Zuletzt sorgte der Rüstungsdeal mit Algerien für Empörung. Der Bundeswirtschaftsminister will deshalb künftig weniger Rüstungsexporte genehmigen. Dabei kann er schon jetzt jede Ausfuhr von Rüstungsgütern untersagen – und ist dabei recht frei in seiner Entscheidung. Vor Gericht wehren können sich die Unternehmen dagegen nur schwer, trotzdem sollten sie es versuchen, meint Viktor Winkler.
"Rheinmetall rüstet Algerien auf", war nur eine der Überschriften, in denen die Medien nach Bekanntwerden des Geschäfts ihre Empörung darüber ausdrückten. Ob Russland, Saudi-Arabien oder Algerien – immer taugt die Lieferung von deutschen Rüstungsgütern zum kleinen, aber feinen Skandal. Im Fall von Algerien soll es, wie das Handelsblatt im Juni – immerhin als Top-Meldung – herausgefunden haben will, um die Produktion und Lieferung von 980 Panzern des Typs "Fuchs 2" gehen. Auftragsvolumen: 2,7 Milliarden Euro. Genehmigt noch von der alten Bundesregierung. Das erregt den Volkszorn.
Dabei scheint es gar nicht oder nicht nur darum zu gehen, dass Waffen an "Schurkenstaaten" verkauft werden. Der Produktion von Waffen und Munition haftet ganz generell etwas Verbotenes, Unanständiges an. So denkt offenbar die Mehrheit der Bevölkerung, die aber zugleich jederzeit sicher sein will gegen gewaltsame Bedrohungen von Innen und Außen. Die Politik kennt diese Aversion gegenüber Rüstungsgütern bei den Wählern und gibt ihr bisweilen gerne nach, allen voran zuletzt der neue Bundeswirtschaftsminister, der ein gutes Gefühl für die Gefühle der Wähler hat. Er hat angekündigt, bei der Genehmigung von Rüstungsexporten spürbar "restriktiver" vorgehen zu wollen. Man hört, der Minister wolle einen Kurswechsel zur Praxis der Vorgängerregierung herbeiführen.
Exekutive genießt besorgniserregende Freiheiten
Bekanntlich ist weder die Produktion noch die Ausfuhr von deutschen Rüstungsgütern illegal. Wer meint, beides sei moralisch verwerflich, muss sich fragen, ob er auf Landesverteidigung verzichten will – und ob er anderen Staaten vorschreiben möchte, in welchem Maß diese darauf verzichten sollen. Rechtlich bewegt sich die Rüstungsindustrie in Deutschland jedenfalls in einem besonders engen Korsett, vor allem wenn sie – wie inzwischen jeder Mittelständler – ihre Produkte ins Ausland exportieren möchte.
Die Ausfuhr von Rüstungsgütern regelt ein auf den ersten Blick nicht leicht zu durchschauendes, engmaschiges Netz aus Gesetzen: Grundgesetz, Außenwirtschaftsgesetz, Außenwirtschaftsverordnung, Ausfuhrliste, Kriegswaffenkontrollgesetz, Dual-Use-Verordnung, interne Richtlinien der Bundesregierung, EU-Abkommen. Außerdem ist streng zu unterscheiden zwischen Güterklassen: zivile Güter, Dual-Use-Güter, sonstige Rüstungsgüter, Kriegswaffen. Je nach der Art der Güter gestaltet sich das Genehmigungsverfahren nämlich anders. Die Abgrenzung zwischen den Güterklassen ist zudem oft besonders schwierig, für Juristen wie für Unternehmer.
Und es wird noch komplizierter. Eine beeindruckende Zahl von Behörden ist involviert, und das potentiell bei nahezu allen in Frage kommenden Genehmigungsverfahren: das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, das Bundeswirtschaftsministerium, das Bundesministerium der Verteidigung, das Auswärtige Amt sowie der Bundessicherheitsrat.
So weit, so gut. Rüstungsgüter müssen nunmal streng reguliert werden. Weniger bekannt ist, dass die Exekutive im Bereich Rüstungsexporte eine besorgniserregende Freiheit genießt. So ungebunden wie hier dürfte die Politik in keinem anderen Bereich vorgehen können. Das beginnt mit der Öffentlichkeit, oder moderner gesprochen: mit der Transparenz, immerhin eine Säulenheilige des modernen Rechtsstaats. Der Bürger erfährt weder vom Antrag auf Ausfuhr noch vom folgenden Verfahren und dessen Ausgang. Die Bundesregierung hat hier soeben eine "Verbesserung" beschlossen. Der Abstand zwischen Information der Öffentlichkeit und ergangener Genehmigungsentscheidung ist jetzt kürzer geworden. Man kann nur darüber schmunzeln, wenn einige darin tatsächlich ein Mehr an Transparenz sehen.
2/2: Klaffende Rechtsschutzlücke
Bedenklicher als der Mangel an Transparenz (für den es gute Gründe gibt), ist der Mangel an Rechtsschutz. Das beginnt mit der Genehmigung selbst. Ihr bedarf, wer Rüstungsgüter ausführen möchte. Schwer schlucken muss der Verwaltungsrechtler schon bei dem Umstand, dass der Bundeswirtschaftsminister eine Ausfuhr im Einzelfall auch dann untersagen kann, wenn das Bundesamt eben diese Ausfuhr zuvor genehmigt hat. Endgültig problematisch wird es freilich dadurch, dass Gerichte diese sehr weitgehende Befugnis nicht auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen können – der Minister hat hier einen weiten Beurteilungsspielraum.
Ein Grund für Besorgnis? Ja, weil es hier nicht nur um die Unternehmen geht. Wen die hier betroffenen Arbeitsplätze (es dürften etwa 250.000 in der Branche sein) nicht umtreiben, sollte zumindest mit Blick auf den Rechtsstaat die Stirn in Falten legen. Ein Jurist muss lange überlegen, in welchem Bereich des Rechts eine so eingriffsintensive Ermächtigung für die Exekutive ohne gerichtliche Nachprüfungsmöglichkeit besteht.
Sorgen bereitet, dass es um erhebliche Grundrechtseingriffe geht. Auslandsgeschäfte haben in der Branche regelmäßig ein großes Volumen. Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, leben daher von solchen Exporten (der Exportanteil der Branche beträgt etwa 40 Prozent). Umfassende Vertragsverhandlungen sind die Regel, die Transaktionskosten meist enorm. Das Bundeswirtschaftsministerium kann gleichwohl das genehmigte Geschäft unterbinden, ohne dass die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung überprüft werden kann – es sei denn auf Willkür und andere außergewöhnliche Fehler, die regelmäßig nicht nachzuweisen sind (oder schlicht nicht gemacht werden).
Bundessicherheitsrat tagt im Verborgenen
Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Bereits die konventionelle Genehmigung selbst geht im Strudel der angeblich nicht gerichtlich überprüfbaren Entscheidungen unter: Ausfuhrgenehmigungen werden gemäß § 8 Abs. 1 Außenwirtschaftsgesetz erteilt, wenn zu erwarten ist, dass die Sicherheit der Bundesrepublik oder auswärtige Interessen nicht oder nur unwesentlich gefährdet werden oder wenn das volkswirtschaftliche Interesse überwiegt. Sicherheit der Bundesrepublik und auswärtige Interessen fallen regelmäßig in den gerichtlich nicht überprüfbaren Bereich. Anders als im sonstigen besonderen Verwaltungsrecht üblich, soll zudem nicht einmal die "Gefahr" für diese Interessen gerichtlich überprüfbar sein. Gleiches gilt wohl für das "volkswirtschaftliche Interesse", das übrigens gerade nicht mit dem wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers entsprechen soll.
Bei politisch brisanten Entscheidungen sind die Antragsteller ohnehin dem Bundessicherheitsrat ausgeliefert. Dieser Kabinettsausschuss aus Bundeskanzlerin und einschlägigen Ministern (Auswärtiges, Inneres, Justiz, Finanzen, Wirtschaft, Verteidigung, wirtschaftliche Zusammenarbeit) entscheidet über politisch brisante Rüstungsexportanträge. Auch hier stehen Macht und Kontrolle in einem Verhältnis, dass einem ganz schwindelig wird. Bekannt ist der Bundessicherheitsrat praktisch nur Experten. Er tagt – die Formulierung sei erlaubt – tatsächlich im Verborgenen, denn seine Beschlüsse sind geheim und die Ablehnung einer Genehmigung ergeht zum Schluss nicht durch ihn, sondern die jeweils für das Genehmigungsverfahren formal zuständige Behörde.
Der Bundessicherheitsrat entscheidet über diese politisch relevanten Ausfuhren, ohne dass irgendwo festgeschrieben wäre, was politisch relevant ist und in welchem Verfahren eine Entscheidung darüber getroffen wird – in keinem der einschlägigen Ausfuhrgesetze wird der Bundessicherheitsrat auch nur erwähnt. Im Grundgesetz (GG) ist der Bundessicherheitsrat nicht vorgesehen. Art. 26 Abs. 2 GG legt die Entscheidung über die Ausfuhr von Kriegswaffen ausdrücklich in die Hand "der Bundesregierung" und nicht in jene eines Bundessicherheitsrates, in dem überdies der Generalinspekteur der Bundeswehr beratende Funktionen wahrnimmt und der Chef des Bundespräsidialamts einen Beobachterstatus hat.
Unternehmen sollten gegen versagte Genehmigungen klagen
Dieses Rechtsstaatsloch kann niemand wollen. Zur deutschen Wirtschaft gehört auch die deutsche Rüstungswirtschaft. Und zum Rechtsstaat gehört, dass die Exekutive nicht völlig ungebunden sein darf, zu keinem Zeitpunkt, an keiner Stelle und ganz gleich, wie berechtigt die politischen Anliegen sind.
Natürlich gibt es wenige Bereiche, die politischer sind. Und natürlich geht es um Sicherheit, national wie international. Aber das darf den Rechtsschutz nicht aushöhlen. Mit Art. 19 Abs. 4 GG, also der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes gegenüber dem Staat, ist die gegenwärtige Praxis nicht vereinbar.
Unternehmen sollten künftig gegen versagte Genehmigungen klagen, damit spätestens in Karlsruhe, vielleicht aber schon in Leipzig oder bei einem Verwaltungsgericht dieses eklatante Rechtsschutzdefizit einmal auf den Prüfstand kommt. Ein wenig Mut ist dafür schon nötig. Erdrückend scheint die Phalanx aus politischem Gegenwind und Beurteilungsspielraum der Bundesregierung. Und doch: Wütend darüber, dass das Exportkontrollrecht ein juristisches Bermuda-Dreieck ist, dürfen getrost auch die "Gegner" der Rüstungsindustrie sein. Denn wenn Martin Luther King Recht hatte, trifft und betrifft auch dieses Bermuda-Dreieck uns alle: "Injustice anywhere is a threat to justice everywhere."
Der Autor Dr. Viktor Winkler LL.M. (Harvard) ist Rechtsanwalt für öffentliches Wirtschaftsrecht bei der internationalen Kanzlei Bird & Bird in Frankfurt am Main.
Dr. Viktor Winkler LL.M. (Harvard), Genehmigung von Rüstungsexporten: Im Verborgenen . In: Legal Tribune Online, 02.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12421/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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