Verbundeinsätze von Polizei und Ordnungsbehörden werden als rechtswidrig kritisiert. Jörg Lehnert ist selbst an solchen Einsätzen beteiligt und hält dagegen. Die gewonnenen Erkenntnisse müssten aber weise und effektiv genutzt werden.
Das Setting
Berlin-Neukölln an einem frühen Sommerabend in der Gegend um die Sonnenallee. In den Shisha-Bars und Restaurants tummeln sich viele junge Menschen, auch viele Touristen. Deutsch ist hier eine unter vielen Sprachen. Auf den ersten Blick ist das funktionierende Vielfalt. Auf den zweiten Blick fallen Spuren des Verfalls auf: Müll allerorten, Leerstand in Läden, Flächen ohne Graffiti haben Seltenheitswert. Geparkt wird überall, die zweite Fahrspur und Feuerwehreinfahrten gelten als Kurzzeitparkzone. Hochmotorige, nicht eben diskrete AMG-Limousinen und Sportwagen gehören zum Straßenbild.
Doch der kundige Beobachter weiß: Der Shisha-Tabak ist oft gepantscht und selten versteuert, die hochmotorigen Kfz sind so gut wie immer geliehen – oft, um eine Einziehung bei Straftaten zu verhindern. Viele Beschäftigte in den Restaurants und Läden sind schwarz beschäftigt bzw. als "Praktikanten" tätig.
In den Juweliergeschäften geht es manchmal nicht nur um den Verkauf von Hochzeitsgold, sondern auch um das Verwerten von Beute und das Versenden von Bargeldbeträgen an der Bankenaufsicht und dem Zoll vorbei, was nicht nur illegal ist, sondern auch Geldwäsche. Sehr viele Juweliere so wie andere hier tätige Gewerbetreibende sind ehrliche, hart arbeitende Menschen, doch wer gehört zu wem?
So ist es auch bei den Kfz-Händlern. Viele sind ehrbare Kaufleute, doch manche sind auch in systematischen Umsatzsteuerbetrug und Geldwäsche verwickelt. Um festzustellen, wer zu den redlichen Gewerbetreibenden gehört und wer sich an Straftaten beteiligt oder sogar Kontakte zu kriminellen Clans unterhält, führen Beamte von Polizei, Zoll, Steuerfahndung, Ordnungsamt, Geldwäscheaufsicht und weiteren Behörden regelmäßig Verbundeinsätze durch.
Der Verbundeinsatz in drei Akten
Erster Akt: Adrenalin steigt auf, der Verbundeinsatz, im Medien-Sprachschatz: die Groß-Razzia, geht los: Polizei, Zoll, Ordnungsamt und weitere Sicherheitsbehörden fahren in Kolonne, d. h. mit Blaulicht vor. Je nach Ziel und Gefährdungslage steigen oder springen Dutzende von uniformierten Polizisten, Zöllnern sowie Mitarbeitern des Ordnungsamts aus den Fahrzeugen und sichern ein Objekt, im Polizeijargon: Sie frieren das Objekt ein.
Zweiter Akt: Prüfen, Kontrollieren und vor allem Warten: Die beteiligten Fachdienststellen beginnen mit jeweils eigenen Kontrollen: Das Ordnungsamt prüft den Jugendschutz, der Zoll geht dem Verdacht auf Schwarzarbeit nach und sucht nach unversteuertem Shisha-Tabak. Beamte der Geldwäscheaufsicht prüfen An- und Verkaufsunterlagen, um festzustellen, ob größere Mengen Bargeld im Spiel sind. Weitere Behörden können sich je nach Objekt beteiligen, beispielsweise Kassenprüfer, die Bauaufsicht, Lebensmittelkontrolleure.
Der zweite Akt bedeutet immer auch Warten. Oft sind die Verantwortlichen nicht vor Ort und können erst durch die Ankündigung, das Gewerbeobjekt zu schließen, dazu bewogen werden, sich einzufinden. Und Dokumente fraglicher Provenienz kontrollieren sich auch nicht von selbst. Weil der Grundsatz gilt: Gemeinsam betreten wir den Ort, gemeinsam verlassen wir ihn auch, warten die eingesetzten Kräfte, bis alle mit ihren Kontrollen durch sind.
Dann irgendwann: Abmarsch und Fahrt zum nächsten Objekt, Ende des für die Öffentlichkeit sichtbaren Teils.
Dritter Akt: Berichte schreiben, Verfahren einleiten, Anhörungen fertigen usw. Er ist im Fernsehen nie zu sehen, auch wenn es sich um den zeitlich bei weitem umfangreichsten Teil handelt.
