Immer wieder entstehen Konflikte, wenn die Polizei in sozialen Medien über Versammlungen informiert. Zwar hat das BVerfG Maßstäbe zur staatlichen Öffentlichkeitsarbeit entwickelt, doch es fehlen konkrete Regeln, erklärt Carsten Schier.
Die Echtzeitberichterstattung der Polizei bei Versammlungen über ihre Einsätze löst regelmäßig Kontroversen aus: So berichtete der NDR jüngst im Reportageformat "Panorama" über Klimaproteste in Hamburg. Kern der Berichterstattung waren allerdings nicht der Protest und das zugrundeliegende Anliegen. Vielmehr wurde erörtert, wie die Polizei über das Versammlungsgeschehen in sozialen Medien berichtete: Bei der Räumung einer blockierten Brücke, so behauptete die Polizei auf Twitter, sei die Polizei mit Pfefferspray aus der Versammlung heraus angegriffen worden. Laut Bericht des NDR ließ sich dies jedoch nicht belegen.
Wie sich einzelne derartige Ereignisse tatsächlich darstellten, lässt sich im Nachgang selten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sagen, insbesondere bei dynamischen Versammlungsgeschehen. Es stellt sich aber die Frage, ob die Polizei bei einer derart unsicheren Tatsachenlage überhaupt in sozialen Medien berichten darf. Bemerkenswert – das lässt sich vorwegnehmen – ist das Fehlen einer formell-gesetzlichen Grundlage für solche Verlautbarungen.
Die Polizeibehörden nutzen seit einigen Jahren soziale Medien für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Im Jahre 2018 berichtete das Medienmagazin ZAPP, dass sie in Deutschland über 330 Profile betreiben. Es ist nicht zu erwarten, dass die Behörden ihre Präsenz auf den Digitalplattformen zurückfahren. Zwischen den Polizeibehörden bestehen Unterschiede, welche und wie viele Plattformen genutzt werden. Vorwiegend nutzt die Polizei Twitter und Facebook. Seltener berichtet sie über ihre Arbeit bei YouTube, Snapchat oder Instagram. In Nordrhein-Westfalen verwenden beispielsweise alle 50 Polizeibehörden soziale Medien, in Thüringen besteht hingegen nur ein Account für die gesamte Landespolizei.
Es ist freilich kein neues Phänomen, dass die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit in die Kritik gerät. In der Vergangenheit kursierte bereits nachweislich eine polizeiliche Falschmeldung in sozialen Medien. Die Polizei Berlin berichtete auf Twitter über den "Türknauf des Todes", einen Handknauf, der laut der Polizei in einem besetzten Haus unter Strom gesetzt worden sei. Die eingesetzten Beamtinnen und Beamten seien deshalb in Lebensgefahr gewesen. Tatsächlich lag nie Strom an, der Türknauf war ungefährlich, was die Polizei rund zwei Stunden nach den ersten Tweets auch einräumte. Rundfunk und Presse hatten die Meldung jedoch – offenbar ungeprüft – bereits aufgegriffen und in den Nachrichten verbreitet.
Sachlich, richtig und neutral
Seitdem wird immer wieder diskutiert, welche rechtlichen inhaltlichen Grenzen für die Polizei gelten, wenn sie in sozialen Medien über Versammlungen berichtet. Die Rechtsprechung, vor allem das Bundesverfassungsgericht, hat zur staatlichen Öffentlichkeitsarbeit einen prominenten Dreiklang verfassungsrechtlicher Prinzipien entwickelt. Danach muss ein staatlicher Funktionsträger sachlich, richtig und neutral berichten. Diese einzelnen Maßstäbe lassen sich allerdings nicht trennscharf voneinander abgrenzen. Für die Polizei gilt zudem eine Aufgabenakzessorietät, die das Thema begrenzt, über das berichtet werden darf. In anderen Worten: Die Polizei darf nur zu Sachverhalten Stellung beziehen, die ihr thematisch von Gesetzes wegen zugeordnet sind. Dies stellt bei der Sicherung und Begleitung von Versammlungen als polizeiliche Aufgabe kein Problem dar.
Art. 8 Abs. 1 GG konturiert bei polizeilichen Berichten über Versammlungen objektiv-normativ das Neutralitätsgebot. Danach muss die Polizei sich bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit unparteiisch verhalten. Denn sie ist im Versammlungsgeschehen bereits durch ihre physische Präsenz involviert. Durch diese besondere Nähe besteht die Gefahr, dass emotional-influenzierende Verlautbarungen in sozialen Medien Konflikte hervorrufen. Die Versammlungsfreiheit sieht indessen vor, dass ein freies Spiel der gesellschaftlichen Kräfte wirken kann, solange dies sich im Rahmen der gesetzlichen Grenzen bewegt. Daraus folgt eine besondere Zurückhaltung staatlicher Akteure gegenüber der Versammlung. So verbieten sich vor allem Wertungen über die Legitimität des Protestanliegens.
Das Sachlichkeits- und Richtigkeitsgebot erfordert bei Berichten über das Versammlungsgeschehen zunächst eine hinreichende Aufklärung. Konkret bedeutet das: Bevor die Polizei einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein bestimmtes – vor allem strafbares – Verhalten vorwirft, muss dieser Vorwurf auf einer gesicherten Tatsachengrundlage beruhen. Dafür wird es regelmäßig nicht genügen, wenn die Pressestelle der Polizei etwa allein aufgrund von Funksprüchen einzelner Polizistinnen und Polizisten ohne weitere Prüfung berichtet. Es liegt auf der Hand, dass gerade bei unübersichtlichen und dynamischen Versammlungslagen schnell Missverständnisse innerhalb der Polizei und gegenüber der Versammlung auftreten können. Im Zweifelsfall darf die Behörde Informationen in sozialen Medien nicht verbreiten, wenn die Tatsachenlage unklar ist. Zu groß ist die Gefahr, dass eine Versammlung aufgrund des ihr zu Unrecht vorgeworfenen Verhaltens diskreditiert wird.
Weiterhin ergibt sich die Sorgfaltspflicht der Polizei durch die Langlebigkeit der publizierten Informationen. Denn die sozialen Medien zeichnen sich durch ihre Breitenwirkung, Persistenz und leichte Auffindbarkeit von Informationen aus. Einmal im Internet veröffentlicht, lassen sich Berichte nicht mehr wirksam kontrollieren. Sie entwickeln ein Eigenleben. Im schlimmsten Falle werden Fehlinformationen rasch durch andere Medien weiterverbreitet. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass Rundfunk und Presse Polizeiberichte als "privilegierte Quelle" ansehen. Die Polizei genießt in aller Regel einen Vertrauensvorschuss. Deshalb trifft sie eine erhöhte Sorgfaltspflicht, wenn sie eine Echtzeitberichterstattung betreibt. Ein vermeintliches Bedürfnis an rascher Informationsversorgung der Bevölkerung kann nicht die strengen rechtlichen Bindungen relativieren. Nicht die Interaktionslogik der sozialen Medien ist der Maßstab, sondern die Grundrechtsbindung des Staates.
Keine gesetzliche Grundlage, stattdessen Einzelfälle vor den Verwaltungsgerichten
Der Rückgriff auf verfassungsrechtliche Prinzipien ist dem Umstand geschuldet, dass bislang für die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Medien eine einfachgesetzliche Normierung in Gestalt eines Parlamentsgesetzes aussteht. So prägen lediglich Erlasse und andere Verwaltungsvorschriften als rechtliche Vorgaben diese Öffentlichkeitsarbeit. Dabei ließen sich die verfassungsrechtlichen Güterabwägungen, die der Bewertung dieser Handlungsformen zugrunde liegen, durch den Gesetzgeber konkretisieren. Es wäre vorstellbar, dass die Polizei- oder Versammlungsgesetze um eine Standardmaßnahme der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Medien ergänzt werden. So ließe sich für Polizei und Bürger ein nachvollziehbarer Rahmen schaffen. Idealerweise würde im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses auch jenseits der polizeilichen Praxis und Rechtswissenschaft diskutiert, welche Rolle die Polizei in sozialen Medien einnehmen soll und darf. Dabei stellt sich die Frage, ob man eine allgemeine gesetzliche Grundlage für die Nutzung sozialer Medien schafft oder ausschließlich eine, die für Versammlungen gilt. Wenn die Entscheidung zugunsten einer umfassenden Regelung ausfiele, müsste auch diskutiert werden, ob versammlungsbezogene Verlautbarungen als "polizeifest" einzustufen sind und daher in den Versammlungsgesetzen zu normieren wären.
Solange eine einfachgesetzliche Normierung aussteht, müssen sich die Verwaltungsgerichte weiterhin mit dem Thema befassen. So hat beispielsweise das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) im Jahre 2019 entschieden, die Polizei dürfe in sozialen Medien keine Bilder von Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern für ihre Öffentlichkeitsarbeit nutzen. Kern der Argumentation waren die Abschreckungseffekte, die von einem polizeilichen Kameraeinsatz bei einer Versammlung ausgehen können. Darin kann ein nicht gerechtfertigter Grundrechtseingriff in die Versammlungsfreiheit liegen. Eine Grundsatzentscheidung steht noch aus. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hätte in dem genannten Verfahren als Revisionsinstanz fachinstanzlich das letzte Wort gehabt. Allerdings erging ein Einstellungsbeschluss, nachdem die Revision zurückgenommen wurde (BVerwG, Beschl. v. 16.10.2020 – 6 C 24.19, nicht veröffentlicht).
Es verwundert kaum, dass sich die Konflikte bei Versammlungen entzünden. Zum einen neigt die Polizei dazu, bei diesen eine Echtzeitberichterstattung zu betreiben. Diese Art der Öffentlichkeitsarbeit ist durch die schnelle Informationsweitergabe fehleranfällig. Zum anderen birgt eine Versammlung immer ein Konfliktpotenzial mit der Polizei. So wird die Selbst- und Fremdwahrnehmung von Polizei und Versammlung stets von Widersprüchen geprägt sein.
Je mehr die öffentliche Diskurssphäre sich in digitale Räume verschiebt, desto dringlicher ist es, dass die rechtlichen Vorgaben für diesen Bereich "mitwachsen". Die Polizeibehörden nutzen seit geraumer Zeit soziale Medien. Sie sind zu einem Standardwerkzeug der Polizeiarbeit geworden. Es müssten daher bindende und gesellschaftlich akzeptierte Vorgaben geschaffen werden.
Dr. Carsten Schier hat zur versammlungsbezogenen Öffentlichkeitsarbeit der Polizei in sozialen Medien promoviert. Seine Dissertation "Konflikte mit der Versammlungsfreiheit bei polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Medien" ist im Nomos-Verlag erschienen.
Sachlich, richtig, neutral?: . In: Legal Tribune Online, 29.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49769 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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