Studiengebühren gibt es im Freistaat bereits seit vier Jahren. Die Freien Wähler wollen dies mit einem Volksbegehren ändern. Zwar stellte sich das Innenministerium erst einmal quer und verwies auf das Budgetrecht des Parlaments; der Bayerische Verfassungsgerichtshof machte nun aber überraschend den Weg frei für mehr direkte Demokratie, meint Enrico Peuker.
"Unverhofft kommt oft", mochte sich der bayerische Innenminister gedacht haben, als der Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) am Montag seine Entscheidung über das Volksbegehren zur Abschaffung von Studienbeiträgen sprach (v. 22.10.2012, Az. Vf. 57-IX-12).
Das Innenministerium hatte eine gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit des Volksbegehrens beantragt und sich dabei auf die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs berufen. Es witterte einen verfassungswidrigen Eingriff in das Budgetrecht des Landtages. Die Mehrheit der Münchner Richter sah das anders und folgte damit der Rechtsauffassung der Freien Wähler, die das Volksbegehren angestoßen und ohne Unterstützung der anderen Oppositionsparteien vor Gericht verteidigt hatten.
Haushaltspolitische Grenzen direkter Demokratie
Die Zulässigkeit des Volksbegehrens war an Art. 73 der Bayerischen Verfassung zu messen. Danach findet über den Staatshaushalt kein Volksentscheid statt. Was aber ist der "Staatshaushalt"? Die Verfassung verwendet den Begriff nicht eindeutig und ein Vergleich mit ähnlichen Formulierungen anderer Landesverfassungen bleibt wenig ergiebig. Die so genannte Haushaltsklausel hat eine spannungsreiche Grundstruktur: Sie soll eine sachgerechte Haushaltspolitik gewährleisten, ohne dabei die unmittelbare demokratische Selbstbestimmung des bayerischen Volkes zu verhindern.
Volksbegehren sollen politisches Handeln an die Interessen der Bürger zurückbinden und dadurch den Legitimationsdruck auf die Volksvertretung erhöhen. Gerichte müssen daher handhabbare Kriterien finden, um Parlaments- und Volksgesetzgebung miteinander in Ausgleich zu bringen. Es dürfen nicht allein quantitative Grenzen gezogen werden, auch die Gemeinwohltauglichkeit des Anliegens und die demokratische Unterstützung im Volk müssen im Blick behalten werden.
Eine rein formale Argumentation
Solchen Argumentationsaufwand betrieb der BayVerfGH diesmal allerdings nicht mehr. Er beschränkte sich auf formale Überlegungen und nahm die Haushaltsklausel beim Wort: Als Ausnahme vom Grundsatz der Gleichrangigkeit von Parlaments- und Volksgesetzgebung beschränke sich die Vorschrift ihrem Wortlaut nach auf den Staatshaushalt. Studiengebühren wirkten sich aber nur auf die Haushalte der Hochschulen aus, nicht hingegen auf den davon unabhängigen Staatshaushalt.
Die Möglichkeit, Gelder aus den Haushalten der Universitäten in den Staatshaushalt zu übertragen, ändere daran nichts. Solche Mittel seien lediglich Durchlaufposten, die für den Staatshaushalt weder Einsparung noch Belastung bedeuteten, und über die die Hochschulen autonom verfügten.
Anders als in früheren Entscheidungen untersucht der Gerichtshof hier nicht mehr, ob das Volksbegehren unmittelbar das formelle Haushaltsgesetz betrifft oder das parlamentarische Budgetrecht sonst wesentlich beeinträcht.
Sondervotum: Volksbegehren missachtet finanzielles Gesamtkonzept
Bemerkenswert kurz und pointiert entkräftet der Gerichtshof schließlich Einwände gegen diese Auslegung. Finanzielle Engpässe, die ein Wegfall der Studiengebühren für die Universitäten bedeuten könnte, müsse das Land nicht ausgleichen. Denn zum einen fehle es an einer entsprechenden gesetzlichen Verpflichtung; zum anderen sei die Grundfinanzierung der Hochschulen ohnehin nicht betroffen.
An der formalen Betrachtung und der apodiktischen Ablehnung beachtlicher Einwände entzündet sich denn auch die Kritik im Sondervotum zweier Richter. Das Volksbegehren missachte das Gesamtkonzept des Haushaltsgesetzgebers zur Finanzausstattung der Hochschulen, das der Einführung von Studiengebühren zugrunde liege und mache eine haushaltspolitische Neubewertung erforderlich. Dies aber sei ein Eingriff in die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers, den Art. 73 BV gerade verhindern wolle.
Das Land habe eine Finanzierungsverantwortung für die Hochschulen. In welchem Haushalt die Studiengebühren letztlich vorgesehen seien – ob in dem des Freistaats oder denen der Universitäten – könne dabei keinen Unterschied machen.
Noch kein Aus für Studiengebühren
Direkte Demokratie ist in Mode. Ihre Protagonisten erhoffen sich, missliebige Entscheidungen des Parlaments korrigieren zu können. Wie auch immer man das Anliegen der Gegner von Studiengebühren und ihre Auswirkungen auf die Qualität der Lehre bewerten mag: Parlaments- und Volksgesetzgebung stehen in der Bayerischen Verfassung nun einmal gleichberechtigt nebeneinander.
Dieser Gleichrang darf auch nicht mithilfe der Haushaltsklausel ausgehebelt werden. Insofern verdient die Entscheidung Zustimmung. Ihr eigentliches Ziel haben die Gegner der Studiengebühren damit freilich noch nicht erreicht. Jetzt muss das Volksbegehren zwar durchgeführt werden. Der Verfassungsgerichtshof hatte aber nicht darüber zu entscheiden, ob Studiengebühren bildungs- und sozialpolitisch zweckmäßig sind.
Das Volksbegehren muss nun noch genügend Unterstützer finden, damit sich der Landtag mit der vorgeschlagenen Regelung beschäftigen muss. Sollten die Abgeordneten die Abschaffung von Studiengebühren ablehnen, bedeutet aber erst ein erfolgreicher Volksentscheid das Aus für Studiengebühren.
Der Autor Dr. Enrico Peuker ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht sowie Jean Monnet-Lehrstuhl für Europäische Integration an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Enrico Peuker, Volksbegehren gegen Studiengebühren in Bayern zulässig: . In: Legal Tribune Online, 23.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7373 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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