Willkommen im Verbund: Szenen wie diese können sich auch in Hamburg oder Erfurt, in Teilen von Essen oder Duisburg abspielen, dort vermutlich ohne Touristen.
Verbundeinsätze gegen staatlichen Kontrollverlust?
In manchen Problemvierteln hat der Staat zu bestimmten Tageszeiten schleichend die Kontrolle verloren. Der Kontrollverlust war nie so total wie in jenen französischen Banlieues, in denen normale Streifentätigkeit schon lange nicht mehr möglich ist, aber die Ansprache eines Verkehrssünders oder eine Lebensmittelkontrolle konnten und können sich auch in manchen deutschen Stadtquartieren schon einmal sehr schwierig gestalten.
Verbundeinsätze können ein Mittel sein, solchen Entwicklungen entgegenzuwirken. Der Begriff kommt weder in der Strafprozessordnung noch in Polizeigesetzen vor. Der Verbundeinsatz wird auch in der Polizeidienstvorschrift (PDV) 100, der Bibel für den polizeilichen Einsatz, nicht erwähnt. Für solche Einsätze in Problemgebieten bietet sich folgende Definition an: Ein Verbund ist ein zeitlich und örtlich begrenzter geplanter Einsatz mehrerer Sicherheits- und Ordnungsbehörden zur Durchführung von meist anlasslos möglichen Begehungen und zur Erhöhung des allgemeinen Sicherheitsgefühls. Hierbei handeln die beteiligten Behörden auf Grundlage eigener Ermächtigungsgrundlagen (etwa § 51 Abs. 3 Gesetz über das Ausspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (GwG) oder § 29 Gewerbeordnung (GewO)). Zudem leisten die beteiligten Behörden sich untereinander Amtshilfe, die Behördenmitarbeiter unterstützen sich also gegenseitig vor Ort. Damit sind die wichtigsten Charakteristika beschrieben.
Kontrollen ohne Durchsuchungsbeschluss möglich
Dabei geht es nicht primär um die Durchführung strafprozessualer Maßnahmen. Zur Anwendung gelangen spezialgesetzliche Prüfrechte, etwa aus der Gewerbeordnung oder der Abgabenordnung, die eine Kontrolle ermöglichen, aber im Regelfall keine Durchsuchungen zulassen. Ein richterlicher Beschluss ist daher nicht notwendig. Der Polizei kommt eine sichernde Rolle zu. Sie unterstützt andere Behörden, die – abgesehen vom Zoll und Ordnungsamt – weder über die Ausrüstung noch über die rechtlichen Möglichkeiten verfügen, um mit Widerstand vor Ort umzugehen.
Aus Sicht beteiligter Dienststellen bietet ein Verbundeinsatz einige Vorteile. Sie haben das Heft des Handelns in der Hand, weil der Einsatz geplant ist. Auch durch die Beteiligung mehrerer Behörden wird der Eindruck verstärkt, der Staat verfüge über ausreichend Kräfte. "Security lies in numbers."
Diese Einsätze sind gleichwohl nicht unumstritten. Sie seien rechtswidrig, weil sich die Polizei unter falschen Vorwänden mit Hilfe anderer Behörden Zutritt verschaffe, sie seien rassistisch, für die Betroffenen stigmatisierend und dazu auch noch ineffektiv.
Unzulässige Informationsbeschaffung?
Der juristisch erheblichste Vorwurf lautet, das Ganze laufe auf eine unzulässige Informationsbeschaffung hinaus. Die Polizei bediene sich dort, wo sie selbst nicht rechtlich nicht hineinkönne, rechtswidrig anderer Behörden als Türöffner.
Richtig ist, dass ein Einsatz als "Service" für die Polizei, damit ihre Beamten jeweils "reinkommen", einen Missbrauch der Amtshilfe darstellen würde. Unzulässig wäre etwa eine "Kontrolle" der Geldwäscheaufsicht, bei der der "kontrollierende" Beamte der Geldwäscheaufsicht einen Laden betritt, sich ausweist, die Kontrolle eröffnet und sich dann auf einen Stuhl setzt, die Zeitung liest, keine eigenen Kontrollmaßnahmen einleitet und wartet, während die vermeintlich "sichernden" Polizisten Buchungsunterlagen auf der Suche nach Hinweisen für einen Insolvenzbetrug durchforsten. Damit würde die Polizei den Beamten der Geldwäscheaufsicht als "Türöffner" missbrauchen.
