Gute Nachrichten für Bahnfahrer: Ein Urteil des VG Köln verpflichtet die Deutsche Bahn AG, 1.900 kleine Bahnhöfe mit Anzeigetafeln oder Lautsprecheranlagen nachrüsten, um den Fahrgästen Verspätungen und Zugausfälle anzuzeigen. Warum es aber noch dauern wird, bis Bahnfahrer auch an kleinen Bahnhöfen wissen, wie lange sie frieren müssen, erläutert Urs Kramer.
An jedem Bahnhof trifft der Fahrgast üblicherweise und hoffentlich auf einen Fahrplan, der Auskunft darüber gibt, wann Züge ankommen und abfahren. Bekanntermaßen funktioniert der Fahrplan der Deutschen Bahn aber nicht immer so, wie er sollte. Züge haben aus den verschiedensten Gründen Verspätung oder fallen im schlimmsten Fall sogar ganz aus. Gerade bei eisiger Kälte wie in den letzten Wochen ist es daher ein Bedürfnis der Fahrgäste, gut informiert zu sein.
An größeren Bahnhöfen – und früher auch an fast allen kleineren – übernimmt diese Aufgabe neben Anzeigern meist ein Lautsprecher. Mit einer menschlichen Stimme und heutzutage auch immer öfter mit der von Bahnfreunden als "Blechelse" verspotteten Computerstimme wird den Passagieren in mehr oder weniger gutem Deutsch oder gar auch noch in Englisch mitgeteilt, dass der ICE 989 "wegen eines Notarzteinsatzes am Gleis" (das Bahn-Code-Wort für einen Selbstmörder) leider 90 Minuten Verspätung hat. Häufig sind es auch skurril anmutende Ausreden, nein, pardon: Gründe, die da für die Fahrplanabweichung genannt werden. An kleineren Stationen mit nur wenigen Bahnkunden am Tag sucht man einen solchen Fahrgast-Service hingegen zunehmend vergebens.
Die Europäische Union hat sich deshalb zur Steigerung der Attraktivität des Bahnverkehrs vor einigen Jahren der Fahrgastbelange angenommen und ihnen eine eigene Verordnung (EG) 1371/2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr gewidmet. Aus ihr speist sich auch die Verpflichtung des jeweiligen Eisenbahnverkehrsunternehmens, bei der Verspätung eines Zuges über 60 Minuten 25 Prozent des Fahrpreises zu erstatten. Bei zwei Stunden Verspätung – auch beim Verpassen des Anschlusszuges – gibt es sogar die Hälfte der Kosten der Fahrkarte zurück.
Eisenbahn-Bundesamt fordert dynamische Schriftanzeiger für alle Bahnhöfe
Art. 18 Abs. 1 der Verordnung legt außerdem fest, dass "bei einer Verspätung bei der Abfahrt oder der Ankunft die Fahrgäste durch das Eisenbahnunternehmen oder den Bahnhofsbetreiber über die Situation und die geschätzte Abfahrts- und Ankunftszeit zu unterrichten sind, sobald diese Informationen zur Verfügung stehen."
Der Betrieb der 5.500 eigenen Bahnhöfe und Haltepunkte der Deutschen Bahn AG wird von der Deutsche Bahn Station & Service AG übernommen. Die eigens für diesen Zweck geschaffene Konzerntochter wird vom Eisenbahn-Bundesamt (EBA) beaufsichtigt. Mitarbeiter dieser in Bonn ansässigen Bundesbehörde stellten fest, dass an den Bahnhöfen Lensahn und Großenbrode auf der Strecke von Hamburg über Lübeck nach Puttgarden weder Zugzielanzeiger noch Lautsprecheranlagen oder sonstige Kommunikationseinrichtungen vorhanden waren. Die wenigen Fahrgäste in der ostholsteinischen Einsamkeit waren also im Verspätungsfall mit den Kühen auf den Weiden ringsum und den Gleisen allein.
Die Behörde verfügte daraufhin sinngemäß, dass die DB Station & Service AG Stationen mit mehr als 300 Fahrgästen am Tag spätestens bis 18 Monate und an solchen mit 100 oder weniger Reisenden pro Tag längstens 48 Monate nach der Bestandskraft des Bescheides mit "Dynamischen Schriftanzeigern" auszustatten habe, sofern es vor Ort kein anderes gleichwertiges Informationsmedium für die Fahrgäste gibt. Die "Dynamischen Schriftanzeiger" sind – laienhaft ausgedrückt – ein computergesteuertes leuchtendes Laufband, das im "Normalzustand" die aktuelle Uhrzeit, bei Verspätungen aber eben auch diese anzeigt. Das EBA berief sich zur Begründung seiner mit einer Zwangsgeldandrohung versehenen Verfügung auf einen Verstoß gegen die genannte Vorschrift in der Fahrgastrechteverordnung.
