Zwischen zwei und sieben Jahren Haft lautete das Urteil des LG Hamburg am Freitag im ersten Piratenprozess der Bundesrepublik. Zehn Somalier standen in der Hansestadt vor Gericht, nachdem sie 2010 ein Frachtschiff gekapert hatten. Während die Reeder ähnliche Prozesse vorantreiben wollen, kritisierten die Verteidiger das Verfahren.
Am Anfang schien der Sachverhalt klar. Zehn schwer bewaffnete Männer entern am Ostermontag 2010 vor der Küste Somalias das Hamburger Frachtschiff "Taipan". Wenige Stunden später überwältigt sie ein niederländisches Marinekommando noch an Bord und befreit die 15-köpfige Besatzung. Verletzt wird niemand. Die Piraten werden nach Deutschland überstellt und vor dem Hamburger Landgericht (LG) angeklagt – der erste Piratenprozess in Deutschland seit Bestehen der Bundesrepublik. "Überschaubar und gut eingrenzbar", sagte die zuständige Staatsanwaltschaft damals im November 2010.
Doch es sollte fast zwei Jahre und 105 Verhandlungstage dauern bis nun am Freitag der Vorsitzende Richter Bernd Steinmetz das Urteil verkündete: Haftstrafen zwischen zwei und sieben Jahren wegen des Angriffs auf den Seeverkehr und des erpresserischen Menschenraubes. Die Staatsanwaltschaft hatte höhere Freiheitsstrafen gefordert – zwischen sechs und zwölf Jahren für die sieben erwachsenen Angeklagten, vier bis fünfeinhalb Jahre für die drei jüngsten Beschuldigten, die unter das Jugendstrafrecht fallen. Die Verteidiger hatten zuletzt Freisprüche oder geringere Haftstrafen beantragt.
Der Verteidiger Oliver Wallasch, der bereits vor dem Verwaltungsgericht Köln einen an Kenia ausgelieferten somalischen Piraten vertreten hatte, zeigte sich mit dem Urteil denn auch nicht zufrieden und kündigte an, in Revision zu gehen. "Ich habe für meinen Mandanten Freispruch beantragt, da kann man mit sieben Jahren Freiheitsstrafe nicht zufrieden sein." Ein Freispruch würde für seinen Mandanten übrigens nicht bedeuten, dass er Deutschland verlassen muss. "Für Somalia gibt es Abschiebeschutz."
Steinmetz: "Wir sind sicher, dass keiner von Ihnen gezwungen wurde"
Am Donnerstag hatte ein Antrag der Verteidigung auf weitere Überprüfungen der Aussage eines geständigen Angeklagten noch einmal für Aufregung gesorgt. Der Zeitplan stand plötzlich wieder in Frage. Am Ende lehnte das Gericht den Antrag ab, dennoch mussten die Plädoyers wiederholt und den Angeklagten erneut die letzten Worte gewährt werden. Allerdings verwiesen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidiger im Wesentlichen auf ihre früheren Ausführungen. Auch die Angeklagten machten nur teilweise von ihrem Recht auf ein letztes Wort Gebrauch.
§ 10 Strafprozessordnung machte den Prozess in Hamburg möglich. Für Straftaten auf See ist danach das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich der Heimathafen des – unter deutscher Flagge fahrenden – Schiffes befindet. Das Containerschiff "Taipan" der Hamburger Reederei Komrowski war unter deutscher Flagge unterwegs und hat seinen Heimathafen in der Hansestadt. Außerdem waren zwei Besatzungsmitglieder Deutsche.
Der Vorsitzende Richter sagte zu den Angeklagten: "Wir sind sicher, dass es eine geplante Tat war, dass keiner von Ihnen gezwungen wurde." Das Gericht zeigte sich davon überzeugt, dass die Piraten, die "Taipan" nach Somalia steuern und dann ein Lösegeld von mindestens einer Million US-Dollar fordern wollten. "Jeder von Ihnen zehn hatte die Erwartung, einen Anteil zu erhalten - wenn auch nur einen geringen."
Gerichtssprecher: "Landgericht übernimmt internationale Verantwortung"
Immer lauter wurde gegen Ende des Prozesses die Frage, wie sinnvoll es ist, Seeräuber in Deutschland vor Gericht zu stellen. Wallasch, kritisierte bereits am Montag in seinem Plädoyer, Piratenprozesse sollten nicht in Deutschland geführt werden: "Solche Verfahren gehören nicht in einen Hamburger Gerichtssaal." Wohin dann? Dafür habe er auch keine Lösung. Doch er habe noch nie einen Prozess erlebt, bei dem das, was oben auf der Richterbank passiere, und das, was bei seinem Mandanten ankomme, derart auseinanderklaffe.
Mit dem Prozess übernehme das Landgericht "auch ein Stück internationale Verantwortung", sagte der Gerichtssprecher Conrad Müller-Horn noch vor der Urteilsverkündung. Schließlich habe Deutschland das Seerechtsübereinkommen unterzeichnet und sich darin verpflichtet, die Piraterie zu bekämpfen. Der Verteidiger Rainer Pohlen, der den jüngsten Angeklagten vertritt, glaubt aber nicht, dass ein Prozess vor einem deutschen Gericht potenzielle Piraten in Somalia abschreckt, ein Schiff zu kapern: "Das interessiert die, wie wenn in China ein Sack Reis umfällt."
Die Reeder in Deutschland wollen Piraten weiterhin vor Gericht sehen. "Piraterie ist ein Verbrechen, und Verbrecher gehören vor Gericht", sagte Ralf Nagel, Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Verbandes Deutscher Reeder, am Freitag in Hamburg. Zwar gebe es Überlegungen, in der Piratenregion am Horn von Afrika ein Gericht der Vereinten Nationen anzusiedeln, das die Aburteilung gefangener Piraten übernehmen sollte. Es sei jedoch nicht absehbar, dass ein solches Gericht in absehbarer Zeit die Arbeit aufnehmen könnte.
Mit Material von dpa.
cko/LTO-Redaktion
LG Hamburg verkündet Haftstrafen für alle Piraten: . In: Legal Tribune Online, 19.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7356 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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