Doch dort, wo eine Behörde im eigenen Interesse auf der Grundlage eigener Befugnisse tätig wird, dürfen sich ihre Bediensteten auch im Wege der Amts- und Vollzugshilfe von der Polizei begleiten lassen. Dabei müssen die sichernden Beamten weder blind noch taub sein. Ergeben sich Hinweise auf ein notwendiges Tätigwerden nach Polizeirecht oder zur Strafverfolgung, dann verlassen die Beamten den Bereich der Amtshilfe und werden aus eigenem Recht tätig. Auch ist unschädlich, wenn die kontrollierende Behörde weiß, dass weitere Behörden an dem Kontrollobjekt Interesse haben. Sollten diese Behörden vor Ort entsprechende Erkenntnisse gewinnen, müssen diese selbst prüfen, ob sie ggfls. eigene Maßnahmen einleiten, etwa über die Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss beim Ermittlungsrichter anregen.
Soweit ersichtlich, waren Verbundeinsätze bislang nicht Gegenstand obergerichtlicher Rechtsprechung. Gleichwohl ergeben sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) Hinweise darauf, dass derartige Einsätze zulässig sind. So ist es laut einem BGH-Urteil unschädlich, wenn mit einer Maßnahme doppelfunktional mehrere Ziele verfolgt werden (BGH, Urt. v. 26.04.2017, Az. 2 StR 247/16). Ein Rechtssatz, wonach maximal eine Kontrolle von einer Behörde ausgeführt wird, die dabei die Amtshilfe nur einer weiteren Behörde in Anspruch nehmen darf, gibt es nicht.
Einsatz muss verhältnismäßig sein
Auf Vorwürfe, bei Verbundeinsätzen werde Eigentum beschädigt, Menschen würden ohne Grund festgehalten, ihnen werde der Gang auf die Toilette verwehrt, ist nur kurz einzugehen. Solche Exzesse wären rechtswidrig und eines Rechtsstaats unwürdig. Allerdings werden solche Vorwürfe vor den zuständigen Institutionen selten erhoben. Fortsetzungsfeststellungsklagen vor Verwaltungsgerichten zu angeblich rechtswidrigen Verbundeinsätzen sind eine Rarität. Gleiches gilt für Eingaben bei unabhängigen Polizeibeauftragten, die Beschwerden gegen die Polizei nachgehen sollen.
Was den Vorwurf des Rassismus angeht: In vielen problematischen Stadtteilen gibt es kaum Gewerbetreibende, die nicht im Migrationskontext wahrgenommen werden. Wenn etwa in Nord-Neukölln Juweliere überprüft werden, hat man es dort fast ausschließlich mit Geschäftsleuten türkischer oder arabischer Herkunft zu tun. Was soll daran Rassismus sein? Zudem haben viele Kräfte, auch Führungskräfte, in Polizei und Ordnungsbehörden mittlerweile selbst einen Migrationshintergrund. Bei der Auswahl der Objekte für einen Verbund spielen viele Erwägungen eine Rolle, die Herkunft der Gewerbetreibenden nicht.
Übertriebene Anzahl von Kräften?
Es besteht für die Einsatzkräfte die Verpflichtung, bei der Wahl der Mittel lageabhängig und schonend zu handeln, indem etwa nach der Sicherung eines Betriebes die von draußen sichtbaren Kräften reduziert werden oder indem das Blaulicht abgeschaltet wird. Das Problem einer verhältnismäßigen Anordnung der Kräfte liegt in der nie leicht zu stellenden Prognose, wie sich die Situation vor Ort entwickeln wird.
Hierfür ein Beispiel aus der jüngsten Praxis: Es erfolgt eine Kontrolle durch Zoll und Geldwäscheaufsicht mit Amtshilfe der Polizei bei einem Antiquitätenhändler. Vor Ort werden der Inhaber und sechs Söhne bzw. Cousins angetroffen. Die Betroffenen sind höflich und kooperativ, verständlicherweise aber nicht begeistert. Doch wer weiß vorher, wie Menschen reagieren? Sechs junge Männer können den Verlauf einer Kontrolle ganz erheblich beeinflussen und Beamte in eine Gefahrensituation bringen.
Kaum eine Verbundkontrolle wird ohne Feststellungen beendet. Das reicht von Verstößen gegen Steuerrecht, Gewerberecht, Verdacht auf Schwarzarbeit bis zu Verstößen gegen das Betäubungsmittelrecht. Auch wenn es Anlass zur Detailkritik gibt, etwa weil manche Kontrolle für die Betroffenen womöglich schonender erfolgen könnte, an der prinzipiellen Notwendigkeit solcher Einsätze gibt es keine Zweifel.