VG Köln: Aktive Fahrgastinformation erforderlich
Die DB Station & Service AG griff – fast möchte man angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre sagen: einer guten Tradition des Konzerns folgend – den EBA-Bescheid per Widerspruch und nach dessen Erfolglosigkeit mit einer Anfechtungsklage an. Das Unternehmen berief sich darauf, dass die vom EBA herangezogene Vorschrift die von ihr geforderte Verpflichtung überhaupt nicht enthalte. Jedenfalls sei ihr aber die Wahl der Mittel bei deren Erfüllung überlassen. Sie habe sich mit der Angabe der Rufnummer einer Service-Hotline an der Station begnügt und auch begnügen dürfen.
Ungeachtet der – warum auch immer, – im Prozess nicht mehr streitigen Frage, was mit Stationen zwischen 100 und 300 täglichen Reisenden geschieht, hatte das wegen des Behördensitzes zuständige Verwaltungsgericht (VG) Köln über die Klage zu entscheiden. Die vornehmlich mit Eisenbahnrecht befasste 18. Kammer kam dabei mit Hilfe einer klassischen Normauslegung zu dem überzeugenden Ergebnis, dass die europäische Verordnung den Stationsbetreiber in der Tat zur aktiven Fahrgastinformation verpflichte. Sowohl ihr Wortlaut als auch die Systematik und der Normzweck sprechen für diese Sichtweise (Urt. v. 18.01.2013, Az. 18 K 4907/11).
Das Gericht führt weiter aus, dass diese Informationspflicht auch nicht unter dem Vorbehalt vorhandener Ressourcen steht. Sie gelte zur Stärkung von deren Rechten vielmehr uneingeschränkt für jeden Fahrgast und damit auch für jede Station, an der gerade der Fahrgast am effektivsten über mögliche "Verzögerungen im Betriebsablauf" – so der DB-Begriff für Verspätungen – informiert werden könne. Daher sei der Stationsbetreiber als Pflichtiger auch nicht fehlerhaft ausgewählt worden. Eine Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedeutung der Stationen sei im Übrigen durch die verschiedenen Umsetzungsfristen bei großen und kleineren Bahnstationen in gebührendem Maße erfolgt.
Es ist noch lange nicht vorbei
Sicherlich mag man angesichts der immer weiteren Verbreitung moderner Handys und Smartphones daran zweifeln, ob in einigen Jahren noch viele Fahrgäste auf die "Dynamischen Schriftanzeiger" schauen werden, und deshalb auch kritisieren, dass hier Steuergelder nicht besonders effektiv eingesetzt werden. Denn aus dieser Quelle wird die DB die Nachrüstung, so sie denn kommen muss, mutmaßlich zu finanzieren versuchen. Dem geltenden europäischen Recht, welches das EBA anwenden kann und sogar muss, entspricht die Entscheidung aber jedenfalls.
Ob sie auch Bestand haben wird und daher demnächst – wie in der Presse zu lesen war – 1.900 Stationen entsprechend nachgerüstet werden, bleibt abzuwarten. Die Erfahrung lehrt, dass Prozesse im Eisenbahnrecht regelmäßig durch drei Instanzen geführt werden. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Landes Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet tendenziell eher zu Gunsten der DB, während das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in allen bisherigen Fällen wieder zurück auf das argumentative "Gleis" des VG Köln gewechselt ist.
Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum – vermutlich auf Betreiben der DB AG – in einem derzeit diskutierten Entwurf für eine Änderung des Eisenbahnrechts der Rechtsschutz zumindest in bestimmten Bereichen unter Ausschluss des VG auf zwei Instanzen begrenzt werden soll. Bevor dieser Entwurf oder eine in anderen Ländern schon übliche umfassende Information der Fahrgäste an jedem Zughalt in Deutschland umgesetzt wird, kommt zum Ärger frierender und durchnässter Bahnkunden sicher noch mancher Zug verspätet oder auch gar nicht an kleinen Stationen zum Halten.
Der Autor Prof. Dr. Urs Kramer ist Inhaber der Lehrprofessur für Öffentliches Recht an der Universität Passau. Er forscht und lehrt dort insbesondere auch zum Eisenbahnrecht.
Urs Kramer, Aktuelle Fahrgastinformation an Bahnhöfen: . In: Legal Tribune Online, 08.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8295 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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