Die linke Tageszeitung wehrte sich vor dem VG Berlin gegen ihre Erwähnung im Verfassungsschutzbericht. Das Urteil vom Donnerstag gibt dem Nachrichtendienst zwar Recht, für den Verlag ist der Rechtsstreit aber noch nicht beendet.
Seit 1998 wird die Tageszeitung "Junge Welt" beinahe jährlich im Verfassungsschutzbericht erwähnt, bisher insgesamt 23-mal. Das will das journalistische Medium künftig unterbinden. Bereits in einem Eilverfahren versuchte die Zeitung, zu erwirken, dass sie in Zukunft nicht mehr darin genannt wird. Ohne Erfolg.
Auch am Donnerstag in der Hauptsache vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin stritt die "Junge Welt" darum, die Rechtswidrigkeit ihrer Erwähnung im Verfassungsschutzbericht feststellen zu lassen. Außerdem wollte sie erreichen, dass die verfügbaren Verfassungsschutzberichte der vergangenen Jahre geschwärzt und im nächsten Bericht eine Richtigstellung vorgenommen werden muss. Dazu kommt es aber nicht: Das VG Berlin hält die Erwähnung im Bericht für rechtmäßig.
Mehr als eine Zeitung
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hält die Erwähnung im jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht aus mehreren Gründen für gerechtfertigt. Zum einen strebe das Medium die "Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung nach klassischem marxistisch-leninistischem Verständnis an." Das verstoße gegen das Demokratieprinzip, da eine solche Gesellschaftsordnung ein Einparteiensystem befürworte, in dem Minderheitenmeinungen unterdrückt, Pluralismus nicht gewährleistet und Andersdenkende ausgeschlossen würden.
Zudem fungiert die Zeitschrift laut BfV als politischer Faktor und nicht nur als Zeitung und Informationsmedium. Sie schaffe Reichweite durch verschiedene Aktivitäten. Sie informiere nicht nur, sondern mobilisiere und forme Widerstand. Damit gehe die Aktivität der "Jungen Welt" über die einfache Ausübung der Meinungs- und Pressefreiheit hinaus und falle damit unter den rechtlichen Begriff der "Bestrebung" gemäß dem Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG).
Der Nachrichtendienst beobachtet auch eine Verflechtung der Tageszeitung mit der linksradikalen Szene: "Einzelne Redaktionsmitglieder und einige der Stammautoren und Gastautorinnen sind dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen", so der Verfassungsschutzbericht. Das Medium lasse immer wieder Stimmen zu Wort kommen, die von Gewalt und politisch motivierten Straftaten in zugewandter Weise berichten. Dadurch bekenne sich die "Junge Welt" "nicht ausdrücklich zur Gewaltfreiheit. Vielmehr bietet sie immer wieder eine öffentliche Plattform für Personen und Organisationen, die politisch motivierte Straftaten befürworten."
Was darf der Verfassungsschutz?
Grundsätzlich darf der Verfassungsschutz aktiv werden, um "Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet" sind, zu beobachten. Das sagt § 3 Abs. 1 S. 1 BVerfSchG. Zunächst bedeutet das, der Verfassungsschutz darf Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen zusammentragen, zum Beispiel Tageszeitungen oder öffentlichen Äußerungen. Der Nachrichtendienst darf dann auch über seine Beobachtungsobjekte informieren, "soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte" dafür vorliegen, dass es sich um verfassungsfeindliche Bestrebungen handelt. Der Verdacht muss sich also schon verdichtet haben, dann darf der Geheimdienst die Öffentlichkeit informieren.
Die Bewertung dieser Voraussetzungen müssen sich auch daran orientieren, welche Grundrechte für die Betroffenen auf dem Spiel stehen. In diesem Fall klagt der Verlag "8. Mai GmbH", der anführt, dass sowohl die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG als auch die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG durch die Nennung im Bericht berührt seien. Die Klägeranwältin Anja Heinrich machte diese Betroffenheit am Donnerstag vor Gericht mit einem Beispiel greifbar: Bei jedem Googeln nach der Zeitung stießen Werbepartner, Interviewpartner und Autoren auf die bei Wikipedia dokumentierte Erwähnung im Verfassungsschutzbericht in den vergangenen 20 Jahren. "Das hat Abschreckungswirkung", weshalb eine Rehabilitation notwendig sei.
Unerwünschter Applaus
Während der Vorsitzende Richter Wilfried Peters von Anfang an durchscheinen ließ, welche Argumente er für gewichtiger hält, stand das Publikum weitgehend aufseiten der Zeitschrift. Es wurden bei Wartezeiten oder auch während der Verhandlung die "Junge Welt" aufgeschlagen und interessiert gelesen. Bei besonders eindrucksvollen Ausführungen der Anwältin auf Klägerseite applaudierte das Publikum. "Das ist hier leider nicht vorgesehen", wies der Richter das Publikum zurecht. Die Beklagtenseite sagte nicht mehr als zwingend notwendig.
Daher war die Entscheidung des Gerichts, die mit mehr als einer Stunde Verspätung verkündet wurde, keine Überraschung: "Die Klage wird abgewiesen." Die Kammer hält alle wesentlichen Elemente der Berichterstattung des Nachrichtendienstes für gerechtfertigt.
Die Klägeranwältin hatte ausführlich dargelegt, dass sie eine Bezeichnung als "marxistisch-leninistisch" für zu kurz gegriffen halte, nur weil eine sozialistische Tageszeitung sich an der ein oder anderen Stelle mit Marx und Lenin beschäftige. Vielmehr habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2005 zur Erwähnung der "junge Freiheit" ebenfalls im Verfassungsschutzbericht klare Maßstäbe gebildet (BVerfG, Beschl. v. 24.5.2005, Az. 1 BvR 1072/01): Es komme nicht darauf an, was der objektive Erklärungsinhalt von Presseinhalten oder das subjektive Verständnis dieser sei, sondern es müsse ausschließlich an die Ziele der Gruppe angeknüpft werden. Es gäbe keinerlei Äußerungen in der Tageszeitung, die ausdrücklich ein System propagierten, das dem Demokratieprinzip zuwiderlaufe. Und diese seien von der Beklagten – hier also dem BfV – auch nicht dargelegt worden.
Dr. Christian Lutsch von Redeker Sellner Dahs hielt dem entgegen, es entspreche den Tatsachen, dass die Inhalte anhand der leninistisch-marxistischen Theorie ausgewählt und aufbereitet würden. Das Selbstverständnis der Zeitung trete in diversen Inhalten zu Tage.
Richter Peters folgte letztlich einer historischen Betrachtung: Die "Junge Welt" setze sich in eine Tradition mit Lenin, der mit seinen Ideen wohl die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft hätte. Wenn man öffentlich mit dieser Figur Nähe und Sympathie zeige, dann eigne man sich auch dessen Ideen an. Außerdem zeige die Zeitung erkennbar eine innere Verbundenheit zur DDR. Auch dort sei der Marxismus-Leninismus die herrschende Ideologie. Diese positive Haltung werde auch in der Tageszeitung transportiert.
Mit der DKP "ein Bier getrunken"
Dem Vorwurf der personellen Verflechtung in die linksextreme Szene entgegnete die Anwältin der Zeitung, es dürfe keine Kontaktschuld geben. Sie sah ein Ablenkungsmanöver: Anstatt dezidiert darzulegen, welche Inhalte und Personen konkret linksextrem seien, habe das BfV damit den Kontakt zu Gruppierungen als Beweis von Linksextremismus ausreichen zu lassen. Der Geschäftsführer des Verlags, Dietmar Koschmieder, ergriff hierzu selbst das Wort: In den Schriftsätzen des BfV sei ein Redakteur dem linksextremen Spektrum zugeordnet worden, weil er auf dem Pressefest der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) gewesen sei. Man habe beobachtet, wie er dort ein Bier getrunken habe.
"Ein geschickter Versuch des Ablenkens" sei das gewesen, so der Vorsitzende Richter, der ihn aber nicht davon ablenken konnte, festzuhalten, dass das BfV sehr dezidiert zur linksextremen Gesinnung zahlreicher Autoren und Redakteure vorgetragen habe.
Rechtsstreit für die Zeitung noch nicht zu Ende
Insgesamt bewertete die Kammer die Erwähnungen im Verfassungsschutzbericht daher als richtige Einordnung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Berufung wurde nicht zugelassen, da bekannte Rechtssätze angewendet worden seien und sich keine Divergenz zur Rechtsprechung des OVG oder BVerwG ergeben hätten.
"Es macht trotzdem Sinn sich, zu wehren. Wir werden uns selbstverständlich nicht damit zufriedengeben", so Koschmieder. Die "junge Welt" werde einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen. "Wir haben auch damit gerechnet, nicht in der ersten oder zweiten Instanz zu obsiegen." Sowohl das BVerfG als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte würden sie mit ihrem Fall befassen, wenn es sein müsse.
VG Berlin zur Pressefreiheit: . In: Legal Tribune Online, 18.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55033 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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