Verbundeinsatz häufig nicht effektiv
Ein Vorwurf kann aber auch Befürworter dieser Einsätze nicht kalt lassen: Sie seien ineffektiv. Wenn es um Verbundeinsätze geht, ist in der Politik von zwei Dingen die Rede: Zum einen möchte man nichts durchgehen lassen, also eine "Null Toleranz"-Politik praktizieren, zum anderen wird betont, dass es hierfür einen "langen Atem" brauche. Die Bedeutung der Einsätze wird dabei anerkannt.
Doch es fragt sich, wie effektiv diese Einsätze sind, wenn es um die Nachbearbeitung geht und vor allem, ob insoweit die "Null Toleranz"-Strategie tatsächlich durchgehalten werden kann. Ja, bei Straftaten wird durchgegriffen, aber Fachdienststellen, die den gewonnenen Erkenntnissen weiter nachgehen könnten, arbeiten auch ohne Verbundeinsätze oft am Anschlag. In Ordnungsbehörden sieht es oft auch nicht besser aus.
Personalnot und Digitalisierungsrückstand
Dort, wo ein Großteil der nicht strafrechtlichen Erkenntnisse aus Verbundeinsätzen landet (in den Ordnungsbehörden), hält sich die Freude in Grenzen, wenn montags der Berg unerledigter Vorgänge um 20 bis 30 neue Fälle aus Einsätzen des Wochenendes angewachsen ist. Eine Digitalisierung, die Arbeit effektiver gestalten sollte, ist vielen deutschen Behörden leider noch fremd.
Geht ein Fall zum Gericht, werden die Umstände nicht besser. Beim Verkehr mit Staatsanwaltschaft und Gericht geht es zu wie zu Kaisers Zeiten. Akten werden per Post versandt. In der Hauptverhandlung ist im Ordnungswidrigkeiten-Verfahren die Anwesenheit eines Staats- oder Amtsanwalts nicht notwendig (§ 75 Abs. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG)). Ein Amtsanwalt hatte 2019 pro Fall eine Bearbeitungszeit von 3–4 Minuten. Seither dürfte es kaum besser geworden sein. Dass man bei solchen Aktenbergen kaum im Gerichtssaal erscheinen kann, ist nachvollziehbar. Die OWi-Behörde kann zwar am Gerichtstermin teilnehmen, aber die Zeit hat man auch dort kaum.
Amtsrichter stellen oft Verfahren ein
Der Amtsrichter schließlich genießt richterliche Unabhängigkeit, aber davon werden die Eingangszahlen auch nicht kleiner. Bußgeldbescheide werden vom Amtsrichter regelmäßig erheblich reduziert, wenn das Verfahren nicht gleich ganz eingestellt wird – bloß kein Urteil schreiben, das kostet Zeit. Da ein Staatsanwalt im Regelfall nicht an der Hauptverhandlung teilnimmt, kann das Verfahren ohne Zustimmung eingestellt werden.
Ein Rechtsmittel dagegen gibt es nicht. Wer ist überhaupt noch, außer dem Richter, im Gerichtssaal? Werden dann verfahrensbeendende Maßnahmen "verhandelt"?
Damit gerät das Ziel in Gefahr, durch Verbundeinsätze den Respekt für geltendes Recht zu erhöhen. Wenn Verstöße kaum Folgen zeigen, warum sich an Regeln halten? Und: Wie können Maßnahmen mit Grundrechtseingriffen verhältnismäßig sein, wenn die gewonnenen Informationen unzureichend verarbeitet werden? Was bleibt von der "Null Toleranz"-Idee, wenn Personal fehlt? Haben die Kritiker dieser Einsätze damit doch einen Punkt?
Fazit:
Verbundeinsätze sind eigentlich ein gutes Mittel, staatliche Präsenz zu zeigen und die Einhaltung von Regeln einzufordern. Verhältnismäßigkeit ist dabei essentiell und muss im Einsatz immer wieder aufs Neue überprüft werden. Wenn die Politik diese Einsätze dauerhaft und effektiv will, muss sie auch die Ressourcen bereithalten – sowohl bei Kontrollen, als auch bei der Nachbearbeitung. Weil qualifizierte und motivierte neue Kollegen schwer zu finden sind, kann vor dem Hintergrund der Pensionierungswelle ein Teil der Lösung nur in einer benutzerfreundlichen Digitalisierung von Ermittlungsprozessen liegen. Fortschritte sind hier allenfalls punktuell erkennbar.
Der Verfasser leitet seit 2011 die Berliner Geldwäscheaufsicht im Nichtfinanzsektor. Es handelt sich hier um seine privaten Auffassungen
Zur Rechtmäßigkeit und Effektivität von Verbundeinsätzen: . In: Legal Tribune Online, 26.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52563 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag