art und Weise eingegriffen. Eine solche Publikation kann unter Umständen sogar Schadensersatzpflichten desjenigen auslösen, der sie veröffentlicht.
Ausnahmen können hier nur gelten, wenn allgemein bekannte Tatsachen noch einmal veröffentlicht und zusammengefasst werden. Bei dieser Zusammenfassung werden keine konkreten Rechte verletzt. Ebendies haben die Anwälte des Bundespräsidenten mit der sechsseitigen Zusammenfassung auf ihrer Homepage getan. Hier wurden nur solche Sachverhalte veröffentlicht, die schon durch Presseveröffentlichungen bekannt waren. Sie enthält durchaus viele Details, die so bisher von vielen sicherlich nicht wahrgenommen wurden.
Wer darf die Veröffentlichung erlauben?
Schließlich sind auch Zweifel durchaus berechtigt, ob die mittlerweile erklärte pauschale Zustimmung einiger Medienhäuser zur Veröffentlichung ihrer Anfragen und der Wulff-Antworten an dieser rechtlichen Situation etwas ändert.
Man kann durchaus nach der Verhältnismäßigkeit solcher Forderungen fragen. Außerdem könnte neben dem ganz erheblichen Aufwand, den eine solche Selektion nach denjenigen Medien, die ihre Zustimmung erteilt haben, mit sich brächte, möglicherweise gerade durch die Auswahl ein verzerrtes Bild entstehen.
Und schließlich müsste, damit überhaupt eine wirksame Zustimmung vorläge, die allein eine Veröffentlichung rechtfertigen könnte, vorab geklärt werden, welche Journalisten als freie Mitarbeiter und welche als Angestellte von Verlagshäusern Anfragen gestellt haben. Die Zustimmung durch die Medienhäuser dürfte nämlich jedenfalls für die freien Journalisten nicht ohne Weiteres gelten. Das eigene Wort des Journalisten und der Schutz seiner
Rechercheergebnisse sind ihre eigenen Rechte, die nicht einfach von ihrem Auftraggeber wahrgenommen werden können.
Jenseits aller politischen Fragen sind die rechtlichen Argumente von Wulff-Anwalt Lehr dafür, dass er nicht alle Pressefragen und die Antworten so einfach ins Netz gestellt hat, also durchaus tragfähig. An dieser rechtlichen Einschätzungen ändert sich zunächst auch dadurch nichts, dass nun berichtet wird, Wulff-Anwalt Lehr habe bereits im Dezember einzelne Anfragen der Presse veröffentlicht. Und gerade Journalisten sollten hier mit Blick auf die Zukunft und ihre eigenen Recherchen sehr vorsichtig sein mit ihrer Forderung nach mehr Transparenz.
Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in Leverkusen und Lehrbeauftragter für Medienrecht an der Forschungsstelle für Medienrecht der FH Köln. Er war Pressesprecher des hessischen Ministeriums der Justiz.
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Martin W. Huff, Wulffs Nicht-Auskünfte: . In: Legal Tribune Online, 13.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5291 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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