2/2: Unionsweite Listen bei der Europawahl
Zur Europawahl selbst äußert sich vor allem die FDP. Sie setzt sich dafür ein, dass die europäischen Fraktionen künftig mit staatenübergreifenden Listen antreten. Bisher entscheiden die Unionsbürger über ihre Vertreter aufgrund nationaler Listen und Wahlregeln. Das Unionsrecht legt nur die Wahlgrundsätze fest. "Deshalb gibt es auch unterschiedliche Sperrklauseln und Wahltermine", erklärt Europawahlrechtler Frank Bätge.
Im Europaparlament selbst werden bereits konkrete Vorschläge für die Einführung europäischer Wahllisten diskutiert. Der liberale Abgeordnete Andrew Duff aus Großbritannien hatte 2010 im Verfassungsausschuss einen Vorschlag vorgelegt, nach dem zusätzlich zu den nationalen Listen eine länderübergreifende Liste eingeführt werden soll. Jede europäische Fraktion soll dafür 25 Kandidaten vorschlagen, die aus mindestens einem Drittel der Mitgliedstaaten stammen. Die Wähler hätten dann zwei Stimmen – eine für die nationale und eine für die europaweite Liste. Das Parlament würde sich um die 25 europaweit gewählten Abgeordneten vergrößern.
Duff sieht darin den Kern eines "postnationalen Europas". Bätge gibt allerdings zu bedenken, dass dadurch zwei Klassen von Parlamentariern entstehen könnten. Die Hoffnung des Briten, dass eine solche Reform bereits für die Wahl 2014 gelten könnte, hat sich nicht erfüllt. Das Plenum verwies seinen Vorschlag zurück an den Ausschuss.
"Wer weiß derzeit schon, wer sich hinter der EVP oder der S&D verbirgt?"
"Als 1979 die Direktwahl der Europaabgeordneten eingeführt wurde, war das ein großer Schritt", so Bätge. "Vorher wurden die Abgeordneten ja von den nationalen Parlamenten entsandt." Schon damals habe man sich aber für eine weitere Vereinheitlichung der Europawahl ausgesprochen.
Europaweite Listen und ein damit einhergehender länderübergreifender Wahlkampf hätten viele Vorteile, so der Kölner Juraprofessor. "Es würde die Wahl transparenter machen. Jetzt führen ja die nationalen Parteien den Wahlkampf. Ob diese sich nachher mit ihren Forderungen in den europäischen Fraktionen durchsetzen können, ist eine ganz andere Frage und für die Wähler kaum nachvollziehbar." Bisher würden viele Wähler die europäischen Fraktionen außerdem kaum kennen. Wer wisse denn schon, wer sich hinter der EVP oder der S&D verbirgt? Ein eigener Wahlkampf könnte daran etwas ändern.
Die ausschließliche Einführung europaweiter Listen für die Wahl aller Abgeordneten wäre nicht nur eine sehr weitreichende Forderung, sondern auch wahltechnisch kompliziert. Derzeit hat jeder Mitgliedstaat nämlich ein bestimmtes Kontingent an Abgeordneten. "Das muss so sein, weil die EU eine supranationale Organisation ist mit den Mitgliedstaaten als Vertragspartnern, deren unterschiedliche Einwohnerzahl sich in den Institutionen widerspiegeln muss", erklärt Bätge. Diese Kontingente mit unionsweiten Listen in Einklang zu bringen, ist keine einfache Aufgabe.
Für eine Reform der aktuellen Regeln bräuchte es außerdem eine Vertragsänderung. "Das ist ein sehr aufwändiges Verfahren." Bätge erwartet deshalb nicht, dass die Verträge nur für eine Reform des Europawahlrechts geändert werden. Sollte es aber sowieso zu einer Überarbeitung kommen, könnten diese Vorschläge aufgegriffen werden.
Europäische Bürgerinitiative
Neben Parlament und Ministerrat können seit dem Vertrag von Lissabon auch die Unionsbürger die Kommission dazu auffordern, ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten – und zwar über die europäische Bürgerinitiative. Dazu müssen mindestens eine Millionen Unterschriften aus mindestens sieben Mitgliedstaaten zusammenkommen. Insoweit ist eine Forderung der Piraten bereits erfüllt. Die Partei will, dass Bürger Gesetzgebungsprozesse auch stoppen und Änderungen der EU-Verträge nur dann in Kraft treten können, wenn die Bürger sie in europaweiten, zeitgleichen Abstimmungen befürwortet haben.
Auch die Grünen wollen die europäische Bürgerinitiative zu einem Volksentscheid – also einer verbindlichen Abstimmung über einen Rechtsakt – ausbauen. Beide Parteien setzen sich auch für mehr direkte Demokratie auf nationaler Ebene ein.
Europarechtler Nettesheim gehen diese Vorschläge eindeutig zu weit. "Man sollte erst einmal Erfahrungen mit den bestehenden Instrumenten sammeln." Erfolgreich abgeschlossen ist nach Angaben der Kommission bisher keine der eingereichten Bürgerinitiativen.
FDP: Am Ende ein europäischer Bundesstaat
"Die Europäische Bürgerinitiative, wie es sie heute gibt, ist eher ein Minderheiten-Instrument. Die Mehrheit engagiert sich da momentan nicht." In der Tat befassen sich laufende Initiativen mit Themen wie Tempo 30 in Städten, dem Ausstieg aus der tierexperimentellen Forschung und dem Ökozid. Für großes Aufsehen sorgte dagegen Anfang des Jahres eine Initiative gegen die Privatisierung der Wasserversorgung.
Der Tübinger Juraprofessor befürchtet, dass eine Bürgerinitiative, wie sie die Piraten fordern, zu einer Spaltung Europas führen könnte. "Ich glaube nicht, dass es Europa gut tun würde, wenn mit einem solchen Instrument harte Entscheidungen getroffen werden können."
Die FDP sieht am Ende der Entwicklung der EU einen europäischen Bundesstaat, legitimiert durch eine europaweite Volksabstimmung – eine Forderung, mit der Politiker sonst eher vorsichtig umgehen. Allerdings ist auch Nettesheim überzeugt: "Das wird die Grundtendenz sein. Die Finanzkrise ist aktuell zwar ein Hindernis. Aber wir werden den Weg weitergehen in Richtung Supranationalisierung."
Wahlprogramme – Teil 1: Mietdeckelung und Maklerkosten
Wahlprogramme – Teil 2: Die Unabhängigkeit der Staatsanwälte
Claudia Kornmeier, Wahlprogramme – Teil 3: . In: Legal Tribune Online, 05.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9277 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag