Bis zu 25 Zentimeter Neuschnee in einer Nacht, Schneeverwehungen, steckengebliebene Fahrzeuge. Der Winter hat Deutschland fest im Griff. Was aber, wenn Verkehrszeichen verschneit sind und damit ihr Regelungsgehalt nicht mehr erkennbar ist? Muss der Autofahrer sich an etwas halten, was er gar nicht wissen, weil nicht lesen kann?
Seit der Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 1967 (BVerwGE 27, 181) ist die Rechtsnatur von Verkehrszeichen geklärt: Es handelt sich um Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen (vgl. § 35 Satz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes, VwVfG). Das Verkehrszeichen regelt den Verkehr also ähnlich wie ein Polizeibeamter, nur etwas "statischer" (so Rebler in "Deutsches Autorecht" 2010, Seite 381).
Ein Verwaltungsakt wird nur wirksam und damit für den Adressaten verbindlich, wenn er ihm bekannt gegeben worden ist (§ 43 Abs. 1 VwVfG).
Der Verwaltungsakt "Verkehrszeichen" äußert seine Rechtswirkungen damit gegenüber jedem davon betroffenen Verkehrsteilnehmer, wenn das Zeichen so aufgestellt ist, dass es ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) erforderlichen Sorgfalt schon mit einem raschen und beiläufigen Blick erfassen kann. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es dabei nicht an (Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 13.03.2008, Az. 3 C 18.07).
Es gilt, was sichtbar ist oder bekannt
Es liegt nahe, dass in diesem Zusammenhang der Sichtbarkeitsgrundsatz entscheidend ist: Verkehrsbeschränkende Anordnungen sind nur für denjenigen Verkehrsteilnehmer wirksam und verbindlich, dem sie auf seinem Weg in Gestalt sichtbarer Verkehrszeichen begegnen. Sind die Zeichen hingegen durch Abnutzung oder Witterungsbedingungen derart unkenntlich, dass sie nicht mehr erkennbar sind, verlieren sie ihre Wirksamkeit. So eben auch, wenn ein Schild völlig verschneit ist (OLG Hamm, Beschl. v. 30.09.2010, Az. III-3 RBs 336/09).
Der Sichtbarkeitsgrundsatz gilt aber nicht uneingeschränkt: Wer den Regelungsgehalt eines Verkehrszeichens kennt, etwa weil er nachweislich tagtäglich daran vorbeifährt, kann sich nicht darauf berufen, dass er die Anordnung des Zeichens wie zum Beispiel ein Tempolimit nicht erkennen konnte, weil das Zeichen verschneit war. Dasselbe gilt für Verkehrszeichen, die allein schon aufgrund ihrer Form erkennbar sind wie zum Beispiel das Stoppschild.
Unabhängig von dieser Rechtslage dürften winterliche Straßenverhältnisse es ohnehin meist unmöglich machen, überhaupt anders als äußerst zurückhaltend zu fahren. Schon im eigenen Interesse sollte jeder Verkehrsteilnehmer besondere Vorsicht walten lassen. Wer dennoch "geblitzt" wird, weil er das Tempolimit eines verschneiten Verkehrszeichens nicht erkennen konnte, sollte ein Beweisfoto von dem verschneiten Schild machen, um in einem späteren Bußgeldverfahren belegen zu können, dass der Regelungsgehalt des Zeichens nicht sichtbar war.
Der Autor Dr. Alfred Scheidler ist Oberregierungsrat in Neustadt an der Waldnaab und Autor zahlreicher Publikationen zum öffentlichen Recht, insbesondere zum Verkehrsrecht.
Alfred Scheidler, Winterchaos auf deutschen Straßen: . In: Legal Tribune Online, 17.12.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2175 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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